Brot- und Butter-Job

Tatjana Kerschbaumer, freie Journalistin in Bayern
Foto: Chris Wrenger

Tatjana Kerschbaumer schreibt über Wirtschaft, Regionales und Reisethemen

Die Almbauern-Versammlung fand in Enterrottach statt und über Enterrottach muss man in erster Linie wissen, dass es sehr weit draußen ist. Tatjana Kerschbaumer sollte für die Regionalzeitung darüber berichten. „Und als ich da ankam, damals mit bunten Haaren und Springerstiefeln, kommt gleich der Oberalmbauer auf mich zu, schaut mich kritisch an und fragt dann gaaanz langsam, mit Betonung auf jeder Silbe: Grüß Gott, sind Sie unserer Sprache mächtig?“ Tatjana Kerschbaumer lacht: „Das war das Beste ever!“

Zurück in der Redaktion stellte sich dann heraus: Mit den Springerstiefeln und den bunten Haaren hatte die Reaktion des Almbauern nichts zu tun. Sondern mit der Kollegin, die im Jahr davor über die Almbauern hatte berichten sollten. Die kam nämlich aus Bremen. „Und bei den bayerischen Almbesitzern, da hat die vielleicht noch ´Grüß Gott´ verstanden – aber dann war es auch vorbei.“ Ein anderer, des Bayerischen mächtiger Redakteur musste sich im Anschluss von dem Almbauern die gesamte Veranstaltung am Telefon nacherzählen lassen. „Es kann eben schon mal passieren, dass man einen Auftrag kriegt, der nicht so gut zu einem passt“, sagt Tatjana Kerschbaumer.

Kerschbaumer ist freie Journalistin. Sie schreibt für verschiedene Magazine und Seiten über Wirtschaft, Regionales und Reisethemen. „Meistens werde ich inzwischen von Redaktionen angefragt, ob ich dieses oder jenes Thema übernehmen könne“, sagt sie. „Nur in seltenen Fällen schlage ich eigene Themen vor – dazu komme ich zeitlich gar nicht.“ Wie viele freie Journalist_innen es in Deutschland gibt, ist unklar. Ein Forscherteam der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), das 2017 eine Studie zu freiem Journalismus gemacht hat, spricht von 9.600 Freiberuflern. Fast die dreifache Zahl ist bei der Künstlersozialkasse gemeldet. Zählte man all jene Menschen mit, die ihren Unterhalt oder einen Teil davon über ihren eigenen Blog verdienen, wären es wohl noch mehr. Auch in der dju sind mehr als zwei Drittel der Organisierten freiberuflich tätig.

 

Kerschbaumer ist über ihr Studium zum freien Journalismus gekommen: Im Rahmen ihres Kommuni­kationswissenschafts-Studiums hatte sie ein Pflichtpraktikum beim Miesbacher Merkur absolviert, einer Tageszeitung in ihrer Heimatregion am Tegernsee. „Und da bin ich dann erstmal geblieben, die nächsten fünf Jahre, als freie Autorin.“ Schön sei das gewesen, sagt Kerschbaumer heute, aber auch: richtig schlecht bezahlt. „Irgendwann habe ich da 35 Cent pro Zeile bekommen, da hieß es dann: Das ist jetzt aber schon der Höchstsatz.“

Auch, wenn man nicht genau sagen kann, wie viele freie Journalist_innen es in Deutschland gibt, ist klar: Die Zahl derer, die wenig verdienen, ist unter den freischaffenden Journalist_innen weit höher als unter ihren festangestellten Kolleg_innen. Rund 28 Prozent der Freien, das ergibt die Studie der LMU, verdienen weniger als 1800 Euro im Monat; 32,6 Prozent der Freien gehen zusätzlich nicht-journalistischen Tätigkeiten nach, um sich zu finanzieren.

Eigentlich wäre sie gerne beim Miesbacher Merkur geblieben, sagt Kerschbaumer. Aber freischaffend? „Da kriegst du für einen Aufmacher vielleicht 60 Euro.“ Kerschbaumer machte oft gleich mehrere Termine – und Artikel – an einem Tag, von einem guten Gehalt konnte man trotzdem bei Weitem nicht sprechen. „Ich habe den Chef immer wieder gefragt, ob sie eine feste Stelle für mich haben, aber die Antwort war immer: Nein, ich könne nur frei für sie arbeiten.“ Als nach ihrer Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München schließlich ein Angebot vom Berliner Tagesspiegel kam, war die Sache deshalb schnell entschieden: Sie würde nach Berlin gehen, sagte Kerschbaumer ihren Kolleg_innen vom Miesbacher Merkur. „Und da war das Geschrei dann groß“, erzählt sie. „Wer macht denn jetzt den Gemeinderat von Fischbachau?“

Seither hat Kerschbaumer kaum noch Kontakt zur Redaktion. Sie hätten ihr das „ziemlich krumm genommen“, dass sie einfach nach Berlin gegangen sei. Aber: „Für 35 Cent die Zeile würde ich heute sowieso nur noch in absoluten Ausnahmesituationen arbeiten.“ Lokalzeitungen zahlen im Schnitt weniger Geld als regionale und nationale Zeitungen. Das schlägt sich auch im Verdienst der Journalist_innen nieder. Fast 50 Prozent der freischaffenden Journalist_innen, die unter 1.800 Euro im Monat verdienen, arbeiten der LMU-Studie zufolge für lokale Medien.

Kerschbaumer sagt, erst, als sie beim Tagesspiegel angefangen hat, war ihr Einkommen hoch genug, um sich mit dem ganzen Papierkram beschäftigen zu müssen, der jeden Freiberufler irgendwann ereilt: Künstlersozialkasse, Steuererklärung, „und helfen konnte mir beim Tagesspiegel da erstmal auch keiner – die waren ja alle festangestellt.“

Kerschbaumer war nicht fest angestellt, aber trotzdem jeden Tag in der Redaktion. Als Pauschalistin. „Pauschalisten-Jobs“ sind im Journalismus weit verbreitet. Dabei arbeiten freischaffende Journalisten für eine bestimmte Redaktion oft an einem festen Thema. In der Praxis heißt das meistens: die Pauschalisten machen die gleiche Arbeit wie ihre festangestellten Kolleginnen, gelten aber als freischaffend. In den letzten Jahren ist die Praxis der Redaktionen, Arbeit massenhaft an „Pauschalisten“ und „feste Freie“ auszulagern, stark unter Druck geraten. Immer wieder gab es Prozesse um die Frage, ob die „freischaffenden“ Mitarbeiter nicht eigentlich Scheinselbstständige sind. „Ich habe damals immer darauf geachtet, dass ich noch mindestens ein bis zwei zusätzliche Auftraggeber hatte“, sagt Kerschbaumer. Neben einem Vollzeitjob: „Das war ganz schön anstrengend.“

Inzwischen wohnt Kerschbaumer wieder in München und arbeitet als „klassische“ Selbstständige. Wobei: „Einen hauptsächlichen Auftraggeber zu haben – das ist schon wichtig“, sagt sie. Bei ihr ist das das Branchen- und Markenmagazin turi2. „Ich sag immer: Das ist mein Brot und Butter-Job“, so die Journalistin. „Aber insgesamt habe ich schon sehr viele verschiedene Auftraggeber.“

Wie lange sie arbeitet? Kerschbaumer überlegt. Keine einfache Frage. „Wahrscheinlich im Schnitt so acht Stunden am Tag“, sagt sie schließlich. „Aber das verteilt sich eben auf eine Mischung aus 2–3 Stunden an einem Tag und 12–14 Stunden am nächsten.“ Damit kommt sie im Schnitt auf einen Bruttolohn von 3.500 Euro, zumindest in etwa, so genau kann man das nie sagen. Dafür schreibt sie neben turi2 für Regional-, Wirtschafts- und Reisemagazine. Und was ist mit den Tageszeitungen? „Um sich zu etablieren – super. Um sich zu finanzieren – schwierig“, ist sie sicher. Regelmäßig freischaffend für Zeitungen schreiben? Davon kann man kaum leben. „Das mache ich vielleicht mal für ein Gimmick; eine neue Hose, die ich haben will oder ein paar Schuhe – aber sich davon finanzieren?“

Trotzdem: „Ich habe den Eindruck, gerade gibt es genug Arbeit für Freie“, sagt Kerschbaumer. Sicherlich auch, weil die Situation im Medienbetrieb immer ungemütlicher wird: immer mehr Betriebe versuchen, möglichst viel Arbeit an Freischaffende auszulagern. In der letzten Zeit sei ihr das immer öfter begegnet. Heftkonzeption, Redigatur, Schlusskorrektur – selbst klassische Redaktionsaufgaben würden bei einigen Magazinen inzwischen an Externe vergeben, sagt Kerschbaumer. „Das Auftragsvolumen ist auf jeden Fall groß.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Tatjana Kerschbaumer,

freie Journalistin, versteht auch Bayerisch.

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