Jedem Krieg seine Mediendebatte? Dieser kommt ohne aus. Wir berichten so, wie die Medienkritiker es sich immer gewünscht haben.
Niemand bläst in die Kriegstrompete, das überlassen wir den Ministern mit den roten Ohren. Bei abstürzenden Apatschen und Tarnkappenbombern gerät niemand in Versuchung, für die „überlegene Militärtechnik“ zu schwärmen. Der Nato wird längst nicht alles geglaubt, und die „chirurgischen Schläge“ von einst kommen nur noch in galligen Kommentaren vor. In diesem Krieg werden auch die Opfer nicht übersehen: keine Zeitung, die nicht lange Flüchtlingsreportagen gedruckt hätte. Andererseits hüten sich die meisten Berichterstatter vor moralischer Panik und lassen sich von den Flüchtlingsschicksalen nicht dazu verleiten, wilde Angriffsszenarien zu entwerfen.
Wenn Klaus Naumann sich ein „Eisernes Kreuz“ wünscht, schütteln wir alle indigniert den Kopf. Wir wissen, was in dem mazedonischen und albanischen Lagern los ist und haben einen groben Überblick über die Lage im Kosovo. Die andere Seite, die sich meistens ziemlich wortkarg gibt, kommt zu Wort, wenn sie es wünscht. Jeder Zeitungsleser kennt wieder die wichtigsten serbischen Oppositionellen und weiß, was sie meinen. Der Krieg ist natürlich furchtbar, aber wir Journalisten, scheint es, machen unsere Sache gut.
Natürlich gibt es auch wieder einige medienkritische Stimmen: Manche stört es, daß wir nicht deutlicher ihr jeweiliges Fähnchen hissen. Die einen vermissen unseren Aufschrei über die verbrecherische Aggression der Nato gegen ein kleines, unbeugsames Land, das als einziges die Prinzipien des Völkerrechts hochhält. Die anderen hätten es gern, wenn wir dem Leservolk täglich neu die Mörderfratze des Slobodan Milosevic entgegenhielten, statt an unserer Nato herumzumäkeln. Mit solchen Medienkritikern kann man aber leben. Die Fronten sind ohnehin schon seit Jahren klar; selbst Peter Handke regt niemanden mehr auf. Die meisten von uns Journalisten sitzen gemeinsam mit dem Volk und seiner Regierung einfach im Dilemma zwischen Frieden und Menschenrechten. Selbst wenn man dabei auf diese oder jene Seite neigt: Man leidet an Selbstzweifeln und mag den Mund nicht allzu voll nehmen.
Unserer Mäßigung und Ausgewogenheit kommt sehr entgegen, daß niemand direkt aus dem Kosovo berichten kann, niemand aus dem tiefen Serbien und nur sehr wenige, wie der überragende Bernhard Küppers von der „Süddeutschen Zeitung“, aus Belgrad. Die großen Geschichten sind alle aus Mazedonien, Albanien und Montenegro. Ihre Verfasser stehen auch keineswegs informationshungrig an der Grenze und schauen mit Ferngläsern hinüber. Flüchtlingsschicksale, die sich ja alle gleichen, liegen in diesen Ländern auf der Straße. Seit an die 12.000 Kosovo-Albaner in Deutschland angekommen sind, erübrigt es sich sogar, dafür einen Reporter hinunterzuschicken. In Mazedonien sitzt die vertriebene OSZE-Mission und tut den ganzen Tag nichts anderes als herausfinden, was wir Journalisten wissen wollen. Die Mission ist zahlreich, gut organisiert und ziemlich medienoffen. Sie hat 1.200 Interviews mit Flüchtlingen geführt, kann also sowohl mit vielen Einzelschicksalen als auch mit einem guten Überblick aufwarten. Sie ist nicht Partei, hat aber das Herz auf dem rechten Fleck. Was will man mehr?
Die Technik funktioniert – Vorteil …
Daß wir die direkte Berichterstattung aus dem Kriege kaum vermissen, liegt an unserer überlegenen Technik. Anders als seinerzeit in Bosnien und Kroatien funktionieren in Mazedonien und Albanien (nicht in Montenegro) Mobiltelefone, auch wenn man in Albanien dafür eine lokale Karte kaufen muß. Sie lassen sich per Kabel oder Infrarot-Schnittstelle mit dem Notebook verbinden, und so können wir auch aus dem Lager Cegrane bis 17 Uhr 200 Zeilen liefern. Das ist für Reporter und Korrespondenten einerseits eine Erleichterung. In Sarajewo zum Beispiel mußte ich mittags mit meinem Text fertig sein und dann ein paar Stunden in der Redaktion von „Oslobodjenje“ herumwieseln, bis der Kollege Operator Zeit fand, meinen Text über Ljubljana nach Deutschland zu schicken. Das war nervig, häufig klappte es nicht, und man verlor enorm viel Zeit. Aber es hatte auch seine angenehme Kehrseite. Als ich zum Beispiel 1992 nach Knin und 1993 nach Pale gefahren bin, erwartete niemand von mir, daß ich von dort einen Text schicken würde. Ich schrieb nach meiner Rückkehr, als das Thema ausrecherchiert war. Heute ruft mich zwei Stunden nach meiner Ankunft am Ende der Welt einer an und fragt: „Sag’ mal kannst du nicht bis morgen? Ja, ja, ich verstehe ja, daß du erst einmal recherchieren willst, aber der X von der Y-Zeitung hat schon vorige Woche! Ich kann die Seite auch bis sieben offen halten…“ Meinen Texten wenigstens kommt dieser zusätzliche Druck nicht zugute.
… und Nachteil
Schlimmer ist, daß man mit Handy und Notebook auch ins Internet kommt. Wer nämlich ins Internet kann, liefert von vor Ort nicht nur Reportagen und Interviews, sondern zunehmend auch die berüchtigten Features. Sie sind sehr gefragt, man braucht sie besonders häufig für die Seite 3. Es sind lange, erzählende, also – in einem weiten Sinne – unterhaltsame Texte, die den Leser zugleich rundum ins Bild setzen sollen: ein bißchen Reportage, ein bißchen Bericht, ein bißchen Hintergrund, alles möglichst durch eine Art These verknüpft, ein bißchen Analyse also auch. Wer sich ernsthaft an einen solchen Text wagen will, müßte eigentlich das Land kennen, über das er schreibt, seine jüngere Geschichte verfolgt haben und möglichst auch die Sprache sprechen, Geschehnisse einordnen können, zugleich aber noch neugierig genug sein, um sich gemeinsam mit dem Leser überraschen zu lassen.
Seite-3-Geschichten sind so beliebt, daß sie sich zunehmend über das ganze Blatt ausbreiten: „Paß auf, mach 80 Zeilen, szenischer Einstieg, aber dann müssen wir schon das Tagesgeschehen mit reinbringen, weil wir vorne keinen Platz haben!“ sagt der Auslandsredakteur. Der Reporter oder Korrespondent könnte dieses Ansinnen einfach zurückweisen, gäbe es da nicht das Internet, das alle seine Defizite kompensiert. Denn was mir an Aktualität und Hintergrund noch fehlt, bekomme ich dort. Ich habe einfach keine Ausrede mehr. Nicht nur, daß das Web mir die Agenturmeldungen schickt. Ich kann auch mal eben bei den Serben vorbeischauen, gucken, was die montenegrinische Regierung meint oder ein Flüchtlingsschicksal heranbeamen. Warum vier Stunden beim mazedonischen Innenminister vor der Tür liegen, wo der Mann doch gerade erst gestern NRC-„Handelsblad“ ein Interview gegeben hat? Den szenischen Einstieg kann ich mir zur Not auf dem Weg vom Hotel Makedonija ins Internet-Café von Tetovo holen. Nirgends mehr hält mich ein Genius loci gefangen, ich kann von überallher umfassend und ausgewogen berichten. Übrigens auch von Hamburg oder Leipzig aus. Den Unterschied erkennt man nur noch an der Spitzmarke. Ob die auf Dauer den Preis eines Flugtickets wert ist? Muß man sich dafür einen Korrespondenten halten?
Problemfall Features
Es ist in der Tat so, daß ein begabter Autor schön lesbare Seite-3-Geschichten auch schreiben kann, ohne die Strapaze einer Reise in entlegene Gebiete auf sich zu nehmen oder jahrelang die Geschichte eines Landes zu studieren. Große Tageszeitungen haben in diesem Krieg in den umliegenden Hauptstädten Skopje, Tirana und Podgorica Sonderberichterstatter installiert, die natürlich nicht alle über Balkanerfahrung verfügen können. Man vergleiche ihre Features mit denen der Korrespondenten: Sie sind nicht schlechter. Features sind vielmehr per se schlecht. Unterstützt und gefüttert durch das Internet, schaffen sie den allwissenden Journalisten. Wir bekommen die Wirklichkeit von oben gezeigt, von da, von man alles sieht, und der Autor ist ihr auktorialer Erzähler. Er kennt die Gedanken und Gefühle von Flüchtlingen, in deren Gesichtern er liest, ebenso wie die Worte der Politiker. Alles ist authentisch, denn der Journalist war ja erkennbar vor Ort, und der Leser glaubt alles aufs Wort. Der Autor weiß natürlich auch, wie es früher war, selbst wenn er erst gestern zum erstenmal in Montenegro angekommen ist. Würde ich in einem Feature über die Serben und das Kosovo den Dialog des Köngs Lazar mit seinen Schwiegersöhnen in wörtlicher Rede wiedergeben, würde sich keiner fragen, ob ich denn an jenem 28. Juni 1389 wirklich dabei war.
Mit Features kann man alles machen. Ob meine Analyse Frucht jahrelangen Grübelns ist oder ob ich sie erst heute morgen irgendwo beim Surfen gefunden habe, wird kein Leser merken. Nur irgendwann werden sie alle die virtuellen Texte satt haben, den Einheitsbrei ausspucken und sich fragen, ob die Wirklichkeit nicht eigentlich nur das Produkt einer großen Journalistenverschwörung ist. Und zwar zu Recht.
Im Krieg fällt die Dominanz der Textform Feature besonders unangenehm auf: Alle harten Gegensätze müssen so abgeschliffen werden, daß sie in einen Text passen und von einem Autor gefällig formuliert werden können. Es nützt auch nichts, einen Text antithetisch aufzubauen, im Gegenteil: Je mehr Gegensätze ich hineinpacke, desto mehr Totalität maße ich dem Artikel an, der die Gegensätze ja doch alle umgreift. Die Leser bekommen einen fertig durchdachten Krieg, keinen, der ihnen noch zu denken geben muß. Die Reaktion ist Achselzucken. Nicht daß der Krieg die Menschen nicht bewegte. Aber sie wissen nicht, was sie bei allem Gescheiten und Ausgewogenen, was sie lesen, dazu noch sagen sollen. Sie wollen Stoff, an dem sie sich reiben, mit dem sie sich auseinandersetzen können, nicht mit uns zusammen in der großen Suhle namens Dilemma planschen.
Informationsquelle Internet – für die Redaktion, nicht den Reporter
Dies ist keine Kulturkritik, und es ist auch nicht das Internet oder der technische Fortschritt der Übeltäter. Im Gegenteil: Die modernen Übertragungstechniken schaffen Freiräume für die Recherche, und das Internet ist gerade für die Kriegsberichterstattung ein Segen. Erst das Web ermöglicht uns, im Kriege auf beiden Seiten zugleich zu sein, weil es die Zensur erschwert. Auch nach ihrem Verbot war die Belgrader Zeitung „Nasa borba“ noch eine Weile im Netz zu bekommen. Initiativen oppositioneller Serben können sich Gehör verschaffen. „Most stubova“, die „Stufenbrücke“, wendet sich aus Belgrad direkt an die westliche Öffentlichkeit. Unsere Leser können, wenn sie die andere Seite hören wollen, auf www.gov.yu oder www.politika.co.yu gehen und selber nachlesen, was dort gesagt wird.
Die Öffentlichkeit ist für beide Seiten schwerer zu manipulieren. Die Nachrichtenseiten können mit dem Internet enorm gewinnen, und es wäre auch lebensfern, wenn man den Reporter oder Korrespondenten um seiner „Unbefangenheit“ willen offline hielte. Nicht die Technik ist das Problem, es sind die Textformen.
Als direkte Informationsquelle nutzt das Internet am besten und allein der Nachrichtenredakteur. Er hat einen stationären Computer und eine sichere Leitung, weiß, wer die Webseiten, die er aufschlägt, betreut und was von den dort gebotenen Informationen zu halten ist.
Vom eigentlichen Schauplatz des Krieges wird nichts berichtet
Reporter und Korrespondenten werden das Netz als Hilfsmittel nutzen, aber die Antwort auf ihre Fragen sollten sie dort nicht suchen. Reporter, eigentlich die Elite unseres Standes, werden am häufigsten mißbraucht. Sie sollen naiv sein dürfen, mit dem Unwissen des durchschnittlichen Lesers in eine fremde Umgebung gehen und einfach erzählen, was sie dort sehen und erleben – eine unschätzbar wertvolle Leistung, die kein Internet je wird ersetzen können.
Korrespondenten können Reporter nicht ersetzen: Wer zum zwanzigsten Mal ins Kosovo reist, sieht das alles einfach nicht mehr, was den Neuankömmling sofort in seinen Bann zöge. Statt aber Reporter einfach erzählen zu lassen, verlangen Redaktionen von ihnen, daß sie „nebenher“ die tägliche Berichterstattung erledigen. Dabei kann nichts Gescheites herauskommen.
Korrespondenten dagegen sollten Themen aufspüren und recherchieren; nur sie können – mit ihren Verbindungen, Sprach- und Kulturkenntnissen – in einem fremden Land annähernd so arbeiten, wie es ein deutscher Journalist in Deutschland tut. Nur sie können wirklich etwas Neues herausbekommen. Und sie können als einzige gehaltvolle Interviews führen: Muß sich wirklich jeder ausländische Journalist vom albanischen Staatspräsidenten erklären lassen, was er in jedem Handbuch nachlesen könnte?
Redakteure schließlich müssen ihren Reportern und Korrespondenten Fragen stellen. Weder Reporter noch Korrespondenten hätten eigentlich Zeit, im Internet herumzusurfen, wenn sie angemessen eingesetzt würden. Dann fiele es auch wieder unangenehm auf, daß vom eigentlichen Schauplatz des Krieges überhaupt nicht berichtet wird. Und man würde nicht auf allen Websites immer denselben fünf Nachrichten begegnen…