Dass strafbare Inhalte im Internet wirksam nur grenzübergreifend innerhalb der EU bekämpft werden können, war Ende letzten Jahres Ergebnis einer Konferenz in Brüssel. Seither erwarteten die Teilnehmer mit Spannung ein Rechtsgutachten zur Machbarkeit. Die entsprechende Studie des Instituts für Europäisches Medienrecht (EMR) wurde vor kurzem vorgestellt – mit ernüchterndem Ergebnis. Maßgebliche Gesetze der Europäischen Union sind teilweise bereits über 20 Jahre alt.
Der „Digital Services Act“, ein zentrales Projekt der EU-Kommission, das eine übergreifende, zeitgemäße juristische Grundlage für den digitalen europäischen Raum werden soll, scheint danach noch in weiter Ferne. Mark Cole, Leiter des EMR, benennt in seiner Untersuchung „Cross-Border Dissemination of Online Content“ wesentliche Herausforderungen, die es deshalb zu lösen gilt.
Ein Knackpunkt ist das „Herkunftslandprinzip“: Nur der EU-Staat, in dem ein Provider oder Onlineanbieter seinen Sitz hat, darf den entsprechenden Anbieter belangen, wenn auf seiner Plattform strafbare Inhalte zugänglich sind. Aber schon beim Vergehen „Hate Speech“ beispielsweise haben die europäischen Länder teilweise komplett unterschiedliche Ansichten darüber, was erlaubt ist und was strafbar. Cole: „Die Natur der Online-Inhalte, die regelmäßig bis zu ihrer Entfernung verfügbar sind, erfordert Lösungen, mit denen der Zugriff auf illegale und schädliche Inhalte schneller unterbunden werden kann.“ Dabei, so der Rechtswissenschaftler, sei es denkbar, das Herkunftslandprinzip beizubehalten, „aber gegebenenfalls eine Anknüpfung an den Marktort zu ermöglichen, indem entweder die Verfahren vereinfacht oder die Fälle, in denen andere als die Regulierungsbehörden des Herkunftslandes tätig werden können, ausdrücklich definiert werden“.
Heißt: Auch in den Ländern, wo die entsprechenden illegalen Inhalte konsumiert werden, sollten die ansässigen Behörden die Möglichkeit haben, gegen die Verantwortlichen vorzugehen, selbst wenn sie in einem anderen EU-Land ihren Sitz haben.
„Zukünftig muss es in jedem Fall auf eine Art ‚fast track procedures‘ hinauslaufen. Es braucht Verfahren, die sich vor allem auf die Zusammenarbeit der zuständigen Aufsichtsbehörden untereinander beziehen“, fordert daher Tobias Schmid. Der oberste Medienwächter Nordrhein-Westfalens ist zugleich Vorsitzender des internationalen Gremiums European Regulators Group for Audiovisual Media Services (ERGA), in dem sich die Medien-Regulierungsbehörden der 28 EU-Mitgliedstaaten zusammengeschlossen haben. Er und seine Kollegen sind aktuell dabei, ein „Memorandum of Understanding“ zu verfassen, das genau dieses Ziel verfolge: „In jedem Fall“ sollten die national zuständigen Aufsichtsbehörden bei der internationalen Zusammenarbeit involviert sein, „weniger jedoch staatliche Stellen, etwa Ministerien, und die EU-Kommission“.
Aus EU-Führungskreisen hieß es dagegen, dass es in dieser Phase des Prozesses verfrüht sei, über die genauen Instrumente zu spekulieren. Probleme, die außerhalb des Heimatlandes der Dienstleister auftreten könnten, sollten aber in erster Linie durch einen „wirksamen grenzüberschreitenden Kooperationsmechanismus“ sowie durch eine „starke und wirksame Durchsetzung im Heimatland“ des jeweiligen Providers angegangen werden.
Die Befürchtung in Brüssel: Unkoordinierte Maßnahmen der Mitgliedstaaten und der zuständigen Durchsetzungsbehörden könnten den Binnenmarkt für digitale Dienste fragmentieren und europäischen Unternehmen im globalen Wettbewerb benachteiligen.
Eine Lösung wird sicher Jahre in Anspruch nehmen. Ob sie dann noch Sinn macht? Die digitale Welt jedenfalls wird sich auch in der Zwischenzeit rasant weiter entwickeln.