Gelungene OBS-Studie über ein boomendes Info-Medium
Den richtigen Ton treffen“, so ist die Studie über den Podcast-Boom in Deutschland überschrieben, die Lutz Frühbrodt und Ronja Auerbacher für die Otto-Brenner-Stiftung (OBS) erstellt haben. Es ist die bislang sicher beste Arbeit, die versucht, das Phänomen Podcast zu ergründen, zu beschreiben und auszuwerten. Auch wenn das am Ende nicht vollständig gelingen kann, weil die Bandbreite der Podcasts viel zu divers ist, ist es ein gelungener Versuch der Annäherung, den Podcast-Markt greifbar zu machen.
Ohne Zweifel haben Podcasts die Medienlandschaft in Deutschland bereichert – vor allem um ein basisdemokratisch-publizistisches Element. Denn Podcasts sind technisch einfach zu erstellen, schon ein Smartphone reicht als einziges Produktionsmittel für eine gute akustische Qualität aus. Und für das Publizieren und Verbreiten fallen keine oder nur geringe Kosten an. Jeder kann sich somit mit Podcasts eine Hörerbasis aufbauen, unabhängig von Gatekeepern wie Verlagen oder Sendern. Und das Interesse beim Publikum ist da: Laut ARD/ZDF Online-Studie hören in Deutschland gut ein Viertel der über 14-Jährigen zumindest gelegentlich Podcasts, das entspricht 19 Mio. Hörer*innen.
Blick auf die Qualität
Das ist die Ausgangslage, in der sich die Autor*innen entschieden haben, die Rolle der Podcasts als Info-Medium genauer zu betrachten, also einen besonderen Blick auf die Qualität als Massenmedium zu richten. Dafür lassen sie aber die meisten der laut Studie 50.000 deutschsprachigen Podcast-Reihen außen vor, die sich z.B. mit Unterhaltung, Lifestyle, Promis oder Lebenshilfe befassen.
Insofern übertreibt die OBS, wenn sie behauptet, eine „erste quantitative Bestandsaufnahme und qualitative Analyse des deutschen Podcast-Markts veröffentlicht“ zu haben. Schließlich lässt die Studie die erste Phase vor 10 bis 15 Jahren aus dem Blick und konzentriert sich auf den heutigen Markt. Dabei ist eine Konzentration auf letztlich nur 50 Podcast-Reihen nicht grundsätzlich zu kritisieren, denn ohne Selektion könnte man sich dem Thema in einer 140-Seiten Publikation gar nicht sinnvoll nähern. Sie gibt zudem einen guten Überblick über Nutzergruppen, Nutzungsverhalten, Format- und Anbieterangebot und analysiert auch die Angebote der öffentlich-rechtlichen und privaten Radiosender.
Kritikwürdig ist dagegen eher die Auswahl der in einer Inhaltsanalyse näher betrachteten Podcasts, weil dafür ausgerechnet die Top 50 Liste der Plattform Spotify herangezogen wurde. Einerseits sind die von den Audio-Plattformen veröffentlichten Hitlisten oft völlig intransparent in der Bewertung und dienen zumindest bei einigen Anbietern offenbar auch PR-Zwecken. Andererseits kritisiert die Studie am Ende, dass u.a. bei Spotify und Apple Podcast die Gefahr bestehe „die technisch notwendige Infrastruktur für Podcasts dauerhaft zu beherrschen und in ihrem Sinne zu kommerzialisieren“. Genau dazu trägt eine beständige Perpetuierung zahlloser Publikationen auf die immer gleichen Hitlisten aber bei.
Keine verfügbaren Abrufzahlen
Schließlich gibt es Dutzende andere Podcast-Plattformen, die nicht erfasst wurden. Zudem: durch die technische Struktur mit RSS-Links lassen sich Podcasts von den Handys und anderen Endgeräten auch direkt herunter laden, ohne dass dafür eine Plattform benötigt würde. Hier liegt daher auch das Dilemma jeder quantitativen Podcast-Forschung: Abrufzahlen sind für die allermeisten Verbreitungswege nicht öffentlich verfügbar. Diese Einschränkung wird in der Öffentlichkeit bislang kaum ausreichend wahrgenommen. Viele Umfragen und Studien beziehen sich auf immer die gleichen Listen und zeichnen daher ein verzerrtes Bild der Podcast-Landschaft. Auch die sonst meist ausführliche OBS Studie thematisiert dies nicht ausreichend.
Die Stärke der Studie von Frühbrodt und Auerbacher liegt hingegen bei einer wissenschaftlich orientierten Herangehensweise an die qualitative Analyse der Info-Formate. Leider springt sie am Ende auch hier wieder zu kurz, was aber durch die Aufgabenstellung schon programmiert ist. Podcast ist ein völlig offener Begriff, der nicht einmal das Medienformat eindeutig beschreibt: ist ein Podcast immer eine Audiodatei, die wie in der Entstehungsphase per RSS-Feed von einer Podcatcher-Software automatisch vom Server geladen wird? Oder kann es, wie es viele Studien und Umfragen verstehen, auch ein Video sein, das ausschließlich innerhalb einer Mediathek oder auf YouTube abgerufen wird? Letztere können schon per se nicht in der von der Studie verwendeten Hitliste bei Spotify landen, die sich nur auf Audios bezieht.
Zudem beinhaltet der Begriff Podcast keinerlei inhaltliche oder gestalterische Vorgabe und es ist gerade ihre Stärke, dass sie sich nicht an überkommene Konventionen oder Gestaltungsformate halten müssen. Damit gelten auch nicht per se ethische oder standesrechtliche Regeln, wie die journalistische Trennung von Bericht und Kommentar. Gerade das macht sogar für manche Hörer*in die Qualität von Podcasts aus, weil sie das im etablierten Radio und Fernsehen so nicht finden. Daher muss der Versuch, den gesamten Markt über ein festes Set an Kriterien qualitativ zu bewerten, ein Stückwerk bleiben.
Thematischer Tiefgang
Trotzdem geht die Studie konsequent darin vor, die Qualität mit journalistischen Kriterien zu werten. Die Autor*innen attestieren dem Info-Podcast durchweg Ausführlichkeit, thematischen Tiefgang und Meinungsvielfalt sowie ein hohes Maß an Professionalität. Das letzte Kapitel ist der Kernbereich der Studie, weil sie sich dort an eine qualitative Inhaltsanalyse von 10 populären Info-Podcast heranwagt. Von jeder ausgewählten Podcastreihe wurden drei Folgen näher analysiert. Dabei entdeckten die Autor*innen häufig unbelegte Aussagen oder teils fehlende Trennung von Nachricht und Meinung durch subjektive Einordnungen der Moderation. Dies sehen sie insbesondere bei dem vornehmlich jungen Publikum als problematisch an, weil es eine hohe Medienkompetenz voraussetze. Schließlich warnen sie noch, dass der Podcast-Markt durch starke Kommerzialisierung und Tendenzen zur Monopolisierung vor allem auf Seiten der Plattformen geprägt sei.
Einige Fragen bleiben offen
Der Aspekt, dass es viele hoch spezialisierte Podcasts gibt, die ansonsten in den Massenmedien oft vernachlässigte Themen aufgreifen und debattieren, wird in der Studie nicht ausreichend betrachtet. Oder die Frage, inwieweit Podcasts eine Konkurrenz für das Radio sind und letztendlich auf dessen Ende hinwirken oder ob es im Gegenteil dazu führt, ein junges Publikum ans Radiohören heran zu führen? Oder ob Radios der Zukunft nur noch Abspielstationen für Podcast-Reihen sein werden oder Talks die klassischen Berichte, Dokumentationen und Reportagen ablösen? All das wird nicht zu Ende besprochen. Auch fehlt es daran, einen Versuch einer objektiven Kategorisierung zu entwerfen oder zu diskutieren.
Aber zugegeben: Das alles zusammen hätte das übliche Format der OBS-Arbeitshefte wohl gesprengt und könnte daher künftig Thema einer Fortschreibung sein. Ansonsten ist die Studie von Frühbrodt und Auerbacher das Beste, was bislang an systematischer qualitativer und quantitativer Analyse über den deutschen Podcast-Markt erschienen ist.
Die Studie ist kostenlos bei der Otto-Brenner-Stiftung erhältlich