Meinung
Auf der Titelseite prangt Verleger Dieter von Holtzbrinck, stilisiert als eine Art aristokratischer Sonnengott. Darüber die Headline „House of Holtzbrinck“, eine Anspielung auf den skrupellosen, intriganten Politiker Frank Underwood aus der Netflix-Serie „House of Cards“. Im Innenteil dann auf fünf Seiten eine minutiöse investigative Recherche über Fälle mangelnder Transparenz des Verlags bei der redaktionellen Berichterstattung seiner Printmedien über Investitionen in Startups. Konkreter: Man habe herausgefunden, „dass vor allem in den Medien Tagesspiegel, Handelsblatt und Die Zeit regelmäßig und meist positiv über Start-ups berichtet wird, in die der Holtzbrinck-Verlag investiert hat, ohne dass der Interessenskonflikt in einer Hinweisnote erwähnt wird“.
Treffen die Vorwürfe zu, steht es um die Compliance-Kultur im Holtzbrinck-Verlag tatsächlich schlecht. Dass der neue Tagesspiegel-Geschäftsführer Gabriel Grabner überdies indirekt an der Holtzbrinck-Investment-Firma und verschiedenen Startups beteiligt sein soll, macht die Sache nicht besser. Angesichts der Krise des bisherigen Geschäftsmodells der Printmedien wächst in den Verlagen die Versuchung, „die alten journalistischen Qualitätsstandards zugunsten von Werbeerlösen und lukrativen Kooperationen zu relativieren“, klagt Tomasz Kurianowicz, der Chefredakteur der Wochenendausgabe der „Berliner“, begleitet von einer selbstkritischen Note. Auch sein Blatt hatte vor gut zwei Jahren gegen das Gebot der Trennung von redaktionellen und Verlagsinteressen verstoßen. Und sich dafür eine Rüge des Deutschen Presserates eingefangen.
Bei aller selbstkritischen Attitüde: Die spektakulär aufgemachte Enthüllung riecht denn doch auch ein wenig nach Retourkutsche. Erst im November 2021 hatte das auflagenstarke Holtzbrinck-Wochenblatt „Die Zeit“ in einer mit vielen anonymen Zitaten gespickten Reportage ein düsteres Bild der Situation beim Berliner Verlag gezeichnet. Gut möglich, dass dessen Verleger Holger Friedrich sich diese Gelegenheit zum Gegenschlag nicht nehmen lassen wollte. Der an die Recherche angehängte Transparenzhinweis, man befinde sich „in einem direkten Konkurrenzverhältnis zum Tagesspiegel, Handelsblatt und zur Wochenzeitung Die Zeit“, dürfte die Attackierten zusätzlich ärgern. Einstweilen hüllen sie sich jedoch in Schweigen.
Unabhängig von möglichen revanchistischen Motiven: Die zunehmende Gefährdung journalistischer Unabhängigkeit durch mangelnde Transparenz bei Interessenkonflikten ist real und in der Branche weit verbreitet. Der Vorschlag der Berliner, eine Grundsatzdebatte über diese berufsethische Problematik zu führen, ist daher begrüßenswert. Möglichst unter Beteiligung des Deutschen Presserates, dem Selbstreinigungsorgan der Verlagsbranche. Vielleicht kann auf diese Weise eine weitere Verlotterung der Sitten gestoppt werden.