Journalisten sollen Schuld an der Politikverdrossenheit sein
Nie war Politik so komplex wie heute; und nie war es so einfach, sich eingehend über Politik zu informieren. Andererseits hatten Politiker selten ein derart schlechtes Image wie derzeit. Und wer ist daran Schuld? Die Medien natürlich.
Behauptet jedenfalls Thomas Petersen, Projektleiter beim Allensbacher Institut für Demoskopie. Ausgerechnet die Medien, die sich doch gern als Fundament der demokratischen Ordnung betrachten, tragen seiner Meinung nach entschieden zur Gefährdung dieses Fundamentes bei, weil die Berichterstattung seit Jahrzehnten nachweislich immer negativer werde.
Einen Zeitpunkt für den Urknall hat er auch ausgemacht: Das Jahr 1974, als Richard M. Nixon als erster US-Präsident sein Amt niederlegen musste. Doch nicht etwa Nixons „Watergate-Affäre“ habe die Entwicklung ausgelöst, sondern ihre Aufdeckung durch zwei Reporter der angesehenen Zeitung „Washington Post“, Bob Woodward und Carl Bernstein.
Fortan, so Petersens Theorie, sei investigativer Journalismus nicht zuletzt dank des packenden Hollywood-Denkmals „All the President’s Men“ („Die Unbestechlichen“, USA 1976, Regie: Alan J. Pakula) für ganze Generationen von Nachwuchsreportern zum alles beherrschenden Berufsmotiv geworden. Und da tatsächlich kaum eine Berufsausbildung so selbstreferenziell ist wie die des Journalisten, der sich von Anfang an an Kollegen oder Idolen orientiert, sei das Ideal immer weiter gegeben worden. Beweise, sagt Petersen, gebe es auch, was nicht weiter verwundert: Mit Statistiken lässt sich alles belegen. Das Bonner Institut Medien Tenor bestätigt brav, dass die Berichterstattung in Fernsehen und Zeitungen seit Mitte der Siebzigerjahre immer negativer geworden sei, ganz gleich, ob es sich um Parteien, Kirche, Gerichte oder Gesetze handelt. Selbstredend hat der Demoskop auch eigene Zahlen zur Hand: Das Vertrauen der Menschen in Institutionen wie den Bundestag, das Erziehungswesen, die Gewerkschaften oder große Wirtschaftsunternehmen habe teilweise drastisch abgenommen. Bloß beim Vertrauen in die Zeitungen hat sich nichts geändert.
Medien machen Meinungen
Das ist schon fast eine Ironie des Schicksals, denn die Medien sind ja zumindest aus Sicht der Allensbacher Demoskopen die Wurzel des Übels. Gemeinhin geht man davon aus, dass Medien so etwas wie ein Spiegel der Gesellschaft sind; ein Zerrspiegel mitunter, aber ein Spiegel. Petersen sieht das anders: „Es gibt eine ganze Reihe von sehr deutlichen Hinweisen darauf, dass die Bevölkerung in ihrer Meinungsbildung in Bezug auf politische Fragen in sehr
vielen Fällen dem Tenor der Berichterstattung nachfolgt.“ Will sagen: Medien geben Meinungen nicht wieder, sie machen sie. Kombiniere man die Resultate von Inhaltsanalysen mit den Ergebnissen von Meinungsumfragen, zeige sich, „dass die Bildung der Bevölkerungsmeinung in ihrer Tendenz sehr eng den Inhalten der Massenmedien nachfolgt – und nicht etwa umgekehrt“. Die publizistische Forschung könne keinen einzigen Fall nennen, bei dem sich erst die Meinung der Bevölkerung verändert habe und dann die Medieninhalte.
Da ist sie also wieder, die gute alte Verschwörungstheorie, an der die Allensbacher schon seit Jahren basteln („Schweigespirale“). Dabei sprechen bereits simple Regeln der Ökonomie gegen die Theorie: Gerade Kaufzeitungen können es sich doch gar nicht leisten, konsequent am Meinungsbild ihrer Kundschaft vorbeizuschreiben. Natürlich sind die Medien an einer bestimmten Darstellung von Politik beteiligt, aber das ist ein anderes Thema und hängt vor allem mit der grassierenden Boulevardisierung zusammen. Und selbst dabei ist noch die Frage, wer Täter und wer Opfer ist; schließlich gibt es ja eine Wechselbeziehung zwischen Zeitungen und ihren
Lesern. Und natürlich existiert auch ein Zusammenhang zwischen Fernsehen, Zeitungen und Zeitschriften und der aktuellen gesamtgesellschaftlichen Krise: Die Medien sind Teil der Gesellschaft und damit auch Teil der Krise.
Die Wahrheit in der Mitte
Nicht zuletzt schießt der Allensbacher Demoskop mit seiner Medienschelte ein Eigentor: Er bringt einen komplexen Zusammenhang auf eine schlichte Formel und tut damit das Gleiche, was er selbst und andere seiner Zunft immer wieder (und leider völlig zu Recht) an den Medien kritisieren. Treibt man Petersens These auf die Spitze, besagt sie, dass die Politiker hochkompetent und die Medien permanente Miesmacher seien. Dabei liegt die Wahrheit in der Mitte: Die Bundesregierung macht nachweislich handwerkliche Fehler, und selbstredend ist es Aufgabe der Medien, darüber auch zu berichten.