Guter Journalismus bedeute „immer ein Stück Aufklärung“, er sei dazu da, den Lesern „die Welt begreifbarer, die Verhältnisse transparenter und damit das Leben bewusster zu machen“, sagte Stephanie Nannen in ihrem Festvortrag zur Verleihung des Hansel-Mieth-Preises am 7. Mai im Fellbacher Rathaus über das Selbstverständnis der Journalisten.
Als Stephanie Nannen vom Absturz des German-Wings-Flugzeugs hörte, hatte sie, so erinnert sie sich, ein Bedürfnis nach Stille. Nach Raum, „um zu begreifen“. Stille? Passt das zum medialen Getöse, zur Aufregung nach einem Ereignis, das nach Fakten schreit, nach schneller Einordnung, nach Antworten, die es ehrlicherweise noch gar nicht geben kann, vielleicht niemals geben wird? „Wir können Tempo und Live-Ticker“, sagte die Enkelin des legendären Stern-Gründers Henri Nannen. „Wie Stille geht, müssen wir dringend wieder lernen.“
Mit Blick auf aktuelle Kritik an den Medien und Parolen wie „Lügenpresse“ forderte die Journalistin und Buchautorin eine neue Standortbestimmung. Wofür stehen Journalisten? Was ist eigentlich ihr Job? „Wer sich als Journalist mit dem Zustand allein begnügt und ihn nur schildert, ist bestenfalls ein Berichterstatter. Wer nur kritisch und ideologisch postuliert, ist eher Propagandist“, sagte sie. Zu einem guten Journalismus gehöre, anders mit Lesern umzugehen. „Vielleicht ist es aber so, dass wir den Lesern, den Zuhörern und Zuschauern besser vermitteln müssen, WIE wir arbeiten. Dass Wissen und Wahrheiten nicht einfach über uns kommen, sondern dass wir danach lange suchen.“
Bei der Preisverleihung im Fellbacher Rathaus wurden Beispiele für einen hinterfragenden, suchenden Journalismus, der seinen Gegenstand und seine Leser ernst nimmt, präsentiert.
Mit dem „Qualitätssiegel für Fotografen und Reporter“ (so der Fellbacher Oberbürgermeister Christoph Palm) wurden Autor Patrick Bauer und Fotograf Andy Kania für ihre lakonisch-humorvolle Reportage über Gäste und Bademeister des Berliner Columbiabades ausgezeichnet, das für seine Gewalteskapaden berüchtigt ist. Der Beitrag verzichtet bewusst auf jeden wertenden Unterton. „Das Tolle war, dass ich diese Ratlosigkeit, die ich nach der Recherche spürte, auch so schildern durfte“, sagte Preisträger Patrick Bauer.
Ausgezeichnet wurden erstmals auch zwei Reporterteams für Multimedia-Reportagen im Internet. Uta Keseling und Reto Klar zeigen in ihrem Beitrag „Unsichtbar – vom Leben auf der Straße“ Aufnahmen von Obdachlosen, die ihre Persönlichkeiten auf ganz besondere Weise erlebbar machen. „Eine neue Form des Geschichtenerzählens“, so Jury-Mitglied und Laudatorin Amrai Coen. Auch dies eine Reportage, die Neugier, genaues Hinsehen und Zeit erforderte – und eine Redaktion, die diese Zeit gewährt.
Leider sei „kaum eine Redaktion bereit, zu experimentieren“, stellte Preisträger Christian Werner fest. „Es ist aber existenziell wichtig, neue Wege zu gehen.“ Der Fotograf reiste gemeinsam mit Autorin Isabelle Buckow nach Madagaskar, um dem Schicksal von Pestkranken nachzuspüren – auf eigene Faust und eigene Kosten, weil sie das Thema für wichtig hielten. Ihre Multimedia-Reportage „Schwarzer Tod“ (LINK) wurde ebenfalls mit dem Hansel-Mieth-Preis digital ausgezeichnet. Er wünsche sich, so Werner, „ein Umdenken, um einen gemeinsamen Weg aus der Krise des Journalismus zu finden.“
Einen möglichen Weg zeigte Festrednerin Stephanie Nannen in Fellbach auf: Der Journalist müsse seine Leser ernst nehmen. Und im Übrigen genau das tun, woran er glaubt. „Mein Großvater Henri Nannen hat mir das vorgelebt“, so Nannen. „Hat mir gezeigt, dass Losgehen, Hinschauen, Hinhören und dann Zurückbringen, Aufschreiben, wie die Welt riecht, wie sie schmeckt und schillert und stinkt und verreckt, Glück bedeutet.“ Das Glück des Reporters. Und manchmal auch das seiner Leser.
PM der Reportageagentur Zeitenspiegel
Der komplette Text von Stephanie Nannens Rede unter:
http://zeitenspiegel.de/de/aktuell/vom-glueck-des-reporters/