US-Behörde diskutiert Neuerfindung des Journalismus
Die amerikanische Bundeskartellbehörde, die Federal Trade Commission (FTC), hat sich in mehreren Expertenrunden damit beschäftigt, wie mit Änderungen des Wettbewerbrechts, des Steuerrechts und des Copyrights sowie einer anderen staatlichen Informationspolitik dem Medienwandel zu begegnen ist.
Vor kurzem stellte sie in einem 47-seitigen Papier eine Reihe von Empfehlungen für die „Neuerfindung des Journalismus“ vor. Dabei zeigt sie sich in ihrer Ausgangshaltung alles andere als optimistisch: „Zeitungen haben noch kein neues, tragfähiges Geschäftsmodell gefunden“, schreibt die FTC in ihrem „Diskussionspapier“. Es gebe „Anlass zur Sorge, dass ein solches Geschäftsmodell gar nicht entsteht.“ Es sei daher nicht zu früh über Methoden nachzudenken, „die Innovationen möglicherweise anregen können und Journalismus in der Zukunft unterstützen helfen.“
Etliche Punkte erinnern an die hiesige Diskussion um ein Leistungsschutzrecht für Verleger. So diskutiert die FTC die Einführung einer bundesweiten Hot-News-Doktrin, um „parasitäre Aggregatoren“ davon abzuhalten journalistische Investitionen anderer in redundanter Weise zu verwenden. In den USA gilt bis heute in einigen Bundesstaaten der 1918 vom Supreme Court aufgestellte Rechtsgrundsatz der Hot News. Er soll einen Informationswert, der den Investitionen in eine Informationsbeschaffung entspricht, über ein zeitlich begrenztes Erstinformationsrecht schützen. Insbesondere aufwändig recherchierte Geschichten sollen so zunächst nur über den Nachrichtendienst zu beziehen sein, der sie zuerst veröffentlicht hat. Allerdings lässt die Hot-News-Doktrin offen, nach welchem Zeitraum eine Nachricht frei zitiert werden darf. Außerdem ist es in vielen Redaktionen und Nachrichtenagenturen gängige Praxis, Fakten aus anderen Berichten zu übernehmen. Eine entsprechende Einschränkung kann sich daher auch für Nachrichtenproduzenten als „kostenintensiv“ herausstellen.
Ein weiterer Änderungsvorschlag, der in dem FTC-Papier erörtert wird, betrifft die Einschränkung des Fair-Use-Prinzips, um die Arbeitsweise von Suchmaschinen und Aggregatoren zu behindern. Im Rahmen von Fair Use ist die Verwendung von Copyright-geschütztem Material erlaubt, wenn dies der öffentlichen Bildung und der Anregung geistiger Produktion dient – das kontinentaleuropäische Zitationsrecht im Urheberrecht ist vergleichsweise strenger. Google etwa beruft sich auf Fair Use, wenn es Bilder in Daumengröße als Suchresultat zeigt, den Inhalt einer Webseite zwischenspeichert oder Nachrichten-Snippets für Google News verwendet. Gegen eine Einschränkung spricht jedoch die Möglichkeit der Website-Inhaber, Aggregatoren und Suchmaschinen über Meta-Tags oder Programminformationen wie robots.txt von einer Verwendung der Inhalte abzuhalten.
Förderung durch Steuern
Ungewöhnlich für amerikanische Verhältnisse und daher umstritten sind denn auch Überlegungen, wie die Regierung die in Not gekommene Nachrichtenindustrie finanziell stützen könnte. In Großbritannien etwa fördert die Regierung ein Pilotprogramm zur Erforschung neuer Copyright-bezogener Geschäftsmodelle, die die kostenfreie Übernahme von Nachrichten weniger attraktiv machen sollen. Als mögliche staatliche Unterstützung schlägt ein von der FTC geladener Experte eine Art Kulturflatrate vor: eine Inhalte-Lizenzgebühr in Höhe von fünf bis sieben Dollar, die Internet-Provider pro Nutzerkonto bezahlen müssen. Die eingesammelten Gebühren würden dann über eine zentrale Stelle wieder an Rechteinhaber ausgeschüttet. Dieses Modell wirft jedoch wiederum zahlreiche Fragen in Bezug auf die Hot-News-Doktrin und Fair Use auf.
Bezahlt werden könnte eine staatliche Journalismusförderung auch über diverse Steuern. Das FTC-Papier führt mehrere Möglichkeiten an, so einen fünfprozentigen Aufschlag auf elektronische Konsumgeräte und eine Besteuerung von Smartphone-Tarifen. Außerdem könne man jährlich drei bis sechs Milliarden Dollar Steuern auf das Frequenzspektrum erheben, dessen Nutzung derzeit kostenlos ist. Die Auktion der Frequenzen lasse sich ebenfalls besteuern. Schließlich sei auch eine Steuer für Nutzer des Breitbandspektrums denkbar, die ihr Spektrum für kommerzielle Werbung verwenden. Außerdem gibt es auch die Empfehlung, für Nachrichtenorganisationen kartellrechtliche Ausnahmen zuzulassen, damit diese eine gemeinsame Bezahlschranke einrichten und Online-Aggregatoren aussperren können.
Die Empfehlungen seien lediglich „eine Diskussionsgrundlage“, betont die FTC. Im Sommer will sie ein endgültiges Papier veröffentlichen. Der Journalismusprofessor Jeff Jarvis geißelte den Anlauf der Kartellbehörde zur Rettung des Journalismus prompt als „potenziell korrupt“. Er versuche, etablierte Verlage vor neuen journalistischen Geschäftsmodellen im Netz zu schützen, anstatt sich dem News-Ökosystem im Internet anzunehmen, das sich dank Blogs und neuer technischer Netzdienste entwickele. Der FTC-Bericht berücksichtige nicht die Perspektive von Bürgern, sondern die der Zeitungsverlage. Kommunikationswissenschaftler wie Geoffrey Cowan und David Westphal stellen hingegen fest, dass es in der Geschichte der amerikanischen Medien noch nie eine Zeit gegeben habe, in der die Nachrichtenindustrie nicht irgendwie von staatlichen Geldern gestützt worden sei.
Ein Vorschlag der FTC fand allerdings nahezu ungeteilte Zustimmung: Die Regierung könne noch mehr staatliche Daten im Rahmen ihrer Open-Data-Politik für die journalistische Berichterstattung freigeben – und dafür das Informationsfreiheitsgesetz lockern. Wenn etwa die US-Börsenaufsichtsbehörde SEC ihre interaktiven Daten freigibt, ergeben sich daraus zahlreiche neue wirtschaftliche Möglichkeiten für programmierende Journalisten und innovative Online-Nachrichtendienste, meint Alexander Howard von O’Reilly Media. Howard zeigt sich daher über das FTC-Diskussionspapier ausgesprochen erfreut: „Eine innovative und intelligente Nutzung von Regierungsdaten könnte neue journalistische Ökosysteme ermöglichen, die dem Gemeinwohl dienen.“
Christiane Schulzki-Haddouti
Christiane Schulzki-Haddouti ist freie Journalistin und Dozentin am Institut für Kommunikationswissenschaften der Universität Bonn