Was ist höher zu bewerten: Die Pressefreiheit oder die Persönlichkeitsrechte von Neo-Nazi Marko G., der Frontmann der Dortmunder Rechtsrock-Band Oidoxie ist? Keine einfache Frage, mit der sich der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm (OLG Hamm) auseinandersetzten musste. Durch einen Artikel des Springer-Blattes fühlte sich der Musiker ungerechtfertigt „in die Nähe von Mördern gerückt“. Bei der Bewertung einer Verletzung der Persönlichkeitsrechte konnte er einen Teil-Erfolg erringen.
Der Vorsitzende Richter Celes Lopez Ramos macht gleich zu Beginn deutlich: „Es geht hier nicht um die unstrittig rechte Gesinnung des Marko G. – er ist bekennender Neo-Nazi und nimmt hier die Rechte eines Rechtsstaats wahr, den er eigentlich untergraben will.“ Dies schließe allerdings keineswegs aus, dass er durch einen Artikel der „Bild“-Zeitung (Lokalausgabe Ruhrgebiet) mit dem Titel „Das rechte Netzwerk“ vom 18. Juni 2019 in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt werde.
Der enthielt mit Verweis auf den Blog NSU-Watch die Behauptung, Marko G. gehöre schon seit 2003 zum Führungskader der im Januar 2020 vom Bundesinnenminister verbotenen Vereinigung Combat 18 (C 18). Und sei deren „Schlüsselfigur“. Die für die Band-Security zuständige Oidoxie-Streetfighting-Crew solle Verbindungen zu Stephan E., dem Mörder des Regierungspräsidenten von Kassel, Walter Lübcke, gehabt haben, hieß es weiter in dem Text.
Marko G. behauptet dem gegenüber, er sei kein Mitglied der Gruppierung Combat 18 und gehöre erst recht nicht deren Führungskader an. Sein Anwalt Dr. Björn Clemens sagte: „Er sieht sich durch den Bericht in die Nähe von Mördern gerückt, das möchte er nicht.“
Fraglos hegte er Sympathien für diese Vereinigung. Immerhin hatte er sich auf der Brust unübersehbar ein Combat 18-Tattoo stechen lassen. Sogar eine Art Hymne „Terrormaschine Combat 18“ habe er, so der Richter, für die militant neonazistische Vereinigung mit seiner Band geschrieben. Für unstrittig befand der Senat, dass Marko G. Werbung für die Combat-Vereinigung machte. Unumstößliche Beweise, er gehöre seit 2003 bis zum Verbot zu deren Führungskader könne der Springer-Verlag jedoch nicht vorlegen. Das Gericht habe gründlich in Verfassungsschutzberichten und Protokollen von Untersuchungssauschüssen recherchiert und eine Zäsur im Leben des Sängers festgestellt, die es 2011 gegeben habe. Bis dahin könne es Indizien für die „Bild“-These geben, für die Zeit danach nicht mehr.
Die Justiziarin des Springer-Verlages konnte die Argumentation des Senats nicht nachvollziehen und bezeichnete sie als „Haarspalterei“ – „Ich weiß gar nicht, wie ich das der Redaktion erklären soll“. Der Springer-Anwalt Peter Scheibe sah eine „Überdehnung der journalistischen Sorgfaltspflicht“ für ein tagesaktuell arbeitendes Medium, das nicht tausende Seiten Quellen durcharbeiten könne.
Das beeindruckte den Richter wenig: „Das hätten sie so nicht schreiben dürfen. Das sind Tatsachenbehauptungen, für die sie Beweise beibringen müssen.“ Ramos: „In 99 Prozent aller Fälle entscheiden wir hier für die Pressefreiheit – in diesem Fall nicht.“ Zwar seien die Persönlichkeitsrechte von Marko G. nicht so geschädigt worden, wie von jemandem, der überhaupt nicht zur Neo-Nazi-Szene gehöre. „Beschädigt worden sind sie gleichwohl.“
Marko G. und sein Anwalt Dr. Björn Clemens hatten sich schon vor dem Landgericht Dortmund gegen die Axel Springer SE durchsetzen können. Vor dem OLG Hamm konnten sie erneut einen Teilerfolg verzeichnen: Der 4. Zivilsenat hat mit Urteil vom 25. August die Berufung des Springer Verlages zurückgewiesen (Az. 4 U 54/20) und das Urteil des Landgerichts Dortmunds bestätigt. Anders als das Landgericht hat das OLG allerdings keine Persönlichkeitsrechtsverletzung des Klägers in der Aussage erkennen können, dass im Umkreis des Sängers eine C-18-Zelle entstanden sei. Das Urteil ist rechtskräftig.