Kränkelt die Journalistik?

Medienausbildung an Hochschulen: Trend zur Public Relation

Die Zahl der Profis im Journalismus geht zurück, die in den Public Relations steigt. Zeichnet sich in der Ausbildung die gleiche Verschiebung ab wie im Berufsfeld?


Im Januar gab es einen Aufschrei in Wissenschaft und Gewerkschaften, als der Leipziger Journalistik-Lehrstuhl von Michael Haller nach dessen Emeritierung in eine Professur für Umwelt- und Gesundheitskommunikation umgewandelt werden sollte. Die „kalte Übernahme“ durch die PR sei inzwischen zurückgenommen worden und das Institut erarbeite ein neues Profilpapier, entwarnte Haller. Ist der Fall Leipzig symptomatisch für eine „kränkelnde“ Journalistenausbildung an den Hochschulen?
Verschulung und Ökonomisierung der Ausbildung seien zentrale Veränderungen im Zuge des „Bologna-Prozesses“, bilanzierte Klaus-Dieter Altmeppen, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) zu Beginn einer Diskussion über die Journalistenausbildung an Hochschulen, zu der die Fachgesellschaft während ihrer Jahrestagung Anfang Juni in Dortmund eingeladen hatte. Journalistik werde immer häufiger an Fachhochschulen, oft zusammen mit PR angeboten. Der Praxisbezug sei verstärkt und Impulse aus der Journalistikforschung als Reflexionswissenschaft fehlten.
für junge Menschen ist es immer noch attraktiv, „etwas mit Medien“ zu machen. Zurzeit gibt es etwa 500 entsprechende Studiengänge an Universitäten und Fachhochschulen. Die öffentlichen Hochschulen regeln den Zugang über einen Numerusklausus und begrenzen ihn zudem teilweise durch Studiengebühren, die privaten Einrichtungen verlangen Entgelte. Durch Geld statt Note bekämen die eine Chance, deren Abi-Schnitt z.B. für den Dortmunder Studiengang nicht reicht, erklärte Roland Schröder, Journalistikprofessor an der Business and Information Technology School (BiTS) in Iserlohn, die etwa 700 Euro pro Monat kostet. Die Absolventen hätten gute Jobaussichten.

Wenig Zeit für Reflektion

Private Fachhochschulen „bedienen einen Markt“, konstatierte Frank Lobigs, der das von ihm geleitete Dortmunder Institut als „Gegenmodell“ dazu präsentierte, da es „auf eine öffentliche Aufgabe hin orientiert“ sei. In Dortmund gebe es keine PR, denn sie sei nicht „Gemeinwohl orientiert“. Diese Rigorosität, die im Publikum zum Teil als Arroganz gegenüber Fachhochschulen und PR rüberkam, teilten seine professoralen Kollegen nicht. Für die Uni Münster, an der für Medienberufe ausgebildet wird, stellte Professor Bernd Blöbaum fest: „Mit einer soliden Journalistenausbildung kann man auch in der PR arbeiten.“ Allerdings müsse eine „öffentliche Einrichtung nicht für das Industrie geprägte Feld ausbilden.“ Sowohl die private Fachhochschule Iserlohn als auch die staatliche in Bremen bieten grundständige Journalismusstudiengänge an, vermitteln aber zudem Kenntnisse über PR, denn damit müssten Studierende „sich auch auseinandersetzen“, so die Bremer FH-Professorin Beatrice Dernbach.
Das eigentliche Problem sei nicht die Abgrenzung zwischen PR und Journalismus in den Studiengängen, sondern zu wenig Zeit für Reflexion, sagte Michael Haller. Damit spielte er auf den zunehmenden Medienpraxisbezug an. Dieser gehe auf die Erwartung der Studierenden nach mehr Berufsorientierung zurück, betonte Bernd Blöbaum.
Mit der Metapher vom „Gärtner und Botaniker“ hatte der Hamburger Professor Siegfried Weischenberg veranschaulicht, dass die Journalistik beides braucht: wissenschaftliche Theorie und Medienpraxis. Dabei sei es irrelevant, ob das Fach an einer Uni oder in einer FH gelehrt werde. Ausschlaggebend sei die Qualität der Ausbildung. Als Negativbeispiel nannte er die Fachhochschule Ansbach, wo eine Professur als „Eier legende Wollmilchsau“ verschiedenste Studieninhalte vermitteln müsse, was zu Lasten von Qualität gehe.
Auch dju-Gewerkschafterin Manon Westphal betonte, wie wichtig eine Qualität sichernde Verzahnung von Praxis und Theorie ist, denn: „Die Gesellschaft braucht kritischen Journalismus!“ Kontraproduktiv sei da der Masterstudiengang „Journalismus und Medienwirtschaft“, der zum Wintersemester 2010/11 an der FH Kiel eingerichtet wurde – in Kooperation mit dem Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag. Er kombiniert die Verlagsausbildung mit dem Studium, so dass die Volontäre etwa 20 Stunden mehr Arbeitsbelastung haben und auf eine Sieben-Tage-Woche kommen. Wo bleibt da noch Zeit für akademische Reflexion der Medienpraxis?
Ulrike Kaiser (DJV) warnte vor einer „rapiden Deprofessionalisierung im Journalismus“ durch den Rückzug der Journalistik zugunsten von PR in den Studiengängen. Sie schlug eine Neuauflage des Memorandums zur Journalistenausbildung vor, das 1973 unter Federführung des Presserates verabschiedet wurde – und stieß damit nicht nur bei ihrer Gewerkschaftskollegin auf offene Ohren.
In der professoral dominierten Debatte kam eins zu kurz: die durch zunehmende Prekarisierung geprägte Arbeitswelt von jungen Wissenschaftlern und Medienschaffenden. Wen wundert es da, dass für eine akademische Karriere eine hohe intrinsische Motivation nötig ist? Dass viele Studierende eine berufsbezogenere Ausbildung in Fachhochschulen – andere Medienberufe als den Journalismus anstreben – mit besseren Jobschancen und höherem Einstiegseinkommen? Das, was zurzeit von der Journalistenausbildung an Hochschulen erwartet wird, bringt ein Vortragstitel der Dortmunder Tagung auf den Punkt: „Nicht so viel Theorie und später schnell einen sehr guten Job“. Wenn sich das ändern soll, müssen sich die Arbeitsbedingungen ändern – in Wissenschaft und Medienpraxis.

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