Birgitta Tunkel ist seit 10 Jahren Frauenbeauftragte bei Radio Bremen
An ihrer Bürotür hängt ein Zettel: „Lieber Gleich Berechtigt Als Später“. Klar, hier kann nur Birgitta Tunkel residieren, die Frauenbeauftragte von Radio Bremen (RB).
Mancher Mann vermutet hinter der Tür womöglich eine ungeduldige, verbissene Kämpferin mit rot gefärbten Haaren. Aber in dem engen 13-Quadratmeter-Büro sitzt eine freundlich lächelnde 59-Jährige, die eine „Politik der kleinen Schritte und der Beharrlichkeit“ bevorzugt. Und die nach zehn Amtsjahren immer noch Spaß an ihrer Arbeit hat. Aber rot gefärbte Haare – die hat sie tatsächlich.
„Dass das Leben mich da hingeweht hat, ist ein Glücksfall“, sagt Tunkel und strahlt. Die gebürtige Bremerin ließ sich viel hin und her wehen: 1968 ging sie als 18-Jährige zu RB, um Tontechnikerin zu werden. Aber ihr eigentlicher Traum, das war die Medizin. Deshalb holte sie im studentenbewegten Berlin das Abi nach, an einer selbstverwalteten Schule, wo sie auch organisatorisch mitmischte. Doch wegen der endlosen Studienplatz-Warterei besann sie sich wieder auf ihren erlernten Beruf und arbeitete mal hier, mal dort: RIAS, NDR, RB.
Wenn sie genug Geld verdient hatte, sagte sie „tschüß!“ und reiste monatelang durch die Weltgeschichte. Richtig sesshaft wurde sie erst mit ihrem Ehemann, einem Bremer Klinikseelsorger. Wie das so ist in Pastorenhaushalten, gebar sie nicht nur zwei Kinder, sondern übernahm auch Ehrenämter in der Familien- und Krankenarbeit. Aber wenn schon, dann richtig. Also bildete sie sich fort: in Kommunikation, Meditation, Sterbebegleitung, Supervision – alles neben ihrer Teilzeitarbeit bei RB. Später kamen noch Ausbildungen als psychologische Beraterin und Entspannungspädagogin dazu.
„Egal, wo ich bin“, sagt Tunkel, „ein Leben ohne Engagement kann ich mir nicht vorstellen.“ Warum? „Aus Interesse für das eigene Leben und für das Leben anderer Menschen.“
Das sprach sich bei RB wohl herum. Jedenfalls wurde sie von Kolleginnen gebeten, im Frühjahr 2000 als Frauenbeauftragte zu kandidieren. Sie gewann die Wahl knapp gegen eine Mitbewerberin. Inzwischen wurde sie zweimal wiedergewählt – ohne Konkurrenz, zuletzt mit 94 Prozent. Stimmberechtigt sind alle 220 angestellten und festen freien Frauen im Sender, ohne Tochterfirmen. In den anderen ARD-Anstalten, so erzählt Tunkel, werden die Frauen- oder Gleichstellungsbeauftragten nicht immer gewählt, sondern teilweise von oben eingesetzt.
Zeit für persönliche Beratung
Was macht denn so eine freigestellte Frauenbeauftragte den ganzen Tag? Vor allem zu Sitzungen gehen. Wo auch immer die Gleichstellung tangiert ist, darf Tunkel ihre Meinung sagen oder auch mal Widerspruch einlegen, mit zumindest aufschiebender Wirkung.
Sie nimmt also an Bewerbungsgesprächen teil und passt dabei auf, dass Frauen bei gleicher Qualifikation Vorrang erhalten, wenn sie in dem jeweiligen Arbeitsbereich bisher unterrepräsentiert sind. Sie kümmert sich um familienfreundliche Arbeitsbedingungen, wirbt für die Weiterqualifizierung von Frauen, setzt sich dafür ein, dass Teilzeitkräfte nicht schlechter behandelt werden als Vollzeitpersonal, geht regelmäßig zu Personalrats- und Gewerkschaftssitzungen und trifft sich einmal im Monat mit Intendant Jan Metzger – auf dessen Initiative, wie sie sagt. Undenkbar, dass sein Vorgänger Heinz Glässgen so offen auf Belegschaftsvertreter zugegangen wäre und so fair mit ihnen diskutiert hätte.
Zwischen all den Meetings muss auch noch Zeit sein für persönliche Beratungsgespräche. Der Bedarf dafür, sagt Tunkel, ist deutlich gewachsen, seitdem RB drastisch spart, mit Stellenabbau, Outsourcing und neuem, voll digitalisiertem Funkhaus. „Der Stress ist stark gestiegen“, sagt sie.
Als Tunkel 2001 nicht verhindern konnte, dass mal wieder eine vakante Direktorenstelle mit einem Mann besetzt wurde, da stöhnte sie: Die Zahl der männlichen Führungskräfte sei allmählich „etwas erschlagend“. Inzwischen hat sich die Lage leicht gebessert: Der Frauenanteil in Leitungsfunktionen stieg von damals 21 Prozent auf heute 30 Prozent. Aber zufrieden ist Tunkel natürlich noch nicht: „Es gibt noch einige hoch qualifizierte Frauen, die für Leitungspositionen in Frage kämen. Da müssen wir unbedingt noch weiterkommen.“ Und sie hat auch alltäglich mit Widerständen zu kämpfen: „Einige rollen nach wie vor mit den Augen, wenn ich auf Geschlechteraspekte hinweise.“ Ihr Job sei „kein Zuckerschlecken“.
Aber: Langsam bewegt sich etwas bei Radio Bremen. Das zeigt auch die wachsende Zahl von Moderatorinnen und Sportredakteurinnen. Weitere Erfolge, die ihr zum Zehn-Jahres-Jubiläum einfallen? Ja, zum Beispiel das Patenschaftsmodell: Wer wegen Krankheit oder Elternzeit ausfällt, wird von Kontaktpersonen im Sender über neue Entwicklungen informiert und verliert so nicht den Anschluss. Oder: RB bietet eine Notfallkinderbetreuung an und will die Teilverlagerung von Arbeiten nach Hause erleichtern, damit sich Beruf und Familie besser vereinbaren lassen.
Für Tunkel ist die Familienphase längst vorbei. Nach 23 Ehejahren lebt sie heute „glücklich allein in fröhlicher Nachbarschaft“ im Migrantenstadtteil Gröpelingen. Nachts hockt sie vor dem Computer und liest das Neueste aus der Neurologie; sie will noch besser verstehen, „wie wir ticken“.
2012 möchte sie ein letztes Mal kandidieren. Ihre Wahlchancen sind gut. Denn wen man auch fragt – die Antworten gleichen sich: Tunkel sei „engagiert“, „sehr engagiert“ oder sogar „sehr, sehr engagiert“. Und „aufrecht“. Und „unbestechlich“. Einer hält sie allerdings für „zu gut und zu weich“ für dieses Amt.
Jedenfalls ist sie nicht so knorrig wie die Holzskulptur in ihrem Büro. Das Kunstwerk, ein Geschenk, zeigt eine stilisierte Figur mit bissigen Zähnen. Wer das sein soll? Die grantelnde Schauspielerin Inge Meysel. Tunkel möchte schon auch bissig sein – „aber nicht so anstrengend wie sie“.