Buchtipp: AfD als Wolf im Schafspelz

Die AfD galt bei ihrer Gründung 2013 als „Ein-Punkt“-Partei. Stand zunächst die Negativhaltung zur EU im Vordergrund, fokussierte sie sich ab 2015 massiv auf den rechtspopulistischen Kampf gegen die Zuwanderung von Geflüchteten und anderen Migranten. In jüngerer Zeit versucht sie verstärkt, sich als Partei der „kleinen Leute“, als Partei des sozialen Ausgleichs zu profilieren. Eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung hat jetzt die vermeintlich „arbeitnehmerfreundliche“ Politik unter die Lupe genommen.

Die AfD, so behauptete AfD-Chef Tino Chrupalla im Wahlkampf in gewohnt demagogischer Manier, vertrete „die Interessen deutscher Arbeiter besser als die IG Metall“, da sie unter anderem die „Stellen der Industriearbeiter vor einem Vernichtungsfeldzug einer unvernünftigen Klimapolitik“ schütze. Eine Argumentation, die bei der anvisierten Zielgruppe offenbar teilweise auf fruchtbaren Boden fällt. Bei der letzten Bundestagswahl erzielten die Rechten – trotz erneuter Verluste – überdurchschnittlich gute Ergebnisse unter Arbeiter*innen und Arbeitslosen. Auch gewerkschaftlich Organisierte wählen die Rechtspopulisten regelmäßig häufiger als die Durchschnittsbevölkerung. 

Was aber ist dran an der vermeintlich so „arbeitnehmerfreundlichen“ Politik der AfD? Das Urteil einer Studie der Otto-Brenner-Stiftung fällt eindeutig aus: Die soziale Rhetorik ist nur eine „oberflächliche Fassade, die einen immer noch bestehenden neoliberalen Kern verdeckt“, resümiert OBS-Geschäftsführer Jupp Legrand die Ergebnisse der Studie dreier Wissenschaftler vom österreichischen Institut für die Gesamtanalyse der Wirtschaft an der Johannes Kepler Universität Linz. Grundlage der Studie sind sämtliche Gesetzentwürfe, Anträge und Redebeiträge der AfD-Bundestagsfraktion zu wirtschaftlichen und sozialpolitischen Themen von 2017 bis 2020, außerdem die entsprechenden Wahl- und Parteiprogramme sowie die Auftritte der AfD-Abgeordneten in den Fachausschüssen des Bundestags. 

Öffentliche Behauptungen stehen dabei in klarem Gegensatz zur realen Praxis der Partei. Durchgängig betrachtet die AfD „Marktmechanismen als einzige natürliche Wirtschaftsform“, steht mithin staatlichen Maßnahmen und Regulierungen grundsätzlich skeptisch gegenüber. Freier Handel, Konkurrenz, Entbürokratisierung und Wettbewerbsfähigkeit erschienen so als Lösungen fast aller Probleme. In der parlamentarischen Praxis sieht das so aus: Die AfD votierte gegen den Abbau von Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger*innen, gegen die Erhöhung des Mieterschutzes, generell gegen jede Form von staatlicher Umverteilung. In 75 Prozent der entsprechenden Fälle stimmte sie mit den Voten der FDP überein. Steuerpolitisch empfiehlt die AfD die Abschaffung von Grundsteuer, Vermögenssteuer, Erbschafts- und Schenkungssteuer und warnt vor „sozialistischen Gleichheitsvorstellungen und klassenkämpferischen Neidgefühlen“.

Weicht die Partei dennoch in Ausnahmefällen von ihrer strikt neoliberalen Haltung ab, so werden soziale Forderungen – etwa die nach guter Arbeit und höheren Löhnen – „durch populistisch-rechtsradikale Gesellschaftsbilder überformt“: Ansprüche auf Sozialleistungen sollen demnach „hart arbeitenden Einheimischen“ vorbehalten bleiben. Ihre neoliberale Praxis entlarvt die AfD als das, was sie sozialpolitisch schon immer war: ein Wolf im Schafspelz.                            

Stephan Pühringer/Karl M. Beyer/Dominik Kronberger: Soziale Rhetorik, neoliberale Praxis – Eine Analyse der Wirtschafts- und Sozialpolitik der AfD. OBS-Arbeitspapier 52, Frankfurt/M. Dezember 2021.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Wie ethisch kann KI berichten?

Ein ethischer Kompass ist angesichts zunehmender Desinformation immer wichtiger – für Journalist*innen, aber auch Mediennutzende. Positivbeispiele einer wertebewussten Berichterstattung wurden jüngst zum 20. Mal mit dem Medienethik Award, kurz META, ausgezeichnet. Eine Jury aus Studierenden der Stuttgarter Hochschule der Medien HdM vergab den Preis diesmal für zwei Beiträge zum Thema „Roboter“: Ein Radiostück zu Maschinen und Empathie und einen Fernsehfilm zu KI im Krieg.
mehr »

VR-Formate im Dokumentarfilm

Mit klassischen Dokumentationen ein junges Publikum zu erreichen, das ist nicht einfach. Mit welchen Ideen es aber dennoch gelingen kann, das stand auf der Sunny Side of the Doc in La Rochelle im Fokus. Beim internationalen Treffen der Dokumentarfilmbranche ging es diesmal auch um neue Erzählformen des Genres wie Virtual Reality (VR).
mehr »

Erneute Streiks bei NDR, WDR, BR, SWR 

Voraussichtlich bis Freitag werden Streiks in mehreren ARD-Sendern zu Programmänderungen, Ausfällen und einem deutlich veränderten Erscheinungsbild von Radio- und TV-Sendungen auch im Ersten Programm führen. Der Grund für den erneuten Streik bei den großen ARD-Rundfunkanstalten ist ein bereits im siebten Monat nach Ende des vorhergehenden Tarifabschlusses immer noch andauernder Tarifkonflikt.
mehr »

krassmedial: Diskurse gestalten

Besonders auf Social-Media-Plattformen wie TikTok und Telegram verbreiten sich rechtsextreme Narrative, die zur Polarisierung der Gesellschaft beitragen. Wie Journalist*innen dem entgegen wirken und antidemokratische Diskursräume zurückgewinnen können, diskutierten und erprobten etwa 70 Teilnehmende der diesjährigen #krassmedial-Sommerakademie von ver.di am Wochenende in Berlin-Wannsee.
mehr »