Vor 75 Jahren wurde die Filmgesellschaft DEFA gegründet
Vor 75 Jahren, am 17. Mai 1946, schickte der Münchner Kabarettist Werner Finck ein launiges Telegramm nach Babelsberg: „Ein ferner Wink von Werner Finck, damit das Ding Euch wohl geling.“ Gemeint war die Deutsche Film-A.G., kurz DEFA genannt, die erste deutsche Filmfirma nach dem Zweiten Weltkrieg, die an jenem Tag eine Lizenz zur „Herstellung von Filmen aller Art“ erhielt. Neben deutschen, darunter auch einigen aus dem Exil zurückgekehrten Filmschaffenden waren Kulturoffiziere der Sowjetischen Besatzungszone maßgeblich an der Gründung beteiligt. Und doch verstand sich die DEFA zunächst als gesamtdeutsches Unternehmen. Viele der frühen, hochfliegenden Träume endeten freilich bald im Alltag des Kalten Krieges und der deutschen Teilung.
In der DDR avancierte die DEFA zum Monopolbetrieb für Spiel-, Dokumentar- und Trickfilme. Als sie im Zuge der Währungsunion im Sommer 1990 ihren Status als „Volkseigener Betrieb“ verlor, hatte sie rund 700 lange und 450 kurze Spiel-, 950 Animations- und mehrere Tausend Dokumentar- und populärwissenschaftliche Filme sowie Wochen- und Monatsschauen in die Kinos gebracht. Einige gingen um die Welt, manche wurden international ausgezeichnet. Dabei war die DEFA von der politischen Lage in der DDR und zwischen den Blöcken, den Schwankungen zwischen kulturpolitischem Tauwetter und neuen Erstarrungen abhängig. Keiner ihrer Filme entstand im luftleeren ideologiefreien Raum. Das war ihr Schicksal – und ist heute zugleich ein Glücksfall: Denn die Anbindung der Kunst an die Politik, die zeitweilig unbarmherzige Indienstnahme des Films durch die Agitation brachte immerhin zahlreiche zeitgeschichtliche Dokumente hervor.
Die besten Filme über die DDR
Am besten war die DEFA, wenn Authentizität und künstlerische, ästhetische Meisterschaft zusammentrafen – so wie in Spielfilmen von Konrad Wolf, Heiner Carow, Frank Beyer und anderen, in Dokumentarfilmen von Jürgen Böttcher, Volker Koepp, Helke Misselwitz oder Petra Tschörtner, in Trickfilmen von Kurt Weiler, Sieglinde Hamacher oder Lutz Dammbeck. Der Regisseur Rainer Simon hat völlig Recht, wenn er heute, gerade im Blick auf das Nachwende-Kino resümiert: „Die besten Filme über die DDR wurden in der DDR gedreht.“
Wenn in diesen Tagen, anlässlich des Jubiläums, wieder an die DEFA erinnert wird, spielen im Grunde immer dieselben Titel eine Rolle, beginnend mit dem ersten Film, Wolfgang Staudtes „Die Mörder sind unter uns“ (1946), der die antifaschistische Traditionslinie begründete. Gern zitiert werden Frank Beyers verbotener Film „Spur der Steine“ (1966) mit Manfred Krug und Heiner Carows „Die Legende von Paul und Paula“ (1973). Von Konrad Wolf sind „Ich war neunzehn“ (1968), die Geschichte eines jungen Deutschen in der Uniform der Roten Armee am Ende des Zweiten Weltkrieges, und „Solo Sunny“ (1980) präsent. Mit der Langzeitdokumentation über die „Kinder von Golzow“, an der Winfried und Barbara Junge zwischen 1961 und 2006 arbeiteten, kommt ein weltbekanntes Dokumentarfilmprojekt ins Spiel.
Doch die DEFA war so viel mehr: In den Studios entstanden zahlreiche Märchen- und Genrefilme, es gab Western, in der DDR „Indianerfilm“ genannt, und Science-fiction, Opern- und Revuefilme und spektakuläre Literaturadaptionen wie Konrad Wolfs „Goya“ (1971) im 70-mm-Format. Babelsberg öffnete seine Tore für Co-Produktionen: so in den 1950er-Jahren, als Simone Signoret und Yves Montand hier in „Die Hexen von Salem“ oder Jean Gabin in „Die Elenden“ spielten. Der niederländische Dokumentarist Joris Ivens drehte bei der DEFA seine weltumspannenden Großproduktionen „Lied der Ströme“ und „Die Windrose“. Tschechische Künstler*innen verfilmten mit der DEFA „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“, den bis heute wohl am meisten ausgestrahlten Märchenfilm.
Seit Anfang 1999 ist die gemeinnützige DEFA-Stiftung alleiniger Rechteinhaber des umfangreichen DEFA-Filmstocks und unternimmt vieles, um ihn ins Gespräch zu bringen. Wichtigste Voraussetzung ist dafür die Digitalisierung des „alten“ Materials. Dank umfangreicher Fördermittel konnten bereits Hunderte DEFA-Filme digitalisiert werden – für die Auswertung in den Kinos, für Streams, DVDs und nicht zuletzt für die Fernsehausstrahlung. In Zusammenarbeit mit Partnern wie Ice-storm, Progress, der Stiftung Deutsche -Kinemathek, dem Bundesarchiv und anderen werden Retrospektiven auf Festivals ausgestaltet. Die Stiftung hat eine Buchreihe etabliert und unterstützt die „DEFA Film Library“ an der Universität Amherst/Massachusetts, die seit mehr als zwanzig Jahren eine wissenschaftliche Beschäftigung amerikanischer Universitäten mit dem DEFA-Erbe anregt und sogar eine umfangreiche DEFA-Filmschau im Museum of Modern Art (MoMA) in New York organisierte.
Sogar für Premieren ist, über dreißig Jahre nach dem Ende der DDR, das DEFA-Erbe noch immer gut. So brachte die Stiftung erst vor wenigen Tagen den Film „Fräulein Schmetterling“, der bisher nur im Rohschnitt vorlag, in einer voll synchronisierten Fassung auf den Markt. Nach einem von Christa und Gerhard Wolf und Regisseur Kurt Barthel geschriebenen Drehbuch, gehörte er 1966 zu den zwölf gegenwartskritischen Arbeiten, die nach dem 11. Plenum des Zentralkomitees der SED verboten wurden. Diese Verbotsfilme, darunter Kurt Maetzigs „Das Kaninchen bin ich“, eine kritische Bestandsaufnahme der DDR-Justiz, oder Herrmann Zschoches „Karla“, ein Film über Probleme der Volksbildung, hatten damals keineswegs zum Sturz der bestehenden Ordnung aufgerufen, sondern einen „menschlichen Sozialismus“ eingeklagt: mehr Ehrlichkeit und Vertrauen, mehr Demokratie und weniger Bürokratie. Nach den Verboten überwogen zunächst Resignation und Anpassung. Und doch drängten Filmleute der DEFA immer wieder auf größere Wirkungsräume: Filme wie Egon Günthers „Der Dritte“ (1972) oder „Die Schlüssel“ (1974), Siegfried Kühns „Das zweite Leben des Friedrich Wilhelm Georg Platow“ (1973), Rainer Simons „Jadup und Boel“ (1981), Evelyn Schmidts „Das Fahrrad“ (1982) und Ulrich Weiß‘ „Dein unbekannter Bruder“ (1990) legen davon Zeugnis ab.
Erschöpfung utopischer Energien
Drei Generationen deutscher Filmkünstler konnten bei der DEFA, wenn auch in oftmals harten Kämpfen, „ihre“ Stoffe verwirklichen. In den frühen Jahren waren das Männer wie Erich Engel („Affaire Blum“, 1948), die das antifaschistische Thema etablierten. In den mittleren 1950er-Jahren kamen Regisseure wie Wolf, Beyer, Carow, Günter Reisch („Junges Gemüse“, 1956) und Gerhard Klein („Berlin – Ecke Schönhauser…“, 1957) hinzu, die sich thematisch und formal von der Konvention verabschiedeten. Die dritte Generation, zu der Lothar Warneke („Dr. med. Sommer II“, 1970), Roland Gräf („Bankett für Achilles“, 1975) und Rainer Simon („Männer ohne Bart“, 1973) zählten, brachten einen dokumentarischen Gestus in ihre Alltagsfilme ein. Nur die vierte Generation, die um 1980 ins Spielfilmstudio kam, vermochte ihre Sicht auf die Wirklichkeit kaum mehr durchzusetzen. Deutlich war im letzten Jahrzehnt der DDR im DEFA-Schaffen eine „Erschöpfung der utopischen Energien“ (Jürgen Habermas) spürbar.
Am 9. November 1989, dem Tag des Mauerfalls, hatte Heiner Carows „Coming out“ Premiere, der als Aufforderung verstanden werden konnte, sich in aller Offenheit zu sich selbst zu bekennen. Peter Kahanes „Die Architekten“ (1990) und Jörg Foths „Letztes aus der DaDaeR“ (1990) gerieten zu zornigen Abschieden von einem Land, dem man in Liebe und Hass verbunden war. – 1992 wurde das Babelsberger Spielfilmgelände an den französischen Konzern CGE, einen Betreiber von Wasserwerken, verkauft. Inzwischen haben die Besitzer mehrfach gewechselt; das Studio, das einst eigene Filme hervorbrachte, versteht sich nun vor allem als Dienstleister für Fremdfirmen. Die DEFA ist vollendete Vergangenheit. Ihre Überlieferungen jedoch sprechen eine beredte Sprache, wenn es darum geht, gelebtes Leben noch einmal nach Hoffnungen und Enttäuschungen, Träumen und Realitäten, nach ethischen Prinzipien und künstlerischen Kompromissen zu befragen.