Der Zeitpunkt erschien günstig. Kurz vor der Fußball-EM und einen Monat vor Beginn der Olympischen Spiele in Tokio ging das bundesweite Sportradio Deutschland (SRD) auf Sendung. Trotz fehlender Live-Rechte soll es sich als Spartensender beweisen. Unter dem Motto: „Sport ist alles. Alles ist Sport“, wird seit Ende Mai rund um die Uhr gesendet. Ob der Slogan beim potentiellen Publikum des neuen Privatsenders ankommt ist zweifelhaft.
„Was ist Sport für dich? Mehr leise, mehr laut? Schweiß & Herzblut? Egal, ob du Fan, Sportler, Interessierter, Sport-Junkie oder, oder oder, oder bist. Wir sind auf deiner Wellenlänge…“ Um kesse Sprüche waren die Macher des neuen Senders zum Start nicht verlegen. Seit dem 29. Mai 18 Uhr sendet das erste bundesweit empfangbare Formatradio mit Schwerpunkt Sport. Zu empfangen ist es über den zweiten bundesweiten Multiplex für das terrestrische Digitalradio DAB+, außerdem über das Live-Streaming auf der Webseite www.sportradio-deutschland.de. Gesendet wird 24 Stunden lang an sieben Tagen in der Woche, also rund um die Uhr.
„Unser Sportradio ist quasi sowas wie ein Dauerpodcast zum schönsten Hobby der Welt“, findet Programmchef Alexander Fabian. Schließlich werde ununterbrochen über Sport geredet. Der 37jährige hatte zuvor für Sport1.fm und Amazon Music gearbeitet. Schon dort war er inhaltlich vor allem mit Fußball beschäftigt. Allerdings soll es im neuen Sender nicht nur ums Kicken gehen. „Wir decken die gesamte Bandbreite des Sports ab“, versichert Fabian, vom Spitzensport bis zum Breitensport, „über Sporthistorie, Sportwissenschaft bis hin zum Gesundheitssport mit Tipps zu Bewegung und Gesundheit im Alltag“.
Betrieben wird Sportradio Deutschland von der gleichnamigen GmbH der Teutocast-Gruppe mit Sitz in Leipzig. Sie soll als Holding für weitere Sender dienen. Geschäftsführer Erwin Linnenbach ist ein alter Bekannter aus der Radioszene. Schon 1992 führte er mit Radio PSR den ersten privaten Radiosender der neuen Bundesländer. Mit dem Radio-Fußballsender 90elf versuchte er 2008, erstmals mit einem Sportformat zu reüssieren. Das Projekt scheiterte 2013, als man die Übertragungsrechte für die Fußball-Bundesliga verlor.
Ein ähnliches Schicksal könnte auch diesem Projekt drohen. Schleierhaft erscheint, wie sich das Ganze finanzieren soll. Werbung taucht nur in Spurenelementen auf, zum Beispiel für „Dein Einkaufsbahnhof“ (DB Station & Service AG) und für „Germany United“, ein gemeinnütziges Projekt der Deutschen Sporthilfe. Das dürfte kaum für einen längerfristigen Betrieb reichen.
Die Macher versprechen Vielfalt, ein Programm für sämtliche Sportfans, nicht nur für die Anhänger*innen von König Fußball. Werktags gibt es Berichte und Reportagen bis um 18 Uhr. Anschließend wird bis 23 Uhr ein Live-Talk gesendet. Dabei sollen neben Moderator*innen und Expert*innen auch Anrufer*innen zu Wort kommen. Am Wochenende läuft das Programm von 13 bis 21 Uhr. In den Nachtstunden erklingen Fangesänge, also das, „was die Sportfans schon lange nicht mehr gehört haben“, meint Programmchef Fabian. Er nennt seinen Sender „das Lagerfeuer für Sportfans“.
Gemessen an der bisherigen Sendeleistung klingt das reichlich euphemistisch. Tatsächlich wirkt „Sportradio“ wie eine bemüht dynamisch klingende Station zum Ablesen längst gewesener sportlicher Ereignisse. Welcher echte Fan braucht einen Tag nach dem erregenden EM-Finale in Wembley noch die x-te Wiederholung der entscheidenden Szenen, und sei es angereichert mit der sich überschlagenden Stimme eines italienischen Reporters? Welchen echten Tennis-Crack reißt es vom Hocker, wenn ihm einen Tag nach dem Herren-Finale von Wimbledon das Match Satz für Satz noch einmal nacherzählt wird? Zeitweilig drängt sich der Eindruck auf, es handle es sich um ein Programm für Außerirdische, die nichts von dem mitbekommen haben, was in der Sportwelt passiert.
Das klingt alles reichlich dröge, aus einem einfachen Grund: Jede Sportreportage lebt von der Live-Übertragung, von der Wucht der Unmittelbarkeit des Ereignisses. Aber über Live-Rechte verfügt der Sender nicht. Und so rettet er sich mit einer Schleife ewig wiederholter Meldungen längst vergangener Events. Oder, schlimmer noch, zerdehnt die Aufarbeitung dieser Events in stundenlangem Talk und Gelaber, unterstützt von Expert*innen anderer einschlägiger Sportkanäle wie Dazn und Kicker.
Die Internet-Community hat bereits ihr Urteil gefällt. „Wird so werden wie Sky Sport News, wo sich die News auch im Stundentakt wiederholen, nur ohne Bild und mit ein bisschen Musik dazwischen“, augurierte bereits kurz vor Sendestart ein Hörer. Die Kommentare nach Sendestart fielen skeptisch bis enttäuscht aus: „In Wimbledon geht es in die entscheidende Phase. Was macht Sportradio Deutschland? Spielt einen Podcast ab.“ Oder: „Leider schlecht gemacht. Im Sport ist Live alles.“
Im Programm gilt das Prinzip von Kraut und Rüben. Auf Golf folgt die NBA, auf eine Meldung von einem Darts-Turnier die jüngsten Gerüchte von der Zweite-Fußballbundesliga-Transferbörse – im Kopf des Hörers lagert sich ein zusammenhangloser Wust von Sportsplittern ab. Der an sich löbliche Vorsatz, „die gesamte Bandbreite des Sports“ abzubilden, verkehrt sich auf diese Weise ins Negative. Am Ende bleibt ein Gefühl der Verlorenheit.
Den Gipfel der Sinnlosigkeit erklimmt das Programm in den Nachtstunden. Da erschallen gedämpfte Fangesänge oder – schlimmer noch – Reportage-Clips von Bundesligakicks vergangener Spielzeiten, unterlegt von einer Art musikalischem Grundrauschen. „Sport ist alles. Alles ist Sport“? Genau da liegt das Problem.