Vor zweieinhalb Monaten hat der Direktor der nordrhein-westfälischen Landesanstalt für Medien (LfM) Tobias Schmid gemeinsam mit WDR, RTL, der Staatsanwaltschaft Köln und anderen die Initiative „Verfolgen statt nur Löschen – Rechtsdurchsetzung im Internet“ gestartet: Hasskommentare sollen nicht nur gelöscht, sondern auch juristisch geahndet werden. Resultat bisher: Über 130 Fälle von Hasspostings brachten LfM und Medienhäuser seit Anfang Februar zur Anzeige. Die Ansprechstelle Cybercrime bei der Kölner Staatsanwaltschaft ermittelt dazu.
Für Nordrhein-Westfalens obersten Medienwächter Tobias Schmid steht das Problemfeld der „Hassrede“ ganz oben auf der Liste, wenn es um die Aktivitäten seiner Behörde geht: „Denn im Netz hat sich offenbar der Irrglaube breitgemacht, dass man dort mitteilen dürfe, was man will. Hier wird Meinungsfreiheit oft mit Rücksichtslosigkeit verwechselt.“ Gesellschaftspolitisch und juristisch bleibt der Umgang mit dieser Entwicklung schwierig, weil auf der anderen Seite auch das Recht auf freie Meinungsäußerung nicht beschnitten werden darf. So war schon das im letzten Jahr verabschiedete „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ (NetzDG) der Bundesregierung heftig umstritten, unter anderem weil es eher die Zensur fördere.
Auch für den LfM-Direktor greift diese Lösung zu kurz, denn Verstöße sollen nicht nur gelöscht, sondern auch verfolgt werden: „Damit die Täter verstehen, warum gelöscht wird. Das ist auch für den edukativen und generalpräventiven Effekt sehr wichtig“, so Schmid.
Deswegen legt er den Schwerpunkt auf die juristische Einordnung und Bestrafung. Jeder soll für seine Aussagen geradestehen. Um das zu verwirklichen haben sich LfM, RTL-Gruppe, WDR, die Rheinische Post sowie die Staatsanwaltschaft Köln in der Initiative „Verfolgen statt nur Löschen…“ zusammengefunden. Wird ein möglicher Verstoß von der Landesmedienanstalt oder den Medienhäusern beobachtet, wird der Verdacht an die Ermittlungsbehörden weitergeleitet. Und die beginnen dann mit ihrer Arbeit.
Ein großer Unterschied zum NetzDG, so der LfM-Chef, bestehe auch darin, dass dort die Unternehmen selbst tätig werden und über die Grenzen der Meinungsfreiheit entscheiden müssen. Das berge die Gefahr, dass sie Inhalte vorschnell löschen, um ja nicht ein Bußgeld zu riskieren. Bei der neuen Initiative müssen Medienunternehmen zwar nicht selbst übers Löschen entscheiden, aber darüber, wen sie bei den Behörden melden. Hinzu kommt ein wahrscheinlich immenses Ausmaß von Hasskommentaren im Internet, das von der Staatsanwaltschaft bei der zu erwartenden Vielzahl der Fälle wohl kaum bewältigt werden kann. Für Schmid ist das kein Argument: „Der Förster ist dazu da, dass der Wilderer glaubt, er könnte erwischt werden, auch wenn der Förster nicht alle Wilderer erwischen kann. Hassredner sollen wissen, dass Aussagen im Netz gegen unser Recht verstoßen und geahndet werden können.“ Ganz schwierig wird es, wenn die Rechtsverstöße im Ausland stattfinden. Zwar gilt theoretisch innerhalb der EU europäisches Recht und bei Verstößen aus dem Nicht-EU-Ausland die deutsche Rechtsordnung. Doch in der Praxis sind diese Rechtsgrundlagen nur schwer durchsetzbar.
Effekt durch Abschreckung
Den in der analogen Welt noch gültigen Anspruch, jeden Rechtsverstoß zu finden und zu ahnden, haben die Medienregulierer inzwischen aufgegeben. „Das ist in einer digitalen Welt nicht mehr realistisch“, bekennt Schmid, „aber ich bin sicher, dass es bereits einen deutlichen Effekt hat, wenn jeder damit rechnen muss, dass er bei Verstößen auch zur Rechenschaft gezogen wird“.
Bei der „Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen“ (ZAC NRW), die bei der Staatsanwaltschaft Köln angesiedelt ist, haben jedenfalls LfM und die an der Initiative beteiligten Medienhäuser seit dem 1. Februar 130 Fälle von Hasspostings angezeigt. Laut einer aktuellen Pressemitteilung handle es sich bei der Mehrzahl der Verstöße um Online-Kommentare, die im Verdacht stehen, den Tatbestand der Volksverhetzung zu erfüllen. In diesen Fällen habe die ZAC NRW Ermittlungsverfahren eingeleitet.
„Eine konsequente Verfolgung strafbarer Äußerungen ist keine Einschränkung der Meinungsfreiheit, sondern gewährleistet diese“, beteuerte der zuständige Oberstaatsanwalt Markus Hartmann in diesem Zusammenhang noch einmal.
Die laufende Projektphase von „Verfolgen statt nur Löschen – Rechtsdurchsetzung im Internet “ ist zunächst auf ein Jahr angelegt. In diesem Zeitraum möchten die Initiatoren die Prozessabläufe in der Praxis zu erproben und weiter optimieren. Dabei sollen ebenfalls „best practices“ für die effiziente Verfolgung von strafbarer Hassrede im Netz herausgefiltert werden.