Springer: Vereinbarung mit Betriebsrat zur Programmierung durch Microsoft
Die Umstellung war gewaltig: Als sich vor rund vier Jahren der Vorstand der Axel Springer SE entschloss, die Microsoft Office 365-Plattform „moveoffice“ einzuführen, stellte das die im Konzern übliche Arbeitsweise auf den Kopf. Neben bekannten Anwenderprogrammen wie Word, Excel oder Powerpoint umfasst die Software viele zusätzliche Komponenten zum Teilen und gemeinsamen Arbeiten sowie eine Datencloud. Der Konzernbetriebsrat sah sich mit ganz neuen Problemen konfrontiert. „Die Einführung von moveoffice ist die größte Umwälzung, die ich hier erlebt habe. Sie berührt alle Arbeitsbereiche, verändert die Unternehmenskultur, die Arbeitsorganisation und die Zusammenarbeit. Wir mussten als Betriebsrat erst begreifen, was Office 365 eigentlich bedeutet“, erklärt Petra Pulver, Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats der Axel Springer SE.
Bald zeigte sich der entscheidende Knackpunkt, der den Vorteilen, die „moveoffice“ für interne Arbeits- und Kommunikationsabläufe bietet, gegenüberstand: Während bisher der Arbeitgeber für alle IT-Updates und -Veränderungen verantwortlich war, lag der Ball nun bei Microsoft, Springer hatte nur bedingten Einfluss darauf. Vor allem ob und wie die Software Persönlichkeitsrechte von Mitarbeiter_innen verletzt, war für den Betriebsrat kaum abschätzbar. „Wir sahen unsere Mitbestimmungsrechte in Gefahr“, so Pulver.
Das Betriebsverfassungsgesetz besagt in Paragraf 87, dass bei der „Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen, Mitbestimmungsrechte bestehen“. Der Springer-Betriebsrat musste sich also damit befassen, wie dies mit „moveoffice“ in Einklang zu bringen ist. Ein schwieriger Aushandlungsprozess über zwei Jahre begann, der schließlich in eine Konzernbetriebsvereinbarung (KBV) zu „moveoffice“ mündete. Sachverständige Unterstützung holte sich der Konzernbetriebsrat unter anderem bei Helmut Platow, Rechtsanwalt und ver.di- Arbeitsrechtsspezialist. „Bei moveoffice besteht der qualitative Umbruch darin, dass es eigentlich nur betrieben werden kann, wenn laufend gegen das Betriebsverfassungsgesetz verstoßen wird. Mitbestimmungspflichtige Änderungen werden eingeführt, ohne vorherige Zustimmung des Betriebsrats, der sich erst nachträglich äußern kann. Das steht grundsätzlich im Widerspruch zur Systematik des Betriebsverfassungsgesetzes“, erklärt Platow.
„Mit der im Juli 2016 verabschiedeten KBV sind wir sehr zufrieden“, sagt Pulver heute. Festgelegt wurde, dass ein vom Betriebsrat gebildetes Expertenteam von Fall zu Fall entscheidet, ob von Microsoft eingespielte Updates unkritisch sind oder gesonderte Regelungen erfordern. In die KBV wurden weitgehende Eskalationsstufen eingebaut, die vom Abschalten einzelner Tools bis zum völligen Rückbau von „moveoffice“ innerhalb einer Jahresfrist reichen – ein Worst Case, der Springer enorm viel kosten würde. „Dass wir unsere Mitbestimmungsrechte nicht abgeben können – nicht an den Arbeitgeber und schon gar nicht an Microsoft – war ein Kernpunkt, den wir herausgearbeitet haben. Es kann nicht etwas eingeführt werden, bei dem wir letztlich nur zuschauen“, stellt Betriebsrat Robert Hilbig klar.
Der Arbeitgeber habe sich zunächst gegen die KBV gesträubt. „Allerdings konnte er ebenso wenig auf bisherige Erfahrungen zurückgreifen wie wir“, relativiert Pulver. Auch der Vorstand habe bald erkannt, dass es für ihn ungünstig ist, wenig bis gar keinen Einfluss auf die verwendete Software zu haben. Springer habe daher mit Microsoft einen Prozess verhandelt, wie die Zusammenarbeit laufen soll und wie Änderungen vorgenommen werden.
„Anfangs hat Microsoft alle zwei Wochen rund 200 Updates eingespielt“, berichtet Adrian Neuß, stellvertretender Vorsitzender des GBR SPRING. Er gehört dem Expertenteam aus drei Betriebsratskollegen und einem Sachverständiger an, das die Microsoft-Updates regelmäßig prüft. „Die Änderungen im Einzelnen durchzugehen und zu verstehen, ist eine große Herausforderung“, sagt er. Inzwischen erstelle Microsoft monatlich eine Roadmap mit allen Neuerungen, die von der IT-Abteilung des Arbeitgebers und vom Expertenteam im Zwei-Wochen-Rhythmus auf kritische Bestandteile gecheckt wird. Dabei gehe es etwa darum, ob Persönlichkeitsrechte von Arbeitnehmer_innen verletzt werden, ob die Leistungskontrolle verhältnismäßig ist, ob Veränderungen nutzerfreundlich sind. „Diese Dinge besprechen wir zunächst im kleinen Kreis, wir berichten darüber auch dem Arbeitskreis IT, in dem Betriebsratskollegen aller Springer-Gesellschaften und -Bereiche versammelt sind. Größere Themen geben wir zur Entscheidung an den Konzernbetriebsrat. „Wenn Regelungsbedarf besteht, entwerfen wir auch mit den Sachverständigen Anlagen zur KBV, die dann mit dem Arbeitgeber verhandelt werden“, so Neuß.
Damit niemand den Überblick verliert, haben Arbeitgeber und Konzernbetriebsrat gemeinsam ein Schulungskonzept entworfen. „Ohne ständige und immer wieder erweiterte Schulungen wäre ein absolutes Chaos entstanden“, so Pulver. „In Pflichtschulungen lernen die Mitarbeiter, wie mit moveoffice umzugehen ist und wie das Teilen funktioniert“, ergänzt Neuß.
Richtig in den Clinch gehen mit Microsoft musste man bislang nicht, eine Eskalationsstufe musste nicht in Gang gesetzt werden, berichtet Pulver. Springer habe seinen Einfluss geltend gemacht, sodass einige Tools abgeschaltet wurden. „Microsoft nimmt inzwischen recht willig an der Software Änderungen nach unseren Wünschen vor. Schließlich sind wir eine der wenigen Firmen, die moveoffice in diesem Umfang installiert hat. In diesem Markt will Microsoft weiterhin einen Fuß haben“, ist sich Pulver sicher.
Robert Hilbig erläutert am Beispiel von Delve Analytics (mittlerweile MyAnalytics), wie Microsoft dem Unternehmen entgegenkommt: Bei diesem Tool von „moveoffice“ laufe im Hintergrund ein Algorithmus, der versucht, das Verhalten des Benutzers zu optimieren, etwa beim Umgangs mit E-Mails oder mit anderen Personen. „Das klingt zunächst ganz nett, allerdings war unklar, wer Zugriff auf diese Daten hat“, sagt Hilbig. Man habe sich schließlich mit dem Arbeitgeber darauf geeinigt, die Erweiterung gar nicht erst einzuschalten.
Rechtsanwalt Platow bezweifelt, dass es im Ernstfall tatsächlich zu einem millionenschweren IT-Rückbau kommen würde. „Wahrscheinlicher ist es, dass ein Vorstandsvorsitzender – in diesem Fall Mathias Döpfner – zum Hörer greift und mit Microsoft Deutschland über eine Anpassung der Software verhandelt.“ Über die KBV motiviere der Betriebsrat also den Arbeitgeber, selbst Einfluss auf Microsoft zu nehmen. Dass Microsoft zu Zugeständnissen bereit war, sei ein Erfolg, den es so in der Branche bisher nicht gab. „Die KBV ist aus unserer Sicht wegweisend. IT-Unternehmen werden auch weiterhin Software entwickeln, die vom einzelnen Nutzer nicht mehr zu beeinflussen ist. Damit läuft das Betriebsverfassungsgesetz eigentlich leer. In dieser Situation als Betriebsrat nicht kleinbeizugeben, ist eine große Leistung“, lobt Platow.