Ein Jahr rot-grüne Medienpolitik
Die beste Medienpolitik, so pflegte der einstige SPD-Kanzler Helmut Schmidt zu sagen, sei gar keine Medienpolitik. Gemessen an diesem Leitsatz fällt die medienpolitische Bilanz der rot-grünen Koalition nach einem Jahr geradezu vorbildlich aus. Mit einer Ausnahme: Was als „Verbesserung der medialen Außenrepräsentanz“ der Bundesrepublik Deutschland angekündigt worden war, endete als Sparorgie, die zum Verlust von bis zu 600 Arbeitsplätzen führen könnte.
Schon in der Koalitionsvereinbarung mußte man medienpolitische Vorhaben mit der Lupe suchen. Herausgekommen ist bislang kaum etwas Greifbares. Die „Reform“ der Deutschen Welle kann nicht gerade als Beleg für eine phantasievolle Medienpolitik durchgehen. Das findet auch Alice Ströver, Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft Medien von Bündnis 90/Die Grünen und wiedergewähltes Mitglied der bündnisgrünen Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. „Wenn man sich schon gezwungen sieht, den Etat der Deutschen Welle zu kürzen“, bemängelt sie, „so hätte man dies mit einer inhaltlich strategischen Diskussion über die Funktion und Rolle des Auslandsrundfunks verbinden müssen.“ Eine solche Debatte habe aber nicht einmal ansatzweise stattgefunden. Statt dessen schlug die Stunde der Sparkommissare und die Reform mutierte zum Kahlschlag. In den kommenden vier Jahren dürfte etwa jeder Dritte der gegenwärtig rund 1700 Mitarbeiter der Welle seinen Job verlieren. Ob so die mediale Außenrepräsentanz gestärkt wird, erscheint eher zweifelhaft.
Stichwort „Zeugnisverweigerungsrecht“
Im Bereich des Medienrechts enthält die Koalitionsvereinbarung zwei konkrete Projekte: die Verbesserung des presserechtlichen Persönlichkeitsschutzes und des Zeugnisverweigerungsrechts für Journalisten. Vor allem die Reform des Zeugnisverweigerungsrechts wird von den Medien und Journalistenorganisationen seit Jahren angemahnt. Denn in letzter Zeit tauchten immer wieder mal Polizeibeamte in den Redaktionen auf – auf der Suche etwa nach Bekennerbriefen oder Filmaufnahmen von turbulent verlaufenen Demonstrationen. Solche Dokumente können nach geltender Gesetzlage beschlagnahmt werden. Die Koalition hat gelobt, selbstrecherchiertes Material künftig vor dem Zugriff von Polizei und Staatsanwaltschaft zu bewahren. Nur: Passiert ist bisher nichts. Jörg Tauss, Mediensprecher der SPD-Bundestagsfraktion, räumt ein, daß es „im Moment noch keine parlamentarische Inititiative“ seiner Fraktion in diesem Bereich gibt. Er verweist auf entsprechende Aktivitäten des Bundesjustizministeriums, von denen bislang allerdings nichts an die Öffentlichkeit gedrungen ist. Ganz im Gegensatz zu einem Gesetzentwurf der FDP-Bundestagsfraktion, der Anfang Oktober im Parlament präsentiert wurde. Er stieß indes bei den Koalitionsparteien und der Fachöffentlichkeit nicht auf allzu große Begeisterung. Zwar soll die Exekutive dem Entwurf zufolge „nur in krassen Ausnahmefällen“ das Recht zur Einschränkung der Pressefreiheit haben. Aber ein absurd langer Katalog von Ausnahmeregelungen schränkt das formal erweiterte Zeugnisverweigerungsrecht gleich wieder ein. Jetzt heißt es abzuwarten, was im Hause von Justizministerin Herta Däubler-Gmelin ausgebrütet wird.
Stichwort „Bundesdatenschutzgesetz“
Bei einem anderen Paragrafenwerk liessen sich die Koalitionäre dagegen weniger Zeit. Unlängst wurde ein Referentenentwurf des Bundesinnnenministeriums für eine Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes publik. Dieser sieht vor, das sogenannte Medienprivileg abzuschaffen. Künftig, darauf läuft dieses Vorhaben hinaus, könnte die journalistische Verarbeitung personenenbezogener Daten der Kontrolle eines Datenschutzbeauftragen unterworfen werden (siehe M 11/99 und Seite 13/14 in dieser Ausgabe). Kaum drang die Sache an die Öffentlichkeit, schlugen die potentiell Betroffenen Alarm. Presserat und IG Medien äußerten sich deutlich. Eine mit der grundgesetzlich verbürgten Pressefreiheit unvereinbare Zumutung, wetterten etwa die deutschen Zeitungsverleger. Mit der praktischen Arbeit einer Redaktion sei eine solche Regelung überhaupt nicht kompatibel, urteilte BDZV-Sprecher Hans-Joachim Fuhrmann. Zudem stehe sie im Widerspruch zum Zeugnisverweigerungsrecht, das ja gerade erst erweiterte werden solle. Auch SPD-Mediensprecher Tauss zeigt sich in einsichtig. Der vorgelegte Entwurf sei „sehr stark von Seiten der Datenschützer beeinflußt“, laufe aber auf einen „erheblichen Eingriff in die journalistische Freiheit“ hinaus. Im Zweifelsfalle sei aber die Pressefreiheit höher zu bewerten als ein formaler Datenschutz. Mittlerweile habe man auch im Otto Schilys Behörde erkannt, daß es so nicht gehe. Der unausgegorene Entwurf dürfte daher keine Gesetzesreife erlangen.
Stichwort „Scheinselbständigkeit“
Auf sozialpolitischem Gebiet fing sich die Regierung in Sachen 630-Mark-Gesetz und bei der Neuregelung der Scheinselbständigkeit herbe Kritik von Seiten der Betroffenen ein (siehe Seite 43). Staatsminister Naumann witterte in dieser Kritik „die alte deutsche Sehnsucht nach dem perfekten Gesetz“, gelobte aber dennoch Korrekturen, „wenn die Belastung für die Wirtschaft zu groß und die positiven Effekte zu niedrig sind“.
Stichwort „Medienkonzentration“
War sonst noch was? In medienpolitischen Sonntagsreden warnen rot-grüne Politiker gern vor den Gefahren fortschreitender Medienkonzentration. Doch mag der deutsche private Fernsehmarkt sich auch faktisch in ein Duopol von Bertelsmann und Kirch verwandelt haben – praktische Konsequenzen haben solche Erkenntnisse nicht. An das anachronistisch zersplitterte System der Medienaufsicht über den privaten Rundfunk wagt sich Rot-Grün nicht ran. Als billige Entschuldigung dient meist der Hinweis auf den Kulturföderalismus der Länder. Eine verkürzte Sichtweise, findet Alice Ströver von den Bündnisgrünen: Man könne Medienpolitik nicht einerseits kleinteilig als Ländersache betreiben und andererseits wissen, daß es natürlich um global players gehe. „Auf Bundesebene vermißt man einfach einen Blick für diese Dimension der Medienpolitik.“
In der SPD wird zwar immer mal wieder eine stärkere Vernetzung von Medienaufsicht und -politik gefordert. Das Problem der „zersplitterten Zuständigkeiten und des Nebeneinanders vieler Regulierungs- und Aufsichtsinstanzen“, so schlug unlängst wieder einmal Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Wolfgang Clement vor, könne mithilfe eines „Kommunikationsrates“ angegangen werden. Eines Rates, der die Tätigkeit von Landesmedienanstalten, der Regulierungsbehörde für Post und Telekommunikation, dem Bundeskartellamt und der Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) koordinieren könnte. Die Idee, für die MdB Jörg Tauss das Copyright beansprucht, stieß bislang auf wenig Gegenliebe. Einstweilen geht die Debatte über unverbindliche Sondierungsgespräche mit den betroffenen Instanzen im Rahmen der Friedrich-Ebert-Stiftung nicht hinaus. (Zur Erinnerung: einen entsprechenden Vorschlag für einen „Medien- und Kommunikationsrat“ hat die IG Medien bereits vor fünf Jahren vorgelegt und diese Forderung zuletzt im Frühsommer dieses Jahres nachdrücklich bekräftigt – siehe M 6/99, Seite 32, d. R.).
Stichwort „Staatsferne des Rundfunks“
Beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk dagegen setzt die rot-grüne Koalition die unrühmliche Praxis ihrer konservativen Vorgänger fort. Ungeniert schickten sie – entsprechend den neuen Mehrheitsverhältnissen – hohe Funktionsträger in die Verwaltungs- und Rundfunkräte von ZDF, Deutscher Welle und DeutschlandRadio. In der medienpolitischen Programmatik beider Parteien liest es sich anders. Darin wird unmißverständlich eine möglichst große Staatsferne des Rundfunks gefordert. Kritik an dieser opportunistischen Praxis läßt die Bündnisgrüne Ströver, selbst Mitglied im DeutschlandRadio-Rundfunkrat, nur bedingt gelten. „Es wäre ja dämlich, diese Sitze nicht auszufüllen, solange es sie gibt.“ So weit gehe der Altruismus denn doch nicht.
Politische Abstinenz zu verlangen wäre sicherlich naiv. Aber daßdie SPD direkt nach dem Wahlsieg vor einem Jahr unter anderem den damaligen Kanzleramtsminister Bodo Hombach in den Verwaltungsrat des ZDF schickte, widersprach schlicht ihren eigenen medienpolitischen Prinzipien. Die Grünen agierten kaum besser: Sie entsandten zum Beispiel Außen-Staatssekretär Ludger Volmer in den Verwaltungsrat der Deutschen Welle. Das geht auch Alice Ströver zu weit. Zumindest Regierungsmitglieder, so meint sie, hätten in den Aufsichtsgremien der Sender nichts zu suchen. Schließlich sollen die Medien die Mächtigen kontrollieren, nicht umgekehrt. Von einer Initiative, die bekannte Praxis der Parteienkungelei in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkräten einzudämmen, sickerte bislang allerdings nichts durch.
So weit, so schlecht. Medienpolitik, dieser Eindruck drängt sich unweigerlich auf, ist kein Aktionsfeld, auf dem die rot-grüne Regierung besonderen Ehrgeiz entwickelt. Auch die erstmalige Einsetzung eines veritablen Staatsministers für Kultur und Medien ändert daran nichts. Blickt man auf die Parteien- und Fraktionsebene, so wird deutlich, daß auch für den Rest der Legislaturperiode wenig Anlaß zu übertriebener Hoffnung besteht. Der bisherige Vorsitzende des Arbeitskreises Medienpolitik in der SPD, Reinhard Klimmt, wurde nach verlorener Landtagswahl im Saarland zum Bundesverkehrsminister gekürt. Er dürfte anderweitig zu tun haben. Geradezu desolat die Situation des Ressorts bei den Grünen. Deren bisheriger medienpolitischer Sprecher im Bundestag, Cem Özdemir, schmiß Anfang Oktober entnervt den Bettel hin. Begründung: Die Fraktion hatte die Neubesetzung der kürzlich vakant gewordenen Stelle eines/r kultur- und medienpolitischen Referenten verweigert. „Wir halten das inhaltlich für ein absolut falsches Signal“, protestierte die BAG Medien der Bündnisgrünen in einem Brief an den Fraktionsvorstand. Damit gebe Bündnis 90/Die Grünen zu erkennen, „daß sie zukunftsträchtige Felder brach liegen lassen“. Auch die Landesarbeitsgemeinschaft Medien der GAL in Hamburg äußerte sich „tief befremdet“ über die Personalentscheidung und fand starke Worte: „Eine Fraktion, die … in geradezu fahrlässiger Weise ihrer Geringschätzung des Bereiches Medien Ausdruck verleiht, indem sie… es für nicht notwendig befindet, eine inhaltliche, kontinuierliche Zuarbeit für die Fraktion und Cem zu gewährleisten, macht sich in einer längst angebrochenen Wissensgesellschaft im ausgehenden 20. Jahrhundert, an der Schwelle zum dritten Jahrtausend lächerlich…“.
Der geringe Stellenwert, den Medienpolitik bei den Grünen genießt, läßt sich auch am Infoangebot der Partei im World Wide Web ablesen. Klickt man bei der Volltextsuche die „Forderungen zur Medienpolitik“ an, landet man beim Stichwort „Wohnungspolitik der Koalition gescheitert“. Gemeint ist offenbar die Politik der schwarz-gelben Koalition von Kohl und Kinkel – der Beitrag stammt aus dem Jahr 1996.