Die europäische Datenschutz-Grundverordnung ist in Kraft. Mancherorts wird Aufregung simuliert. Fraglich jedoch, ob es je zu einer Abmahnwelle kommt. Und ob daraus ein so lukratives Geschäft wie im Urheberrecht/ Copyright wird, werden die Gerichte entscheiden. So lange müssen wir die Nerven bewahren – und natürlich die Datenschutzbestimmungen auf unseren Websites und Blogs auf den aktuellen Stand bringen. Dass wir uns dabei en passant damit beschäftigen, welche Anbindungen an Soziale Netzwerke, welche Einbindungen von Video- und Tondienstleistern wirklich nötig, welche Statistiken datenschutzfreundlich sind, kann nicht schaden.
Allzu lange wurden nämlich weithin die einfachsten Datenschutzregeln ignoriert. Insbesondere große Verlage sollten überdenken, ob sie wirklich mit allen Mitteln die Besucherströme im Netz erfassen müssen – auf die journalistische Berichterstattung sollte es kaum Einfluss haben, ob man eine Handvoll oder gar fünfzig Tracker verwendet.
Wichtiger ist jedoch, mehr Sensibilität gegenüber Whistleblowern zu entwickeln. Ich kann mich noch gut an einen Workshop zum Verhältnis von Journalist_innen und Whistleblower_innen erinnern, den ich für das Whistleblower Netzwerk organisiert hatte. Recht hemdsärmelig betrat das Rechercheteam eines öffentlichen Senders mit laufender Kamera den Veranstaltungsraum. padeluun von Digitalcourage rettete die Situation: Er fragte die Anwesenden, ob sie mit den Aufnahmen einverstanden wären. Etliche ihrer Geschichten hatten noch nicht das „Licht der Öffentlichkeit“ erblickt. Die Teilnehmer_innen wollten für sich erst einmal ausloten, welche Risiken sie zu welchen Bedingungen wirklich eingehen wollen. Im Ergebnis durfte das Kamerateam einen bestimmten Bereich des Raumes nicht filmen, in den sich dann diejenigen begaben, die sich noch unsicher über ihr „Outing“ waren. Das war ein Entgegenkommen der Whistleblower, das ihr Vertrauen in die Integrität von uns Journalisten zeigte.
Unsere journalistische Arbeit, unsere Recherchen wird die Datenschutz-Grundverordnung wohl nur in Ausnahmefällen berühren. Auf ein absolutes Medienprivileg werden wir uns aber auch nicht berufen können. Mehr Sensibilität ist vor allem bei Whistleblowern gefragt. Chelsea Manning und Edward Snowden entschieden freiwillig. Andere wurden eher in die Öffentlichkeit getrieben. Hand aufs Herz: Wer hat schon freiwillig auf eine spannende Geschichte verzichtet, weil er seinem Informanten trotz Pseudonym keinen hundertprozentigen Schutz zusagen konnte? Aber wenn ein Whistleblower auf Anonymität besteht, sein Wunsch nicht respektiert oder seine Identität im Zuge der Berichterstattung fahrlässig aufgedeckt wird? Warum sollte der Whistleblower dann nicht seine Rechte auf informationelle Selbstbestimmung geltend machen dürfen?
Leider ist auch ein Missbrauch der Schutzregelungen des Datenschutzrechts möglich. Wichtig ist daher, dass die Interessensvertretungen Journalist_innen und Fotograf_innen im Fall der Fälle solidarisch mit Rechtsberatung und -beistand zur Seite stehen. Insbesondere freie Journalisten können sich Rechtsstreitigkeiten weder finanziell, noch aus Zeitgründen leisten. Anderenfalls entstehen zu viele „Scheren im Kopf“ – und die kann sich unsere Gesellschaft nicht leisten.
Christiane Schulzki-Haddouti ist freie Journalistin in Bonn und Mitbegründerin des Whistleblower Netzwerkes
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