Erst gefeuert – dann wieder eingestellt

Berichterstattung über Lidl mit heftigen Auswirkungen

Am Ende setzte sich doch die bessere Einsicht durch; eine zuvor fristlos gekündigte Lokalredakteurin der Badischen Neuesten Nachrichten (BNN) erhielt ihren Job zurück. Ob das allerdings ohne Druck durch Medien und Gewerkschaften passiert wäre, ist eine offene Frage.

Als Sabine B. (Name geändert), seit vielen Jahren bei den BNN beschäftigt, eine Einladung des Lidl-Betriebsrates ins Lager Bietigheim erhielt, war sie etwas irritiert, denn der Anlass war völlig unklar. Beim Vor-Ort-Termin rühmte der – ver.di-ferne – Betriebsrat die Arbeitsbedingungen. An der kritischen Berichterstattung der Medien infolge des von ver.di herausgebrachten Schwarz-Buchs Lidl sei nichts dran. Sabine B. konnte sich keinen Reim aus diesem Vorstoß machen und tat, was gute JournalistInnen in solchen Fällen immer tun: Sie recherchierte. So erschien am 26. August ihr Beitrag, in dem sie nicht allein die Arbeitsbedingungen im Lager Bietigheim schilderte, sondern auch die Situation bei Lidl insgesamt – mit Verweis auf das Schwarz-Buch und nach einem Gespräch mit ver.di – knapp darstellte.

Bereits am Erscheinungstag meldete sich der kaufmännische Geschäftsführer des Verlages bei ihr und sagte, sie solle nicht solche Artikel verfassen, wenn ihr an ihrem Arbeitsplatz liege. Eigentlich war aber zu diesem Zeitpunkt schon über das weitere Schicksal Sabine B.s bei den BNN entschieden. Das wurde der Redakteurin klar, als sie eine Woche später zum Verleger zitiert wurde. Im Beisein des Chefredakteurs und des Lokalchefs warf er ihr journalistische Inkompetenz vor. Sabine B.s Argumentation, dass ihr Artikel sachlich und ausgewogen gewesen sei, zeigte keine Wirkung. Sie erhielt nach dem Gespräch die fristlose Kündigung mit der Begründung, sie habe gegen die Tendenz und die wirtschaftlichen Interessen des Verlages verstoßen. Tatsächlich schaltet Lidl in den BNN jährlich Anzeigen im Volumen von 1,4 Millionen Euro. Und im Betrieb war bekannt, dass Lidl bereits im Sommer versucht hatte, die Anzeigenpreise zu drücken. Das gelang nun; der kaufmännische Geschäftsführer reiste zur Lidl-Zentrale nach Neckarsulm und räumte dem Großkunden einen Rabatt ein.

Sabine B. erhielt nach der Kündigung Rückendeckung vom Betriebsrat und legte Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht ein. Doch bevor es überhaupt zur Verhandlung kam, lenkte der Verlag ein: Sabine B. wurde Anfang Oktober die Wiedereinstellung angeboten. In den Wochen zuvor hatten die Medien verstärkt über ihren „Fall“ berichtet.

Deutliche Worte fand etwa der BNN-Betriebsrat Ralf Kattwinkel in einem Radiobeitrag von SWR 4. Die Situation sei erschreckend, es sei „eine Kollegin geopfert“ worden, „um alle anderen fast 90 Kollegen handzahm zu halten“. Und SWR 4-Redakteur Erwin Kohla kommentierte: „Zeitungen leben vom politischen Diskurs, sie sollen Meinungen bilden, aber nicht dafür sorgen, dass man guten Werbekunden Gefälligkeitsberichte liefert.“ Schlimm genug, dass Verlegern solche Selbstverständlichkeiten vorgehalten werden müssen.

 

Weitere aktuelle Beiträge

Was tun gegen defekte Debatten

Das Land steckt in der Krise und mit ihm die Diskussionskultur. Themen wie Krieg und Pandemie, Migration und Rechtsextremismus polarisieren die politische Öffentlichkeit. In ihrem Buch „Defekte Debatten: Warum wir als Gesellschaft besser streiten müssen“ suchen Julia Reuschenbach, Politikwissenschaftlerin an der FU Berlin und Korbinian Frenzel, Journalist und Redaktionsleiter Prime Time bei Deutschlandfunk Kultur, nach Auswegen aus der diskursiven Sackgasse.
mehr »

Breiter Protest gegen Radiokürzungen

Als die Bundesländer im vergangenen September Reformvorschläge für ARD, ZDF und Deutschlandfunk vorgelegt haben, war klar: Diese beinhalten starke Kürzungen. Die ARD-Häuser müssen im Auftrag der Politik über die Verringerung von Radiowellen entscheiden. Die Anzahl der regionalen Hörfunkprogramme in der ARD soll demnach von rund 70 Wellen auf 53 sinken. Dagegen regt sich breiter Protest.
mehr »

Kriminalität nicht mit Migration verknüpfen

Kriminelle Migranten bedrohen die Sicherheit in Deutschland“ – dieses alte rechte Narrativ wird von der AfD neu belebt und verfestigt sich in der Mitte von Gesellschaft und Politik. Medien, die diese realitätsverzerrende Erzählung bedienen, weil sie meinen, die laute Minderheit repräsentiere ein öffentliches Interesse, spielen mit dem Feuer.
mehr »

Mit BigTech gegen Pressefreiheit

Der Vogel ist frei“ twitterte der US-Milliardär und Big Tech-Unternehmer Elon Musk am 28. Oktober 2022, dem Tag seiner Übernahme des Kurznachrichtendienstes Twitter, der damals noch den blauen Vogel als Logo hatte. Der reichste Mann der Welt wollte nach eigener Aussage den Dienst zu einer Plattform der absoluten Redefreiheit machen: „Freie Meinungsäußerung ist die Grundlage einer funktionierenden Demokratie, und Twitter ist der digitale Marktplatz, auf dem die für die Zukunft der Menschheit wichtigen Themen diskutiert werden“, hatte er zuvor erklärt.
mehr »