Die ARD wurde in 60 Jahren zu einer angesehenen Markenfamilie
Dass die ARD vor 60 Jahren als Arbeitsgemeinschaft von zunächst sechs Landesrundfunkanstalten gegründet wurde, war kein historischer Zufall. Der Zusammenschluss geschah vielmehr in bewusster Abkehr vom Modell der Reichs-Rundfunkgesellschaft aus der Weimarer Republik.
Unter dem Dach der RRG war der Weimarer Rundfunk mehr und mehr zentralisiert worden, sodass er den Nazis bei Machtantritt als ideales Sprachrohr für ihre völkische Propaganda in die Hände fiel. Die ersten, aus den Kriegstrümmern geborenen Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft folgten daher unter maßgeblicher Anleitung der Alliierten dem föderalen Prinzip. Ein Prinzip, das den einzelnen Mitgliedern die volle Unabhängigkeit beließ. Erst dreieinhalb Jahre später verpflichtete ein Länderstaatsvertrag die ARD-Mitglieder zur gemeinsamen Gestaltung eines Programms: des Ersten Deutschen Fernsehens.
ARD-Veteranen sowie ältere Zuschauer und Zuhörerinnen mögen sentimentale Erinnerungen an die Anfänge bewahren. Es war die Zeit der „Straßenfeger“, der Krimi-Klassiker von „Stahlnetz“ bis „Durbridge“, der großen Unterhaltungsshows mit Conferenciers wie Peter Frankenfeld und Hans-Joachim Kulenkampff. Nicht zu vergessen die Tagesschau“-Fanfare um 20 Uhr als geheiligter Moment, der den Abend strukturierte. Später dann die politischen Magazine von „Panorama“ über „Report“ bis „Monitor“ – allesamt Marken anspruchsvoller, auch investigativer Politberichterstattung. Das Ganze zunächst ohne Unterwerfung unter ein Quotendiktat, ohne Zwang zum Kampf um Marktanteile.
Mit der Gründung des ZDF, spätestens aber seit dem Sendestart der Privatfunker Mitte der achtziger Jahre musste sich die ARD unter dem Druck der Konkurrenz neu justieren. Diese Anpassung gelang ihr – nach anfänglicher Verunsicherung – erstaunlich gut. Nach der Wende fiel ihr zudem die nicht einfache Aufgabe zu, den ehemaligen DDR-Staatsfunk in öffentlich-rechtliche Strukturen zu überführen. Heute ist die ARD eine Markenfamilie mit einem guten Dutzend TV-Programmen, darunter Kooperationssendern wie ARTE, 3sat, KIKA und Phoenix. Ein Netz von 56 Hörfunkprogrammen behauptet sich im Wettbewerb mit dem privaten Dudelfunk gleichfalls mehr als beachtlich.
Derzeit durchläuft die ARD eine der schwierigsten Phasen ihrer Geschichte. Seit Jahren ist sie von mächtigen Gegnern umstellt. „Sie sitzen nicht nur in den Chefetagen von Kommerzsendern, sondern auch in manchen Bereichen der Politik und manchmal auch in der, bisweilen mit eigenen privaten Rundfunkinteressen verbandelten Presse“, formulierte bereits vor zehn Jahren der ehemalige ARD-Vorsitzende Peter Voß zum 50. Geburtstag des Senderverbunds. Ein Satz, der heute mehr denn je gilt. Unablässig wird versucht, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Allgemeinen und die ARD im Besonderen an der Entfaltung zu hindern. Die bisherigen Manöver, die Finanzierungsbasis der Öffentlich-Rechtlichen in Frage zu stellen, scheiterten in der Regel an höchstrichterlicher Rechtsprechung.
Mängel unter Quotendruck
Die Probleme der ARD sind bekannt. Die Akzeptanz beim jugendlichen Publikum sinkt dramatisch – daran ändert auch ein möglicher Achtungserfolg der Raab/ Meyer-Landrut-Connection beim Grand-Prix wenig. Nicht immer gelingt dem Senderverbund die saubere Abgrenzung zum kommerziellen Umfeld (Fall „Marienhof“). Auch wird der Senderverbund in unregelmäßigen Abständen von Korruptionsskandalen erschüttert (Emig, Mohren, Heinze). Unter dem selten hinterfragten Quotendruck landen hochwertige Dokus häufig im Mitternachtsgetto, während zu bester Sendezeit schwulstige Afrika-Melodramen die Flatscreens verkleben. Selbst vom Problem einer mangelnden Staatsferne ist nicht exklusiv das ZDF (Fall Brender) betroffen. So tritt Regierungssprecher Ulrich Wilhelm nach einer Schamfrist von einem halben Jahr am 1. Februar 2011 sein neues Amt als Intendant des Bayerischen Rundfunks an. Ein in der Geschichte der ARD beispielloser und beklagenswerter Vorgang. Ob der CSU-Mann dem Sender mit seinen „guten Kontakten in die Politik“ wirklich helfen kann, erscheint zweifelhaft. Solche Kontakte haben in der Regel einen Preis.
Jjüngstes medienpolitisches Kampffeld von Verlegern und Privatfunkern ist die Ankündigung der ARD, demnächst eine kostenlose „Tagesschau“-Anwendung – neudeutsch: APP – für iPhones und Smartphones anzubieten. Eine „nicht-tolerierbare Marktverzerrung“, schnaubte es sogleich aus dem Blätterwald. Die ARD versuche, „mit ihrer gebührenfinanzierten Kostenlos-Strategie private Marktentwicklungen im Keim zu ersticken“, assistierte der Verband Privater Rundfunk und Telemedien. Dass auch die ARD die modernen digitalen Vertriebskanäle von Internet über Handy bis hin zum iPhone nutzen muss, um nicht eines Tages im medientechnologischen Abseits zu landen, versteht sich von selbst. Am Netze hängt, zum Netze drängt doch alles. Täte sie es nicht, würden dieselben Kräfte, die heute von ihr digitale Abstinenz verlangen, im nächsten Schritt die Gebührenfinanzierung in Frage stellen. Wer zahlt schon gern für etwas, was er wenig oder kaum noch nutzt?
Einige wagen sich jetzt schon aus der Deckung. Wolfgang Fürstner, Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Zeitschriftenverleger, hält den Grundversorgungsauftrag von ARD und ZDF für ein nicht mehr zeitgemäßes Relikt aus den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Angesichts der existierenden Medienvielfalt, so meinte er unlängst, gebe es schlicht keinen Mangel mehr an Informationen. Seine Schlussfolgerung: Die korrekte Definition von Grundversorgung sei heute „all das, was privatwirtschaftlich nicht in gleicher oder besserer Qualität angeboten werden könnte“. Ein argumentatives Selbsttor, wenn man die derzeitigen Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise gerade auf die Privatmedien betrachtet. Da dümpeln die so genannten Nachrichtenkanäle N24 und n-tv müde vor sich hin. Da liefern Regionalblätter wie Frankfurter Rundschau, Berliner Zeitung, Kölner Stadtanzeiger und Mitteldeutsche Zeitung nach der Gründung eines outgesourcten Reporterpools auf vielen Seiten nur noch Einheitsbrei. Da feuern Gruner+Jahr sowie der Jahreszeiten Verlag ganze Redaktionen, um einzelne Mitarbeiter zu verschlechterten Konditionen wieder anzuheuern. Angesichts solcher Verhältnisse erscheint die ARD geradezu als Fels eines Qualitätsjournalismus in stürmischer See. Nie war sie so wertvoll wie heute.
Günter Herkel
Günter Herkel lebt in Berlin und arbeitet als freier Medienjournalist für Branchenmagazine in Print und Rundfunk.