An großen Worten fehlt es in der Regel nicht, wenn es darum geht, das kulturelle Filmerbe zu sichern. Immerhin liegt dort das visuelle Gedächtnis der Gesellschaft aufbewahrt, aus dem kommende Generationen lesen können. Für diese Kulturtat hat Kulturstaatsministerin Monika Grütters in den letzten Jahren bis zu eine Million Euro bereitgestellt – und diese Summe im Jahr 2017 verdoppelt.
Nutznießer dieses Geldes sind das Bundesarchiv-Filmarchiv sowie Stiftungen wie etwa die DEFA-Stiftung oder die Murnau-Stiftung. Allerdings ist auch der Handlungsbedarf dringlicher geworden. Nicht wenige Kritiker halten diese Summen für zu gering. Einer Studie zufolge, die die Filmförderanstalt FFA 2015 in Auftrag gegeben hat, erfordere die Sicherung des Filmerbes ein Budget von 10 Millionen Euro pro Jahr. Kritiker verweisen auch auf Frankreich, wo zu diesem Zweck für sechs Jahre 400 Millionen Euro veranschlagt worden sind.
Worum geht es? Anders als bei der Literatur zwischen Buchdeckeln sind die Probleme in Sachen Film nicht wirklich ernst genommen worden. Es gibt in Deutschland keinen Masterplan. Es gibt nicht einmal einen Gesamtkatalog der an verschiedenen Orten mehr oder weniger schlecht gehüteten Schätze. Filmbestände lagern in Deutschland in etwa 1000 Institutionen. Das Bundesarchiv-Filmarchiv ist dabei mit 150.000 Titeln die größte. Hier lagern etwa eine Million Filmrollen und Videokassetten.
Aber selbst beim Bundesarchiv gab es in der Vergangenheit Probleme mit der Lagerung. Wie sieht es erst bei anderen Institutionen aus? Filmbestände sind gefährdet, teils durch chemischen Zerfall, teils durch schlechte Lagerbedingungen. Filme auf analogen Datenträgern müssten durch Digitalisierung bewahrt und gesichert werden.
Dabei ist Digitalisierung nicht allein der technische Vorgang, Bilddaten in digitaler Form zu speichern und zu sichern. Es geht auch darum, Filme verfügbar und zugänglich zu machen, sie zu verschlagworten und über Metadaten zu erschließen. Film ist eine Kunstform, die nur in der Reproduktion existiert, also insofern Filme vorgeführt und gesehen werden. Es geht oft auch nicht nur um Aufbewahrung, sondern um Restauration. Filme sind historische Quellen, gerade Dokumentarfilmer wissen das. Insofern ist Digitalisierung auch kein einmaliger Akt, sondern eine Daueraufgabe.
Zentral ist dabei die Frage nach den analogen Originalen. Was soll mit ihnen geschehen? „Der Schutz des Originals steht grundsätzlich an erster Stelle“, sagt der Deutsche Kulturrat. Kein ganz überflüssiges Statement. Es ist auch schon vorgekommen, dass die Originale nach der Digitalisierung weggeworfen wurden. Inzwischen geht man offenbar sensibler mit dem Thema um.
Diesen Eindruck konnte man jedenfalls auf einem Symposium der Dokumentarfilm-Initiative (DFI) in Köln gewinnen, das sich mit der Sicherung des NRW-Filmerbes befasste. Kultur ist ja bekanntermaßen Ländersache und in den verschiedenen Ländern arbeiten jeweils sehr verschiedene Institutionen an dieser Thematik. So sind etwa im Arbeitskreis Filmerbe in NRW die beiden Staatsarchive vertreten, aber auch Landschaftsverbände, Wirtschaftsarchive, der WDR, Museen, Filminstitutionen und kirchliche Archive/Medienzentralen.
Das Symposium war ein Versuch, für das Thema insgesamt zu sensibilisieren. Es zeigte sich dabei, dass etwa zwischen Filmemacher_innen und Archivar_innen durchaus unterschiedliche Interessen bestehen. Und dass sich bei den Dokumentarfilmer_innen erst noch herumsprechen muss, dass es einigen Aufwands bedarf, die eigenen Arbeiten auch zu sichern und nicht nur zu Hause auf einer DVD herumliegen zu lassen. Thorolf Lipp und Cay Wesnigk von der AG Dok regten an, ein Digimobil einzurichten, das von Filmemacher zu Filmemacherin fährt, von Produktionsfirma zu Produktionsfirma, und vor Ort Filme digitalisiert. Solche mobilen Einheiten sind inzwischen technisch möglich, müssten aber auch finanziert werden. Als erster Schritt wäre jedenfalls nötig, überhaupt erst einmal zu erfassen, welche Filme eigentlich wo und in welchem Zustand vorliegen. Dies könnte eine etwa eine Aufgabe für Filmbüros oder ähnlich Verbände in anderen Bundesländern sein.
Der Filmhistoriker Jeanpaul Goergen hat gleich zu Beginn des Kölner Symposiums provokativ formuliert: „Die Digitalisierung des Filmerbes ist nicht die Lösung aller Probleme, sondern deren Beginn.“ Tatsächlich sind im Digitalisierungsprozess noch viele Fragen offen. Was soll überhaupt digitalisiert werden? Das gesamte vorhandene Filmmaterial, weil wir ja heute nicht wissen, was die Menschen in fünfzig Jahren im Rückblick für wichtig halten werden? Oder soll ausgewählt werden? Der Zusammenschluss der Filmarchive hat etwa beschlossen, 500 Filme digital zu sichern. Doch wer wählt aus, und nach welchen Kriterien? Manchmal gehen Institutionen gar nach dem Prinzip „Digitalisierung on demand“ vor. Das würde dann bedeuten: Was nicht nachgefragt wird, verschwindet.
Dann sind da die technischen Probleme. Analoge Filmrollen halten bei richtiger Lagerung durchaus länger, die Haltbarkeit digitaler Kopien dagegen ist begrenzt. Immer neue technische Generationen können den Zugang möglicherweise erschweren. Der Erhalt von Originalen ist auch deshalb so wichtig, damit jede neue technische Generation von Abspielgeräten dann auf Basis der Originale oder Originalkopien neu aufgesetzt werden kann. Das ist besonders dringlich etwa bei Videokopien aus den sechziger und siebziger Jahren. Viele Videokopien sind heute schon unbrauchbar. Besonders Umatic-Bänder unterliegen dem Verfall, leiden an mechanischen Problemen, an Abrieb und am Nachlassen der Magnetisierung. Auf dem Symposium wussten die WDR-Archivarinnen zu berichten, die Bestände auf 2 Zoll- oder 1 Zoll-MAZ oder auf Umatic seien längst umkopiert. Aber was ist mit den Videobändern, die andernorts lagern?
Die Digitalisierung des Filmerbes ist nach den Worten von Kulturstaatsministerin Grütters jedenfalls eine „Jahrhundertaufgabe“. Dazu brauche es eine langfristige Strategie und eine Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Filmwirtschaft, hatte sie in ihrer Rede zur Eröffnung des Filmerbe-Festivals „Film:ReStored“ im September vergangenen Jahres betont. Doch solch eine Strategie ist noch immer nicht in Sicht. Dass dafür inzwischen mehr Mittel bereitgestellt werden, ist nur ein erster Schritt.
Wie wichtig das Filmerbe aus kultureller Sicht ist, hat vor kurzem erst der Filmemacher Samir sichtbar gemacht. Für seinen Film „Iraqi Odyssey“, die Geschichte seiner weltweit verstreuten irakischen Familie, hat er nach historischem Filmmaterial gesucht. Aber im Krieg sind viele Filmarchive zerstört worden. Seither sucht Samir über Internet bei den im Ausland lebenden Iraker_innen nach Fotos, nach Filmsequenzen, nach Schmal- und Videofilmen. Er sucht nach dem visuellen Gedächtnis seines Landes.
Detaillierte Informationen über die Diskussionen in Köln gibt es hier