Die Stadtillustrierten stecken in der Krise. Kostenlose Supplements und Veranstaltungskalender der etablierten Medien machen den einstigen Alternativblättern zu schaffen. Auch die Party-Generation stillt ihre Info-Bedürfnisse längst aus eigenen Spezialmedien. Spezialmedien wie zum Beispiel den „Flyer“. Ein schnellebiger Markt fordert flexibles Reagieren auf wechselnde Moden.
Ein bißchen komisch ist es schon: Einst galten die Stadtillustrierten als häßliche Entlein unter den Jugendmedien. Doch kaum hat die Werbewirtschaft die mehr und mehr zu Lifestyle-Inhalten tendierenden Magazine als Werbeträger entdeckt, laufen diesen die Leser davon. Besonders deutlich zeigt sich diese Tendenz in Berlin. Hier erscheinen die beiden Veteranen der Szene, das „Tip-Magazin“ und „Zitty“. Zwar führen sie in ihrem Segment nach wie vor die Auflagenhitliste an. Doch beide haben in den letzten fünf Jahren zusammen rund 25.000 Käufer verloren. Ursachen gibt es viele. Da wäre die flaue Konjunktur, die die privaten Medienbudgets schmälert. Auch die nachlassende Leselust der jüngeren Generation mag eine Rolle spielen. Zudem warten alle drei Berliner Abonnementszeitungen „Der Tagesspiegel“, die „Berliner Morgenpost“ und die „Berliner Zeitung“ wöchentlich mit einen passabel gemachten Kulturfahrplan auf. Seit einiger Zeit aber wird die Leserschaft der Stadtillus da angeknabbert, wo es besonders weh tut: bei den Jugendlichen. Im Zuge des Techno-Booms der vergangenen Jahre entstanden Special-interest-Publikationen, die vor allem bei den Klubgängern der Szene mächtigen Erfolg hatten.
Zum Beispiel der „Flyer“, ein bundesweit gratis vertriebenes Magazin für die Techno-Anhänger. Das im handlichen A6-Format in Szenetempeln und -Läden vertrieben Blättchen erreicht bundesweit eine Auflage von knapp 300.000 Exemplaren. Derzeit erscheint es monatlich in Frankfurt/M., Hamburg, NRW, Leipzig und München. Auch in New York wurde 1998 eine Filiale eröffnet. In Berlin, dem Zentrum der Techno-Bewegung, wird das Blatt zweiwöchentlich in Kneipen und einschlägigen Szene-Treffs ausgelegt. Der Erfolg fällt regional unterschiedlich aus: Während die Berliner Ausgabe aufgrund der lebendigen Club-Szene keine Probleme hat, gelten der Frankfurter und der Münchner Markt als eher schwierig.
Herausgegeben wird der „Flyer“ von dem 27jährigen Verlagskaufmann Marc Wohlrabe und seiner „zeitbank medien + verlag GmbH“. Wohlrabe ist Sohn des verstorbenen ehemaligen CDU-Politikers und Präsidenten des Berliner Abgeordnetenhauses Jürgen Wohlrabe. Einen Teil der Gewinne des geerbten „Jugendfilm“-Verleih investierte er in Projekte wie den „Flyer“ oder auch die in diesem Jahr zum zweiten Male stattfindende Jugendmedienmesse „Berlin Beta“.
Der „Flyer“ versteht sich „als eine Art Filteranlage für das Stadtgeschehen“, sagt die Berliner Chefredakteurin Olga Blumhardt. Als engere Zielgruppe definiert sie „neugierige Menschen“ im Alter von 16 bis 29 Jahren. Für diese Menschen filtere man „alles, was uns selbst auch interessiert, Kultur, Film, Klubgeschehen, halt alles, was in dieser Stadt so brodelt“. Zumindest auf musikalischen Gebiet greifen Titel wie der „Flyer“ die Lokalkompetenz der etablierten Magazine erfolgreich an. Diese haben mitsamt ihrer Leserschaft jüngere Musiktrends vielfach verschlafen. Aber auch der „Flyer“ selbst ist anfällig für die rasant wechselnden Geschmäcker der Kids. Techno ist zwar noch nicht völlig out, hat aber offensichtlich den Zenit längst überschritten. Vor allem die Dekadenz der Raver erscheint unaufhaltsam. Die Ankunft im gesellschaftlichen Mainstream zeichnete sich bereits bei der letzten Berliner Love Parade ab. In diesem Jahr, so registriert die „Flyer“-Redaktion in der ersten Juni-Nummer der Berliner Ausgabe mißvergnügt, haben sogar die „Jungen Liberalen“ und die „Jungen Christdemokraten“ ihre Teilnahme mit eigenen Trucks angekündigt. Der diesjährige Slogan „Music is the key to peace“, so die Kritik, sei Ausdruck einer verinnerlichten „Politik der schwammigen Worte“. Denn: „Natürlich ist mit dem… Motto nicht die ausdrückliche Ablehnung des Nato-Einsatzes gemeint.“ „Breit abraven mit Diepgen auf dem JU-Wagen“ – das werde wohl der Höhepunkt der Love-Parade ’99, lästern die „Flyer“-Macher.