Die Pressefotografen und Kameraleute auf den Kanaren sind empört. Seit Wochen kommen vermehrt Flüchtlingsboote vom afrikanischen Festland auf die Inseln. Die meisten landen auf Gran Canaria. Mindestens 15.000 Migranten sind im Laufe des Jahres auf den Kanaren angekommen. So viele waren es seit 2006 nicht mehr. Doch es gibt kaum Bilder in den Zeitungen und im Fernsehen.
„Wir müssen aus einer Distanz von 150 Metern und mehr arbeiten. In anderen Häfen ist es bis zu einem Kilometer“, erklärt Javier Balauz, warum das so ist. Der Freelancer, der 1995 als erster Spanier mit dem Pulitzer-Preis für eine Arbeit aus Ruanda ausgezeichnet worden war, arbeitet dieser Tage im Hafen von Arguineguin im Südwesten der Hauptinsel Gran Canaria. Oder besser gesagt, er versucht zu arbeiten.
„Bisher durften wir immer an die Hafenmole und konnten aus kurzer Distanz fotografieren, wie die Menschen von den Rettungsschiffen an Land gingen“, sagt Balauz, der immer wieder die Flüchtlingsdramen zum Thema seiner Arbeit macht. „Jetzt mit dem Abstand, habe ich selbst mit dem Teleobjektiv nur eine dunkle Masse auf den Bildern.“ Das entmenschliche die Geflüchteten.
Aus Einzelschicksalen würde zwangsläufig so etwas wie eine „gefährliche Invasion“. Um klar zu machen, was das in seiner Ansicht nach bedeutet, verweist der Fotograf auf die Kampagne der extremen Rechten im Vereinigten Königreich vor dem Brexit-Referendum. „Dort wurden genau solche Bilder von Menschenmengen aus großer Entfernung eingesetzt“, weiss Balauz.
Gegen die Zensur
Balauz ist nicht der einzige, der sich über die Arbeitsbedingungen beschwert. Als Innenminister Fernando Grande Marlaska Anfang des Monats den Hafen besuchte, versammelten sich rund 20 Fotografen und Kameraleute zum Protest unter dem Motto „Presse verboten“. Eine Kampagne, die Balauz zusammen mit anderen Kollegen auf Twitter ins Leben gerufen hat, geht noch einen Schritt weiter: #SinCensuraPrevia (Ohne Vorzensur) heisst das Schlagwort, das sich auf die Zeiten der Franco-Diktatur bezieht, als alles was veröffentlicht wurde zuerst durch die Hände der Zensur ging.
Ángel Medina, freier Fotograf, der für die spanische Agentur EFE arbeitet, erging es noch schlechter als Balauz. Er musste die Ankunft eines Rettungsschiffes aus einer Entfernung von knapp 900 Metern verfolgen. „Es ist das erste Mal, dass uns das Fotografieren derart verunmöglicht wurde“, sagt Medina. Er glaubt, dass das Ministerium keine Fotos haben will, da es in den Dörfern rund um den Hafen immer wieder zu Demonstrationen gegen die Geflüchteten kommt. „Ich bin Freelancer, um ein Foto von der Ankunft eines Flüchtlingsbootes zu machen, muss ich meist 30 Kilometer mit dem Auto fahren, Benzin bezahlen, meist stundenlang warten, um dann eine Panoramaaufnahme eines Hafenmole aus einem Kilometer Entfernung zu machen, die ich anschließend nicht verkaufen kann. Das rechnet sich nicht“, berichtet Medina.
Als ein Team des öffentlichen spanischen Fernsehens TVE sich auf einem Wellenbrecher platzierte, um einen besseren Blick auf die Hafenmole zu haben, wurden sie von der Polizei aufgefordert, den Ort zu verlassen. Ein Richter habe dies angeordnet, lautete die Begründung.
Behörden verweigern Informationen
Emilio Morenatti, verantwortlicher Redakteur für Spanien und Portugal bei der Agentur Associated Press (AP) beschwert sich nicht nur über die Bedingungen vor Ort, sondern über die Informationspolitik des spanischen Innenministeriums und deren Provinzvertretungen – der Regierungsdelegation – auf den Kanaren. „In der Regierungsdelegation verbrachten sie die Tage damit, uns keine klare Antwort auf unsere Fragen nach Uhrzeit und Ort, wo die Rettungsboote ankommen, zu geben“, beschwert sich Morenatti. Seit Minister Grande Marlaska der „einheitlichen Kommandostruktur“ neben der Grenzpolizei auch die zivile Hochseerettung Salvamiento Marítimo unterstellt hat, gibt es auf deren Twitter-Kanal nur noch schöne Boote, Sicherheitsregeln für Yachten und Hilfe bei Fischereiunfällen zu sehen. Einst veröffentlichten sie in Echtzeit wo und wie viele Flüchtlinge aus Seenot gerettet und wann sie wo an Land gingen. Damit konnte die Presse arbeiten.
Nun hat sich die spanische Sektion von Reporter ohne Grenzen (ROG) des Falles angenommen. „Die Medien haben gemacht, was sie konnten. Aber wir hätten mehr Bilder, von dem was dort geschieht, sehen müssen“, sagt Sektionspräsident Alfonso Armada. In den Häfen am südspanischen Mittelmeer beobachtet RoG eine ähnliche Entwicklung wie auf den Kanaren. „In einem Telefongespräch erklärte die Pressestelle des spanischen Innenministeriums, ganz offen, dass zu viele Bilder ausländerfeindliche politische Formationen stärken könnten“, berichtet Armada. „Was dort geschieht hat Nachrichtenwert und die Öffentlichkeit hat das Recht, darüber informiert zu werden“, sagt Armada, der für die größte spanische Tageszeitung El País unter anderem über den Krieg in Sarajevo und die Konflikte in Ruanda berichtete. Für ihn muss „die Pressefreiheit über politischen Erwägungen stehen“.