Demonstrationen gehören zum gefährlichsten Arbeitsort für Berichterstattende. Im Zuge der sogenannten Corona-Proteste hatten sich Angriffe auf Journalist*innen enorm gehäuft. Bei einem Sicherheitstraining mit dem Titel „Sicher auf Demos unterwegs – Training für Medienschaffende“ boten Mitglieder der ehrenamtlichen Begleitschutzinitiative „Between the Lines“ (BTL) den Teilnehmenden eine Einführung in Maßnahmen zur eigenen Sicherheit, die letztlich auch dem Schutz der Pressefreiheit dienen.
Für das Jahr 2022 verzeichnete die Organisation Reporter ohne Grenzen einen Rekordwert von 103 verifizierten Angriffen auf Medienvertreter*innen in Deutschland, 87 davon ereigneten sich in „verschwörungsideologischen, antisemitischen und extrem rechten Kontexten“, wie es im Bericht „Nahaufnahme Deutschland 2023“ heißt. Das Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) nannte seine diesbezügliche Studie gleich „Feindbild Journalist:in 7: Berufsrisiko Nähe“. Die pressefeindliche Stimmung und die in den vergangenen Jahren gestiegene Gewaltbereitschaft gegenüber der Presse bis in das „bürgerliche“ Spektrum hinein gaben den Ausschlag für die Gründung der Initiative „Between the Lines“. Deren Mitglieder bieten seit 2021 ehrenamtlich Begleitschutz für Medienvertreter*innen auf Demonstrationen an, vornehmlich in Sachsen.
Freie Journalisten unterstützen
Insbesondere freie Journalist*innen benötigten Schutz von BTL, da ihnen häufig die nötigen Ressourcen fehlen. „Während fest angestellte Journalist*innen Unterstützung durch ihren Arbeitgeber erwarten könnten, stehen freie Journalist*innen häufiger alleine da“, so Klemens Köhler von BTL. Ziel sei es, dass diese „Kopf und Linse frei für die Berichterstattung“ hätten. Wichtig ist vor allem eine gute Vorbereitung, schließlich gilt, es gar nicht erst zu einem Angriff kommen zu lassen. Dann sollten Angriffe so früh wie möglich und so weit entfernt vom Körper wie möglich unterbrochen werden.
Angriffe erfolgten den Trainer*innen zufolge meist auf Medienvertreter*innen oder Teams, die bestimmte Merkmale haben. Am stärksten gefährdet seien diesem Modell der „Zielkaskade“ folgend Personen, die bereits zuvor auf Demonstrationen oder in sozialen Medien als Feindbilder „markiert“ worden sind, deren Name bzw. Funktion also öffentlich genannt wurden. Auch eine deutlich sichtbare Kamera oder Tonangel können Pressefeind*innen als Zielscheibe dienen. Andere Merkmale sind, nicht cis-männlich bzw. nicht-heterosexuell, jung oder nicht-weiß zu sein, ohne Redaktion bzw. redaktionellen Auftrag zu agieren oder weitere „outgroup“-Merkmale auf sich zu vereinen. Die Trainer*innen plädierten auch für Solidarität mit Kolleg*innen, die aufgrund bestimmter Merkmale öfter angegriffen werden.
Sicherheitsstrategien lassen sich wiederum mit dem Modell der „Schutzzwiebel“ fassen, das dazu dient, sich auf verschiedene Risikostufen vorzubereiten. Es beginnt mit dem einfachen Grundsatz „Don’t be there“ („Sei nicht dort“) und geht über verschiedene Stufen wie „Don’t be seen“ („Werde nicht gesehen“) bis hin zu „Don’t be hurt“ („Werde nicht verletzt“). Dabei geht es um Lagearbeit, Gedanken über Möglichkeiten der Berichterstattung aus der Ferne, Kleidung, Schutzausrüstung bis hin zu Transportmöglichkeiten zum nächsten Krankenhaus. Sich dagegen zu entscheiden, live zu twittern, um nicht den eigenen Standort preiszugeben, könne etwa eine Strategie sein, um unauffälliger als Journalist*in zu agieren.
Gute Recherche ist die Grundlage für eine gute Vorbereitung. So könne man sich, über die Zielversammlung zum Beispiel über Telegramkanäle der Veranstalter informieren oder den Kontakt zu lokalen Redaktionen und zivilgesellschaftlichen Organisationen suchen, um mehr über Ziele der Demonstrierenden, Mobilisierung, wichtige Akteur*innen, Gewaltbereitschaft, Route, Engstellen, etc., zu erfahren. Man könne auch vorher bei der zuständigen Polizeidienststelle anrufen, um zu erfahren, ob Presseschutz priorisiert wird. Falls dies der Fall ist, könne es sinnvoll sein, vor Ort den Kontakt zur Einsatzleitung zu suchen. Auch Informationen über eine mögliche Gegenveranstaltung, Flucht- und Rettungswege und weitere sicherheitsrelevante Besonderheiten sollte man sammeln.
Gefahren gegen Ziele abwägen
Grundsätzlich gelte es, die Gefahren gegen die Ziele abzuwägen und dies auch mit der Redaktion bzw. Auftraggeber*innen abzusprechen. Wichtig sei, sich stets die Frage zu stellen, wann es Zeit wäre zu gehen, in brenzligen Situationen also nicht zu lange zu zögern, nur um noch ein besseres Bild oder einen O-Ton einzufangen.
Die Trainer*innen wiesen darauf hin, dass sich anbahnende Angriffe vor Ort häufig erkennen lassen. Hinweise böten etwa bestehende Feindbilder der Zielversammlung oder deren Zusammensetzung. BTL unterscheide zum Beispiel in eine „verrohte bürgerliche Mitte“, die nicht besonders rational bei Angriffen vorgehe, und in organisierte extrem rechte Gruppen, die vorher planten, wann und wo sie angreifen. Beobachten sollte man zudem, ob Angreifende Rückendeckung von anderen aus der Versammlung erhalten, ob und wie viele Demonstrierende stehenbleiben bzw. hinzukommen und ob Personen sich vermummen oder Handschuhe anziehen, was auf einen unmittelbar bevorstehenden Angriff hinweise.
Abschließend stellten die Trainer*innen Schutzausrüstung von schusssicheren Westen bis Pfefferspray vor und zeigten in Übungen, wie man mit Körperhaltung und Stimmeinsatz Angreifende auf Abstand halten kann. Denn „Sicherheit beginnt nicht erst drei Zentimeter vor der Brust“, wie Köhler betonte. Sie beginnt mit ausreichender Vorbereitung und Lageeinschätzung – und einem Sicherheitstraining. Einige BTL-Mitglieder sind Trainer*innen beim gemeinnützigen Verein Actsafer, der auch Sicherheitstrainings für Journalist*innen anbietet.
Hier ein „Werkzeugkasten“ mit allen in diesem Fokus genannten Tools und deren Links.