Mit dem Gesetz gegen Scheinselbständigkeit für eine bessere Personalpolitik
Mit Fragebogen und Fehlinformationen zum Thema Scheinselbständigkeit haben Verleger in den letzten Wochen für Unruhe unter den Freien gesorgt. In der Abwehr dieser Zumutungen wurden die Chancen des neuen Gesetzes oft übersehen: Wenn die Betriebsräte mitziehen, kann es nicht nur die Lage der Freien, sondern auch die Besetzung der Redaktionen verbessern. Das Problem war schon lange erkannt: Fast eine Million Menschen arbeiten in Deutschland als Scheinselbständige ohne soziale Absicherung, als Arbeitnehmer ohne Arbeitnehmerrechte.
Auch der Wille des Gesetzgebers war eindeutig: „Der Mißbrauch der Scheinselbständigkeit … soll bekämpft werden“, heißt es in der Begründung des Gesetzes, das am 1.1.1999 in Kraft trat, und der Arbeitsminister präzisierte: „Wir wollen die Flucht der Arbeitgeber aus der Sozialversicherungspflicht stoppen.“ Auch Scheinselbständige haben künftig Anspruch auf einen Arbeitgeberbeitrag zur Sozialversicherung.
Die Umsetzung aber sieht ganz anders aus. Bei Madsack in Hannover stellte ein Redaktionsleiter einen freien Fotografen vor die Alternative: Entweder er gründet eine GmbH – oder es gibt keine Aufträge mehr. Begründung: Scheinselbständigkeit. Die vorgeschriebenen 50000 DM GmbH-Kapital sollte der Kollege dafür aufbringen, daß Madsack ihm keine Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen braucht. In Dresden will man freien Musikschullehrkräften den Unterrichtsauftrag auf sechs Wochenstunden zusammenkürzen. Begründung: Scheinselbständigkeit. Die „Süddeutsche Zeitung“ versucht (vergeblich), Scheinselbständige zu „echten“ Freien zu machen, indem sie ihnen neue Verträge aufzwingt.
Und jetzt schimpfen alle auf das neue Gesetz. Die Unternehmer, der „Spiegel“, und auch die Freien sind empört. Dabei sollten sie lieber auf die Auftraggeber schimpfen, denen beim Stichwort „neues Gesetz“ immer nur die Frage einfällt: „Wie kann ich das umgehen?“ Denn für die Beschäftigten beinhaltet das Gesetz neue Chancen.
Eine alte Forderung der IG Medien ist erfüllt
Zumindest im Medienbereich trifft das Gesetz (Seite 6) nur die Ärmsten unter den Freien, die mit Haut und Haaren von einem einzigen Auftraggeber abhängig sind, die deshalb von der KSK nicht aufgenommen werden und sich vom mageren Honorar keine private Absicherung leisten können. Sie bekommen nun Zugang zur Sozialversicherung – mit Arbeitgeberanteil. Das ist zweifellos positiv. Daß sie auch in die Arbeitslosenversicherung aufgenommen werden, ist um so besser. Und wenn das Gesetz verkappten Arbeitnehmern die Illusion nimmt, sie seien selbständig, dann ist das auch kein Fehler.
Hingegen wird niemand, der bisher selbständig war, durch das Gesetz zum Arbeitnehmer gemacht. Denn die Kriterien zur Abgrenzung von freier und Arbeitnehmertätigkeit wurden gar nicht verändert: Wer heute über den Arbeitgeber sozialversichert werden muß, galt auch schon nach der alten Gesetzeslage als ArbeitnehmerIn. Nur haben die Unternehmen diese gesetzlichen Vorschriften bisher gewohnheitsmäßig gebrochen.
Ihnen diese Möglichkeit zu verbauen, das ist das zentrale Anliegen des neuen Gesetzes. Es verbietet – grob zusammengefaßt – den Unternehmen, weiterhin nicht versicherte Freie für typische Arbeitnehmertätigkeiten einzusetzen. Damit erfüllt es eine alte Forderung der IG Medien, nämlich die freie Arbeit auf solche Aufgaben und Auftragsverhältnisse zu beschränken, bei denen freie Arbeit wirklich Sinn macht. Und für diejenigen „Freien“, die sich von Angestellten nur durch schlechtere Bezahlung und fehlenden Kündigungsschutz unterscheiden, feste Stellen zu schaffen.
Die Umsetzung liegt bei den Betriebsräten
Das Hauptproblem des Gesetzes ist, daß es keinen Schutz gegen bösartige Unternehmen enthält und die Durchsetzung ausgerechnet den Scheinselbständigen selbst überläßt. Da sind jetzt die Betriebsräte gefragt. Ihr Job ist es zu verhindern, daß das Gesetz zu Lasten der Freien umgangen wird. Und dafür zu sorgen, daß scheinselbständige Beschäftigungsverhältnisse zugunsten neuer fester Stellen abgebaut werden.
Daß da viel Spielraum besteht, haben die Betriebsräte bei „TV-Today“ und der Münchner „Abendzeitung“ gezeigt, wo feste Stellen schon für zahlreiche Freie durchgesetzt wurden (siehe M 3/98). Auch Überlegungen, die Zahl der Volontärsstellen deutlich zu erhöhen, wie etwa die „Neue Presse“ in Hannover sie anstellt, gehen in die richtige Richtung. Schließlich arbeiten viele der Scheinselbständigen ohnehin nur in diesem Status, weil sie auf eine Volontärsstelle warten.
Die Betriebsräte sollten nicht unterschätzen, was für eine starke Stellung sie derzeit haben: Der Betriebsrat hat ein Mitbestimmungsrecht bei den Fragebögen, mit denen die Arbeitnehmereigenschaft überprüft wird. Er muß detailliert vom Ergebnis der Fragebogenaktion informiert werden. Und er kann verlangen, daß Freie, die sich dabei als verkappte Arbeitnehmer herausstellen, nach der entsprechenden tariflichen Vergütungsgruppe bezahlt werden.
Die Unternehmen hingegen sind unter Druck. Ihnen muß klargemacht werden, daß es kein Entgegenkommen ist, wenn sie für Scheinselbständige Beiträge zur Sozialversicherung bezahlen. Sondern ihre gesetzliche Pflicht. Und wenn sie weiterhin Freie für typische Arbeitnehmertätigkeiten einsetzen, dann ist das Gesetzbruch.
Zudem können Betriebsräte den Unternehmen sehr handfest deutlich machen, daß Festanstellungsklagen von Scheinselbständigen nicht nur beste Erfolgsaussichten haben, sondern auch eine reale Perspektive sind: Bei der „Süddeutschen Zeitung“ haben sich inzwischen mehr als 30 Scheinselbständige gefunden, die mit Rechtsschutz der IG Medien und des DJV ihre Festanstellung erzwingen wollen. Es liegt an den Verlegern, ob dieses Vorgehen auch in anderen Betrieben Schule macht.