Das neue Buch des französischen Karikaturisten und Journalisten Luz soll vor allem eine politische und persönliche Aussage transportieren. Diese Aussage bringt er auf der letzten der rund 300 gezeichneten Seiten zum Ausdruck. Seine dem Attentat vom 7. Januar 2015 zum Opfer gefallenen Freunde vom Satiremagazin Charlie Hebdo nennt er dort „unauslöschlich“. Seine Hand, die den Füller hält, mit dem er zeichnet, bildet dabei eine Faust mit ausgestrecktem Mittelfinger.
„Unauslöschlich“ nannte Luz auch das bereits 2018 erschienene Original des Werkes, das nun auf Deutsch unter dem schwachen Titel „Wir waren Charlie“ vorliegt. Die Vergangenheitsform verweist auf den wohl brutalsten Angriff auf die Freiheit des Denkens und Veröffentlichens in Mitteleuropa in der jüngeren Geschichte: Die meisten der Menschen, die bis zu jenem Januartag vor fünf Jahren Charlie Hebdo gewesen waren, starben, ermordet durch religiöse Fanatiker. Luz, der das Attentat durch Zufall überlebte und in den Tagen danach die Titelseite der Überlebenden-Ausgabe zeichnete, verließ die Zeitung einige Monate später.
Noch 2015 erschien sowohl in Frankreich als auch in Deutschland sein Band „Katharsis“, in dem er das Trauma verarbeitet. Das Buch ist „kein Zeugenbericht, geschweige denn ein Comic“, wie er im Vorwort schrieb. Es enthält eher groteske und düstere Fragmente, Träume und Erlebnisse mit Bezug auf das Attentat, auch Zweifel bis hin zur Verzweiflung. Es scheint, dass Luz nach diesem sich rein auf das Ausleben einer verstörten Subjektivität beschränkenden Buches nun eines vorlegen wollte, das zwar ebenso seinem Verarbeitungsprozess dient und diesen auch stark thematisiert, das aber gleichzeitig ein Akt des Widerstands ist. Es handelt sich nun sehr wohl um einen Zeugenbericht als Comic, und zwar mit der Absicht, einigen der Ermordeten ein Denkmal zu setzen – und damit auch deren jahrelang kultivierter prinzipieller Respektlosigkeit.
Der 1972 geborene Autor schildert seine Arbeit in der Redaktion, der er ab 1992 angehörte, anhand diverser Episoden. Er folgt dabei offenbar keiner Systematik. Er geht nur auf ein paar seiner Kollegen tiefer ein; er schildert keine verschiedenen Epochen der Zeitschrift und nur wenige Kontinuitäten; er erklärt kaum eine Grundhaltung oder inhaltliche Streitigkeiten der Redaktion; und er bindet einzelne Reportagen ein, die er für das Blatt machte. Luz erzählt dabei auch viel über sich selbst, und manches hätte kürzer ausfallen können. Aber im Vordergrund steht die Schilderung des Redaktionslebens und die Liebeserklärung an einige der Kollegen, die ihm sehr viel bedeuteten, weil sie sein politisches Denken sowie seine zeichnerischen und humoristischen Fähigkeiten prägten.
Dass das als Comic gelungen ist, versteht sich bei einem so erfahrenen Zeichner von selbst. Mit schwungvollem Strich erweckt Luz seine Hauptpersonen zum Leben. Hintergründe lässt er dabei oft weg, Panels (wie die eckigen Fenster in Comics heißen) sowieso, und Farbe hat er auch nicht nötig. Gerne lässt er die Bilder ineinander übergehen, was den Schwung, mit denen auch die Geschichten ausgestattet sind, verstärkt. Bisweilen rasant ist das Ganze auch wegen der Unmenge Text, die Luz in den Sprechblasen unterbringt. Immer wieder zwängt er Dialoge und das redaktionelle Stimmengewirr um die Zeichnungen herum.
Luz hat ein unterhaltsames und historisch interessantes Buch vorgelegt, dessen Hauptintention es aber sein dürfte, die Wichtigkeit und Bedrohtheit journalistischer Freigeistigkeit in Erinnerung zu rufen.
Luz: Wir waren Charlie, aus dem Französischen von Vincent Julien Piot, Tobias Müller und Karola Bartsch, Reprodukt 2019, 320 S., 29 Euro, ISBN: 978-3-95640-193-0