Das umstrittene „Anti-Hatespeech“-Gesetz und die Rolle von Facebook im Meinungsbildungsprozess standen im Mittelpunkt eines „Journalismusdialog“ am 27. Juni in der Berliner Kalkscheune. Auf Einladung der Verlage Gruner+Jahr, Zeit, Spiegel und Medweth debattierten Verlagsmanager und Journalisten über „Wege aus der Filterblase“.
Besondere Aufmerksamkeit erfuhr die Veranstaltung durch die Anwesenheit von Justizminister Heiko Maas. Er verteidigte im Gespräch mit Stern-Chefredakteur Christian Krug den Entwurf seines „Netzwerkdurchsetzungsgesetzes“ gegen seine Kritiker_innen. Das Gesetz sei notwendig, „auch wenn ein großer Teil der Öffentlichkeit glaubt, dass das Internet ein rechtsfreier Raum ist“. Für die Netzcommunity sei jeder, der sich erlaube, Regeln für das Internet aufzustellen, ein „Beschneider von Freiheitsrechten“. Er hielt dagegen: „Die totale Regellosigkeit im Netz bedeutet für viele Menschen nicht mehr, sondern weniger Freiheit.“ Es gehe schlicht darum, strafbare, gesetzwidrige Inhalte zu entfernen. Wenn dies bislang nur unzulänglich passiere, steckten vor allem wirtschaftliche Gründe dahinter. Denn die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften erfordere Personal, ein effektives Kontrollsystem, „kostet einfach Geld“. Auch den Vorwurf, die Auflagen für ein Netzwerk wie Facebook liefen auf eine „Privatisierung“ der Rechtsdurchsetzung hinaus, ließ Maas nicht gelten. Das Gesetz drohe lediglich da Strafen an, wo regelmäßig gegen seit langem bestehende rechtliche Vorschriften verstoßen werde, etwa gegen die E-Commerce-Richtlinie der EU oder das Telemediengesetz. Die Gefahr des „overblocking“, also der vorauseilenden Löschung von mehr oder weniger problematischen Beiträgen im Netz, sah der Minister durch sein Gesetz nicht gegeben. Wenn viele strafbare Inhalte regelmäßig nicht gelöscht würden, müsse man allerdings davon ausgehen, dass es sich um ein „Systemversagen im Beschwerdemanagement“ handle. Facebook neige dazu, im Zweifel eher nicht zu löschen, bei Androhung von Sanktionen aber nach der Devise zu verfahren: „Dann löschen wir halt alles.“ Wer das akzeptiere, überlasse es Facebook, hierzulande die Grenzen der Meinungsfreiheit zu definieren. Maas: „Dazu bin ich nicht bereit.“
Gruner+Jahr-Chefin Julia Jäkel hatte zuvor in ihrer Keynote die Rolle von Journalismus und Plattformen in Zeiten von „alternativen Fakten“ erörtert. Die gesellschaftspolitische Debatte über Facebook & Co erschöpfe sich nicht im Streit um das Gesetz aus dem Hause Maas. Es gehe darüber hinaus um andere Attacken auf die demokratische Öffentlichkeit, um Fake News über Bots und Twitter, wie sie spätestens seit dem letzten US-Wahlkampf sattsam bekannt seien. Welche neuen Regeln müssten gesetzt werden, um die freiheitlich-demokratische Grundordnung auch im Netz zu sichern? „Und welchen Beitrag können die Medien dazu leisten?“ Das Maas’sche Gesetz habe korrigierbare Schwächen, sei aber notwendig. Jäkel zeigte Respekt für die Leistung von Facebook mit seinen weltweit zwei Milliarden Nutzer_innen. Es müsse aber geklärt werden, wie mit dieser gigantischen „sozialen Infrastruktur“ umgegangen werde. Das Austarieren der Balance zwischen dem Recht auf freie Meinungsäußerung und der Feststellung, wo Gesetze verletzt würden, dürfe nicht allein einem gewinnorientierten Unternehmen überlassen werden. Facebook sei „keine neutrale Plattform“. Daher sei die Forderung nach Technikfolgenabschätzung für das Netzwerk „nicht fortschrittsfeindlich, sondern hätte aufklärerischen Charakter“. Jäkel sparte die Interessenlage der Verlage in dieser Debatte nicht aus. „Facebook organisiert für uns Reichweiten, zieht aber gleichzeitig Werbegelder vom Markt ab“, räumte sie ein. Man könne daher aus Verlagssicht von einer „innigen Hassliebe“ sprechen, die beide Parteien verbinde. Dennoch gehe es nicht um einen Konflikt zweier Industrien, die sich noch auf ein angemessenes Verrechnungsmodell einigen müssten. Es gehe viel grundsätzlicher um die Finanzierungs- und Verbreitungsgrundlagen von Journalismus, um die Frage, „wie wir in Zukunft einen zivilisierten Diskurs in unserer Gesellschaft organisierten wollen“.
Susanne Beyer, stellvertretende Chefredakteurin des Spiegel, erörterte die neuen Herausforderungen an Journalist_innen im Zeitalter von Fake News. Demokratische Medien lebten vom Vertrauen ihrer Leser, Hörer, Zuschauer. Dieses Vertrauen lasse sich nur durch Transparenz gewinnen. Damit einher gehen müsse auch ein verändertes Rollenverständnis der Journalist_innen. An die Stelle des einstigen Gatekeepers mit paternalistischer Pose trete jetzt der „Gatereporter“. Dieser kommuniziere „auf Augenhöhe mit dem Publikum“. Dieser Dialog müsse auch durch direkten, auch analogen Kontakt mit dem Leser geführt werden, zum Beispiel auf Veranstaltungen. Nur so könne ein Ausweg aus der „Bestätigungsspirale“ im Netz gefunden werden. Wichtig sei auch eine neue Fehlerkultur. Der Spiegel leiste dies unter anderem mit dem „Korrekturkasten“ im Umfeld der Leserbriefe. Beyer unterstützte die Tendenz in den Qualitätsmedien, eigene Investigativteams zu etablieren. „Boomen kann man durch Geschrei in Form von Fake News, boomen kann man auch durch sehr gut erzählte Geschichten.“ Sie sprach sich dafür aus, einen bedeutenden Preis für gelungenen Online-Journalismus auszuloben. Auch seriöse Medien seien gelegentlich anfällig für Fake News. Ein gesunder Grundzweifel „gegen alles, worüber wir berichten“, sei durchaus angebracht. Die Verlage müssten allerdings zur Absicherung von Qualitätsjournalismus ausreichende Ressourcen zur Verfügung stellen. Ein Teil des Vertrauensverlustes der Medien sei zudem mit verursacht durch die Politik. Manche Politiker_innen könnten der Versuchung nicht widerstehen, ihnen kritisch begegnende Medien öffentlich abzuwerten. An diese Politiker richtete Beyer die Frage: „Sind Sie lieber Objekt kritischer Recherche oder Objekt von Fake News?“