Mediatheken – Zukunft von ARD und ZDF

Bertram Gugel (l.) mit Maxi Droste, Redaktionsleitung Kuratierung/stellvertretende Head of Content ARD Mediathek und Jonas Schlatterbeck Foto: SWR/Jander

Für die öffentlich-rechtlichen Sender ist es vermutlich eine existentielle Frage: Wie stellen sie sich in der digitalen Welt auf?! Laut Prognosen sehen spätestens im Jahr 2030 mehr Menschen Video-Content online als linear. Und es ist vor allem das junge Publikum, das schon jetzt lieber streamt als sich zu festen Zeiten vor den Fernseher zu setzen. Ausgelöst haben den Boom Anbieter wie Netflix und damit ein „Ungleichgewicht“ erzeugt.

So sieht es zumindest ARD-Programmdirektorin Christine Strobl: „Die großen US-Streaming-Anbieter wie Netflix haben die Sehgewohnheiten inzwischen bei uns entscheidend geprägt. Sie können als globale Akteure mit einem unglaublichen Budget eine Fülle Programm anbieten.“

Jetzt betonte SWR-Intendant Kai Gniffke anlässlich der Veranstaltung „SWR Insights“ in Hamburg: „Wir wollen in fünf Jahren der erfolgreichste Streaming-Anbieter in Deutschland sein. Der erfolgreichste deutsche Streaming-Anbieter sind wir schon jetzt.“ Der SWR gehört zu den neun Landesrundfunkanstalten, die unter dem Dach der ARD versammelt sind, und ist federführend bei der Umsetzung der ARD Mediathek beteiligt, die aktuell 16 Millionen User monatlich hat und über 180.000 Inhalte verfügt. Vor Fachpublikum ergänzte Jonas Schlatterbeck, Head of Content ARD Mediathek, dass zukünftig 80 bis 90 Prozent neuer Inhalte des Senders zuerst online abrufbar sein sollen: „Online First wird zum Regelfall werden.“ Schlatterbeck bedauerte, dass er nicht über ein Format wie „Stranger Things“ verfügt. In seiner Sicht wäre solch ein generationenübergreifendes Format ideal, um auch das jüngere Publikum für die Mediathek zu interessieren. Auch Formate wie die düstere Mystery-Serie „Höllgrund“, die im Schwarzwald spielt und in dieser Woche online gestellt wird, sollen verstärkt zum Einsatz kommen.

Die Zielgruppe, die Schlatterbeck und sein Team anvisieren, umfasst 30 Millionen Deutsche, also die Gesamtheit der 14 – 49jährigen. Bisher werden sie über die Mediathek noch kaum erreicht. Um das zu verändern, haben die Verantwortlichen die Sinus Milieus, den Goldstandard der Zielgruppensegmentation, genau untersucht. Der Plan: Die „Communities of Interest“, die sich durch gemeinsame Identitäten, Lebenswelten oder gemeinsames Fandom definieren, mit maßgeschneiderten Inhalten, gezielt anzusprechen.

Bertram Gugel, Head of Product Management ARD Online, kündigte in der Hansestadt an, das „Produkt“ mehr zu zentralisieren, um es benutzerfreundlicher zu machen. Aktuell sind zwei feste Teams in München und Mainz für die Mediathek im Einsatz, ergänzt durch Kolleg*innen anderer Landesanstalten, die für bestimmte Aufgaben eingesetzt werden, etwa die Entwicklung eines Players. „Wir wollen uns jetzt in Feature-Teams organisieren und werden unsere Mitarbeiter*innen im nächsten Jahr um 40 aufstocken, unter anderem besonders gesucht: UX/UI- sowie iOS- und Android-Expert*innen.“  Kooperationspartner mit Blick auf andere öffentlich-rechtliche Anbieter in Europa seien für Streaming essenziell: „Wir arbeiten schon jetzt mit dem ZDF zusammen, aber wir sind auch offen für andere.“

ZDF setzt auf Leuchtturmprojekte

Auch das ZDF verfolgt eine Strategie, mit verschiedenen internationalen Partnern, um die gewünschten, aufwändigen Leuchtturmprojekte zu realisieren. Ein aktuelles Beispiel ist „Der Schwarm“. Verfilmt nach der Besteller-Vorlage von Frank Schätzing, wird der Umweltthriller seine Premiere im Februar während der Berlinale feiern. Der Achtteiler wird später zuerst in der Mediathek dann als Event-Programmierung an vier Abenden innerhalb einer Woche im linearen Fernsehen laufen. Das Budget lag bei etwas über 40 Millionen Euro.

„Gerade bei den High Budget Produktionen brauchen wir Partner, deswegen haben wir 2019 gemeinsam mit France Télévisions und der RAI die European Alliance gegründet. Partner aus Skandinavien sowie Spanien sind inzwischen auch dabei. Das erste Projekt, das aus dieser Konstellation realisiert wurde, war ‚In 80 Tagen um die Welt‘“. Das sagt Frank Zervos. Der Leiter der ZDF-Hauptredaktion Fernsehfilm/Serie I und Stellvertretender Programmdirektor des ZDF ist bei den Mainzern für das Projekt verantwortlich. Er ist sich sicher, dass sich solche Koalitionen auch auf Länder außerhalb Europas ausweiten lassen: „Wir glauben sehr an die Zukunft solcher Strukturen, und es zeigt sich durch die aktuellen Kooperationen mit Hulu Japan, dass das Potenzial sich auch über Europa hinaus erstrecken kann. Die Projekte müssen dabei aber inhaltlich passen. Eine Geschichte wie ‚Der Schwarm‘, bei der die Handlung sowieso global angelegt ist, eignet sich dafür hervorragend.“

Während „Der Schwarm“ vor allem durch die internationale Zusammenarbeit von öffentlich-rechtlichen Sendern entsteht, hat das ZDF bereits ebenso gute Erfahrungen bei der Kooperation mit großen internationalen Streaming-Anbietern: Schon bei der Crime-Serie „Parfum“ mit Netflix, und dann auch bei „Freaks“, wo Netflix Hauptfinanzier war. Zervos schränkt allerdings ein: „Da, wo es um richtig große Budgets geht und wir federführend dabei sind, brauchen wir im deutschen Raum für einen längeren Zeitraum Exklusivität. Bei solchen Projekten warten Partner wie Netflix nicht erstmal drei Jahre ab. Ein Modell, bei dem wir die deutschen Rechte haben, während ein Streaming-Anbieter die entsprechende Produktion im Rest der Welt auswertet – das ist denkbar und interessant.“

Bei den großen Leuchtturm-Projekten wie „Der Schwarm“ verfolgen die Mainzer ebenfalls den Ansatz „Online First“. Aber eine anschließende zeitnahe Ausstrahlung im linearen Fernsehen ist ebenfalls vorgesehen: „Wir sehen, dass die Einschaltquoten im linearen Fernsehen bei Event-Produktionen durch die Decke gehen“, sagt Zervos. Das habe sich beispielsweise auch bei der Ausstrahlung von „Wannseekonferenz“ gezeigt. „Selbst bei einer moderneren Erzählung wie ‚Der Palast‘ gelingt es uns, über die Mediathek zwei Millionen Menschen pro Folge zu erreichen. Aber sechs Millionen schauen sich die Serie dann im Fernsehen an.“

 

 

 

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