Smarter Wechsel

Genossenschaft verzaubert Selbstständige auf Wunsch in Angestellte

Es klingt magisch – und funktioniert. Die junge Berliner Genossenschaft Smart verwandelt Selbstständige in Angestellte. Die Mitglieder, zumeist Solo-Selbstständige, bringen ihre Einnahmen bei der Genossenschaft ein und beziehen daraus ein festes monatliches Gehalt. Der Nachteil: Sie müssen die vollen Sozialversicherungsbeiträge bezahlen und sieben Prozent Verwaltungskosten an die Genossenschaft abführen.

Smart nimmt den Mitgliedern Verwaltungsarbeit ab, schreibt Rechnungen, treibt Forderungen ein und kümmert sich für ihre derart Angestellten um die -Steuern. „Unsere Mitglieder können sich auf ihre Arbeit konzentrieren“, erklärt Smart-Mitarbeiter Sebastian Hoffmann. „Viele sind produktiver, wenn sie sich auf die Sicherheit eines regelmäßigen Einkommens stützen können“, ergänzt Geschäftsführerin Magdalena Ziomek.

Kurzarbeitergeld möglich

Das Gehalt, das ihnen die Genossenschaft bezahlt, müssen die Mitglieder allerdings selbst verdienen. Sie schätzen jeweils ihre Einnahmen der kommenden Monate und bestimmen daraus das Einkommen, das sie als Angestellte bei Smart verdienen möchten. Wer mag, kann auch weniger ansetzen und einen Teil seiner Einnahmen auf dem Smart-Konto liegen lassen. Erzielt man in einem Jahr sehr viel und im nächsten Jahr sehr wenig Umsatz, kann man mit dem daraus gemittelten Gehalt Steuern und Sozialabgaben sparen. Diese berechnen sich nur nach dem Gehalt, das die Genossenschaft auszahlt.

Aktuell profitieren viele Genoss*innen von den Corona-Regelungen. Wenn sie schon von dem 15. März bei Smart angestellt waren, beantragt die Genossenschaft für sie Kurzarbeitergeld. Außerdem sind sie über die Genossenschaft in der Arbeitslosenversicherung.

Für Mitglieder in der Künstlersozialversicherung KSK lohnt sich die Mitgliedschaft bei Smart meist nicht. Anders als über die KSK zahlt man hier nämlich die vollen Beiträge zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung alleine. Wer allerdings neben seiner künstlerischen oder publizistischen Arbeit zu viel Geld in einer anderen Branche verdient, kann aus der KSK ausgeschlossen werden. Smart bietet eine charmante Möglichkeit, diesen Rauswurf zu vermeiden. Ich kann mich dort zum Beispiel mit einem Minijob anstellen lassen und meine Nebeneinkünfte darüber abrechnen. Alles andere läuft weiter wie bisher. Smart stellt den Mitgliedern frei, ob und wie viele ihrer Einnahmen sie in die Anstellung bei der Genossenschaft einbringen möchten.

Interessant ist das Modell auch für Selbstständige mit geringen Einnahmen. Die Krankenkassen zum Beispiel unterstellen jedem und jeder versicherten Selbstständigen ein Einkommen von mindestens 1.038 Euro im Monat. Wer weniger hat, zahlt trotzdem den daraus errechneten Mindestbeitrag von – je nach Kasse – etwa 180 Euro. Wer zum Beispiel zwischen 600 und 1.000 Euro im Monat verdient, spart als angestelltes Mitglied bei Smart möglicherweise eine Menge Geld.

Bands, Künstlergruppen und andere Kreative, die punktuell zusammenarbeiten, nutzen Smart, um gemeinsam Aufträge abzurechnen. So ersparen sie sich den Aufwand, einen Verein oder eine GbR zu gründen. Sie treten der Genossenschaft bei und lassen sich dort anstellen. Smart rechnet die Aufträge der Mitglieder mit deren gemeinsamen Kunden ab. Auch Fahrradkuriere, Plattform-Arbeiter*innen und freie Dozenten nutzen Smart, um ihrem gemeinsamen Marktauftritt mehr Gewicht zu verleihen. In Bremen gründet Smart derzeit ein eigenes, bundesweites Bildungswerk, in dem sich freie Trainer und Lehrkräfte gemeinsam präsentieren können.

Entscheidend nennt Geschäftsführerin Ziomek das Vertrauen der Mitglieder in ihre Genossenschaft. Sie kann sich nur an einen einzigen Betrugsversuch erinnern. Ein Mitglied hatte Fake-Aufträge gemeldet. Der Schaden blieb auf 700 Euro begrenzt, weil die Mogelei schnell auffiel. Die Mitglieder müssen ihre Aufträge vorlegen, die sie über Smart abrechnen wollen. Der Kunde unterschreibt eine Vereinbarung mit der Genossenschaft, die dann das Honorar in Rechnung stellt. Zudem bietet Smart den Mitgliedern gemeinsame Stamm-tische, Foren und Gruppen, in denen sie sich austauschen und zusammenarbeiten können.

Die Genossenschaft Smart Deutschland e.G. ist ein rechtlich und wirtschaftlich selbstständiger Partner der 1998 in Brüssel gegründeten belgischen Kooperative mit 75.000 Mitgliedern. Inzwischen gibt es Smart Genossenschaften in acht europäischen Ländern: Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien, Ungarn, den Niederlanden, Österreich und Schweden. Zusammen erzielten sie 2018 einen Umsatz von 204 Millionen Euro. Die deutsche Smart-Genossenschaft hat ihren Umsatz bisher jedes Jahr fast verdoppelt und erwirtschaftete zuletzt mit 500 Mitgliedern und neun festen Mitarbeiter*innen rund zwei Millionen Euro. Smart Deutschland arbeitet inzwischen mit zahlreichen Verbänden zusammen, über die neue Mitglieder zur Genossenschaft kommen. Mit dabei ist der Verband der Englischlehrer*innen Berlin-Brandenburg, eine Vereinigung von Berliner Stadtführer*innen, Kreatives Sachsen, der Verband der Kreativen in Deutschland und die Plattform Cooperatives Deutschland. Für 2020 rechnet Smart wegen der Corona-Krise mit „nur“ drei Millionen Euro Umsatz statt der ursprünglich geplanten vier Millionen.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Medienhäuser müssen Journalisten schützen

„Die Pressefreiheit ist auch in Deutschland zunehmend bedroht”, kritisiert die Bundesvorsitzende der Deutschen Journalistinnen- und Journalistenunion (dju) in ver.di, Tina Groll, zum Internationalen Tag der Pressefreiheit. Die dju in ver.di verzeichne mit großer Sorge eine wachsende Anzahl der Angriffe, die die Gewerkschaft für Medienschaffende in einem internen Monitoring festhält.
mehr »

Spanien: Als Terrorist beschuldigt

Der katalanische Investigativjournalist Jesús Rodríguez hat Spanien verlassen, um ins Exil in die Schweiz zu gehen. Ihm wird von Ermittlungsrichter Manuel García-Castellón die Unterstützung terroristischer Akte vorgeworfen. Die Schweiz sieht im Vorgehen der spanischen Justiz gegen den Katalanen einen „politischen Charakter“.
mehr »

Preis für behinderte Medienschaffende

Zum zweiten Mal schreibt in diesem Jahr die gewerkschaftsnahe Otto Brenner Stiftung zwei Preise und Stipendien für Journalist*innen mit Behinderung aus. Damit soll „ein klares Signal für die Förderung von Diversität als unverzichtbaren Wert in unserer demokratischen Gesellschaft“ gesetzt werden, sagt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Stiftung. 
mehr »

KI darf keine KI-Texte nutzen

Die Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen der KI im eigenen Metier wird Journalist*innen noch lange weiter beschäftigen. Bei der jüngsten ver.di-KI-Online-Veranstaltung ging es um den Anspruch an Gute Arbeit und Qualität. ver.di hat zum Einsatz von KI Positionen und ethische Leitlinien entwickelt. Bettina Hesse, Referentin für Medienpolitik, stellte das Papier vor, das die Bundesfachgruppe Medien, Journalismus und Film zum Einsatz von generativer Künstlicher Intelligenz im Journalismus erarbeitet hat.
mehr »