Spätestens seit den Morden an Daphne Caruana Galizia auf Malta sowie an Jan Kuciak und seiner Verlobten Marina Kusnirova in der Slowakei steht auch in der Europäischen Union der Kampf um den Schutz von Journalist*innen gegenüber dem organisierten Verbrechen auf der Agenda, sagte der italienische Schriftsteller und Journalist Roberto Saviano in seiner Keynote zur Eröffnung des dreitägigen MFRR-Summit 2022. Es widmet sich der Stärkung der Pressefreiheit. Zu Beginn stand das Thema „Sicherheit von Journalisten“ bei ihrer Arbeit im Blick.
Das Projekt Media Freedom Rapid Response (MFRR, “Krisenreaktionsdienst für Medienfreiheit“) verfolgt und überwacht Verletzungen der Presse- und Medienfreiheit in den EU-Mitgliedsstaaten. Es bietet rechtliche und praktische Unterstützung zum Schutz von Journalist*innen und Medienschaffenden. Das MFFR-Projekt wird getragen von einem Konsortium unter Führung des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit in Leipzig (ECPMF). Weitere Mitglieder sind unter anderem die Europäische Journalistenföderation (EJF), Free Press Unlimited sowie das Internationale Presseinstitut in Wien.
Saviano, Mitarbeiter der Zeitschrift „L’Espresso“ und der Tageszeitungen „Il Manifesto“ und „Corriere della Sera“, veröffentlichte 2006 die dokumentarische Studie „Gomorrha“, in der er die Vernetzung der Camorra in Neapel mit Wirtschaft und Politik offenlegte. Seitdem lebt er unter permanentem Personenschutz. Wer sich mit den kriminellen Strukturen von Mafia, Camorra und Ndrangheta anlege, risikiere lebenslange Verfolgung, berichtete er. „Wer hätte sich vorstellen können, dass ein Journalist am hellichten Tag mitten in Amsterdam erschossen wird?“ erinnerte er an die Ermordung des niederländischen Reporters Peter de Vries 2021. „Wir dachten, so etwas passiert nur in Mexiko oder in Russland.“
Aber auch unterhalb von Mord und Totschlag geraten die Medien seit Jahren verstärkt ins Visier. Während der Pandemie haben sich Demonstrationen zu Schauplätzen von Verletzungen der Pressefreiheit entwickelt.
Dabei gerieten Medienschaffende häufig zwischen die Fronten und erlebten verbale und physische Angriffe sowohl von Seiten der Protestierenden als auch der Polizei, beobachtet Renate Schroeder, Direktorin der EJF, die das Büro in Brüssel leitet. Ihr Anliegen: „Wie schaffen wir es, das Demonstrationsrecht und die Sicherheit von Journalisten gleichermaßen zu schützen?“
Monique Hofmann, Bundesgeschäftsführerin der dju in verdi, berichtete über die Entwicklung in Deutschland. Laut Jahresbericht des ECPMF hat es im vergangenen Jahr 119 Attacken auf die Pressefreiheit gegeben, gegenüber 72 Angriffen im Jahr 2020 – die meisten davon im Kontext von Corona-Protesten. Auch nach offiziellen Regierungszahlen wurden 2021 rund 300 politisch motivierte Straftaten gegen Medien dokumentiert. Vielfach, so Hofmann, sähen sich Medienschaffende wegen dieser Gewalt genötigt, ihre Berichterstattung über die Corona-Proteste einzuschränken oder aus Sicherheitsgründen gar ganz einzustellen.
Zu wenig Schutz durch Polizei
Besorgniserregend sei auch die Beobachtung, dass viele der Attacken von Menschen mit unklarem politischen Hintergrund kämen. „Das ist ein neuer Extremismus, der nicht auf Ideologie gründet, sondern grundsätzlich mit der demokratischen Ordnung einschließlich der Medien kollidiert“, warnte Hofmann. Die Pandemie liefere nur die austauschbare Folie, vor der diese Kräfte mit ihrem Narrativ immer weiter in die Mitte der Gesellschaft vorzudringen trachteten.
Gleichzeitig lasse der polizeiliche Schutz von Journalist*innen oft zu wünschen übrig. Zwar habe die Polizei etwa in Berlin sogenannte Schutzzonen für Medien errichtet. In Sachsen bilde die Polizei auf Demonstrationen mobile Teams zum Schutz der Presse. „Dies ist begrüßenswert, aber nicht ausreichend.“ Daher habe die dju gemeinsam mit Reporter ohne Grenzen und anderen Journalistenverbänden einen Schutzkodex für Medienhäuser entwickelt. Dieser Kodex umfasse diverse Maßnahmen zum Schutz von Festangestellten wie auch von freien Journalist*innen, etwa feste Ansprechpersonen bei den Unternehmen sowie psychologische und juristische Unterstützung der Betroffenen.
Von Beginn an hätten sich prominente Medien wie „Spiegel“, „Zeit“ und dpa angeschlossen. Vor kurzem sei mit dem „Weser Kurier“ die erste regionale Tageszeitung dazugestoßen. Speziell für die freien Journalist*innen ohne schützendes Unternehmen im Hintergrund kofinanziert die dju in ver.di Sicherheitstrainings. Zugleich werde der Kontakt zu den Innenministerien auf Bundes- und Länderebene hergestellt. Geplant seien regelmäßige Roundtable-Gespräche mit Vertreter*innen von Politik, Polizei und Medien. Denkbar sei ein vom Staat (und den Medien) gespeister Fonds zur Finanzierung von Sicherheitsausrüstungen, Sicherheitstrainings oder Trauma-Seminaren für Freelancer.
Unkalkulierbares Risiko?
Für Tony Rigopoulos, Chefredaktuer der Plattform „Kouti Pandoras” und Journalist der griechischen Wochenzeitung „Documento“, spiegelt die Berichterstattung über die Corona-Proteste verstärkt die gesellschaftliche Polarisierung im Lande wider. Journalisten sähen sich dabei verbalen und physischen Attacken von Demonstranten und Polizei ausgesetzt. Dabei sei es leicht, zur Zielscheibe zu werden: „Schon der Besitz einer Kamera wird von einigen als Provokation aufgenommen“, klagte er. Auch die Polizei verhalte sich meist feindselig und wenig kooperativ gegenüber Medienleuten. Speziell die Mitarbeiter*innen von oppositionellen Medien würden vielfach als „Staatsfeinde“ angesehen.
Geht es nach den Schilderungen der freien Journalistin Emma Audrey vom französischen Non-Profit-Radio „Bip“, so setzen sich Reporter*innen bei ihrer Berufsausübung einem immer größeren, teilweise unkalkulierbaren Risiko aus.
So sei ihre eigene Kameraausrüstung in den letzten fünf Jahren zweimal zerstört worden – „einmal von Demonstranten, einmal von der Polizei“. Egal, auf welcher Seite der sozialen Auseinandersetzung sie sich befinde – ob hinter der Polizei-Linie oder hinter den Demonstranten – gefährlich sei es immer. Als Berichterstatterin habe sie häufig bürgerkriegsähnliche Situationen erlebt und Verletzungen davongetragen. Zu den „Kampfmitteln“ der Polizei gehörten inzwischen routinemäßig Blendgranaten und Gummigeschosse. Gelegentlich habe sie auch Erfahrungen mit polizeilichen Schlagstöcken gemacht. Nicht nur die Bewegungen haben sich radikalisiert, so ihr Fazit, „auch die Polizei wird immer brutaler“.
Dass die Polizei häufig Probleme mit Journalist*innen hat, räumte Peter Smets, Vorsitzender der European Federation of Police Unions (EU.Pol, Europäischer Gewerkschaftsverband von Polizeigewerkschaften in der EU), durchaus ein.
Er führte das allerdings auf den zunehmenden Ressourcenmangel in den Polizeieinheiten zurück. „Viele Polizisten sind mangelhaft ausgerüstet und schlecht vorbereitet“, monierte er. Im Kontext der Corona-Proteste hätten sich die Demonstrationen radikalisiert. Die Attacken richteten sich gegen „die Gesellschaft“ und damit sowohl gegen Polizei als auch gegen die Medien. „Crowd Control“, also Deeskalationstraining, finde kaum noch statt, bemängelte Smets. Wichtig sei der gesellschaftliche Dialog, eine verbesserte Kommunikation mit den Konfliktparteien.