Große Geschichten über junge Menschen, die sich in der Gesellschaft behaupten, und handfeste Infos für angehende Filmemacher*innen, die später mal von ihrem Beruf leben möchten: Das gab es, diesmal mit einem zusätzlichen Programmpunkt, beim Studierendenfilmfestival Sehsüchte, das vom 24. bis 28. April an der Filmuniversität Konrad Wolf Babelsberg stattfand.
Etwas merkwürdig sieht es schon aus, wie sie da sitzen: Auf bequemen Sesseln, mit großen Brillen über dem Gesicht und Kopfhörern auf den Ohren, drehen die Zuschauer*innen der 360°-Filme unvermittelt ihre Köpfe nach oben, unten oder zur Seite. Wer dann selbst die Brille aufsetzt, versteht, warum die Kopfbewegungen unbedingt dazugehören: Egal, wohin der Blick geht, überall ist Bild. Schaut man nach oben, ist da Himmel, schaut man nach unten, vielleicht ein Hund oder der dürre Boden in der Weite Australiens – zumindest, wenn man sich für den Film „Sunburnt Country“ entschieden hat, der die Folgen des Klimawandels für die australische Landwirtschaft thematisiert. Es ist einer von fünf 360°-Filmen, die auf dem Studierendenfilmfestival Sehsüchte gezeigt werden – eine Neuheit im Festivalprogramm.
„Explore“ lautete das diesjährige Motto von Sehsüchte. Ein Motto, das viel Spielraum lässt, denn zu erkunden gibt es im Film natürlich immer etwas. Bezogen auf die 360°-Filme bedeutet Erkundung hier nicht nur die Auseinandersetzung mit dem Inhalt des Films und einer neuen Technik, sondern auch einer neuen Form des Erzählens.
Das sagt Marvin Hoffmann, Student der Medienwissenschaft und mitverantwortlich für diese neue Sektion beim Festival: „Diese Filme haben eine ganz andere Funktionsweise als klassische Filme.“ Denn dass die Zuschauer*innen bei 360°-Filmen in alle Richtungen schauen können, erfordere andere Erzählstrukturen. Es gehe eher darum, den Blick der Zuschauer*innen zu lenken, auch durch den Ton. „Wenn von der Seite ein Geräusch kommt, schauen wir automatisch in diese Richtung. Das kann man bei 360°-Filmen bewusst einsetzen“, so Hoffmann.
Bislang finde diese neue Form nicht genug Beachtung, sagte der Student, auch auf der Berlinale würden solche Filme nicht gezeigt. Aus diesem Grund habe man sich entschieden, sie in das Sehsüchte-Programm aufzunehmen. Die Resonanz unter den Besucher*innen sei groß.
Zum besten 360°-Film wurde schließlich der österreichische Streifen „Fluchtpunkt (Vanishing Point)“ von Béla Baptiste gekürt. Er nutze das Medium in „hervorragender Weise“, da er zwei verschiedene Handlungsstränge parallel in 360° zeige, urteilte die Jury.
111 aus 1200 Streifen ausgewählt
Klassische Filme, die auf großer Leinwand gezeigt wurden, gab es selbstverständlich. Das Sehsüchte-Festival wird seit über 45 Jahren von Studierenden der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf veranstaltet. 1200 Filme wurden in diesem Jahr eingereicht, 111 schafften es ins Festivalprogramm.
Zu den Gewinnern gehört der kasachisch-französische Spielfilm „Tak sebe zima (Bad Bad Winter)“ von Olga Korotko, der von einer jungen Frau erzählt, die ins Haus ihrer verstorbenen Oma zurückkehrt. Laut Jury ein „einfaches Szenario“, das die Regisseurin „in eine moralische Geschichte griechischen Ausmaßes“ verwandelt.
Bester Dokumentarfilm wurde der georgische Film „სოციუმის პატიმარი (Prisoner of Society)“ von Rati Tsiteladze über einen Menschen, der im Körper eines Jungen geboren wird, aber eine Frau sein will und sich in der georgischen Gesellschaft gefangen fühlt.
Gewerkschaftlicher Realitätscheck
Filme machen ist die eine Sache, davon leben eine andere. Darum bot ver.di zum dritten Mal bei Sehsüchte mit dem Workshop „Startpaket Filmgeschäft“ einen Realitätscheck für den Branchennachwuchs an. Es ging um die Themen, die entscheidend werden, wenn Filmemacher*innen sich mit ihrer Arbeit eine Existenz aufbauen wollen: um Arbeitsverträge, die Höhe von Honoraren, um soziale Absicherung und Arbeitszeiten.
Die Teilnehmer*innen des Workshops waren bunt gemischt: Von einer Kostümbildnerin über eine Abiturientin, die Kamerafrau werden möchte, bis hin zu Student*innen der Theaterregie und Quereinsteiger*innen.
Dass es zahlreiche offene Fragen gibt, wurde schnell klar: Was kann eine Gewerkschaft tun, wenn bei einem Filmset die Überstunden unzumutbar werden? Wer oder was ist die KSK? „Was ist, wenn Netflix hier dreht, gelten dann die deutschen Gesetze?“, fragte ein Student. Eine Teilnehmerin, die schon freiberuflich arbeitet, sagte: „Jeder Job bringt neue Fragen. Auch nach fünf Jahren habe ich oft die Verträge nicht verstanden und wurde von den Verantwortlichen an die Wand geredet. Jetzt will ich auch mal etwas antworten.“
Die Workshop-Leiter Hikmat El-Hammouri, Gunther Eschke und Lars Petersen nickten wissend. El-Hammouri, als ver.di-Gewerkschaftssekretär unter anderem zuständig für die FilmUnion, klärte über die Rechte einer Gewerkschaft auf und die Verbesserungen, die beispielsweise beim Anspruch auf Arbeitslosengeld erkämpft worden sind. Doch noch immer müssten sich viele Dinge in der Filmbranche ändern, damit ein gutes Arbeiten und Leben möglich sei. „Auch Filmschaffende sollten die Möglichkeit haben, später mal eine Familie zu haben.“
Dramaturg Gunther Eschke sowie Kameramann und Oberbeleuchter Lars Petersen – beide in der ver.di FilmUnion aktiv – berichteten von ihren persönlichen Erfahrungen als Filmschaffende. So gab Petersen den Tipp, sich besonders am Anfang bei Unklarheiten in Sachen Honorar mit Kolleg*innen abzusprechen.
Der Workshop sei eine gute Gelegenheit, den Studierenden die gewerkschaftliche Arbeit und Tarifarbeit näherzubringen, so Hikmat El-Hammouri. Fragen rund um Gagen und Arbeitsbedingungen würden früher oder später wichtig, stünden aber nicht im Mittelpunkt der Lehre an den Universitäten. „Wir sehen hier eine Chance, von gewerkschaftlicher Seite eine Lücke zu schließen.“