Der Essayfilm „And the King Said, What a Fantastic Machine!“ der schwedischen Filmemacher Axel Danielson und Maximilien van Aertryck erzählt die Geschichte der bewegten Bilder und unserer unstillbaren Sucht nach ihnen. Und wie in fast allen Filmen über die Entstehung der bewegten Bilder, des Kinos, des Fernsehens oder der digitalen Bildmaschinen tauchen auch in dem Filmessay schon früh die Brüder Lumière auf.
Auguste und Louis Lumière filmten 1895/96 „Die Ankunft eines Zuges“ auf dem Bahnhof La Ciotat. Das kurze Filmstück brachten sie dann in einem Saal, vor Publikum, auf einer Leinwand zur Aufführung – eine der Geburtsstunden des Kinos. Nach der Überlieferung flüchteten damals viele Zuschauer*innen panisch vor den Bildern des heranrollenden Zuges. Noch ohne Seherfahrungen mit bewegten Sequenzen glaubten sie sich in höchster Gefahr, überfahren zu werden.
Im letzten Drittel von Danielsons und van Aertrycks Filmessay kriecht eine junge Frau in der Jetztzeit, über den Rand der Fassade eines sehr hohen Gebäudes. Sie hält sich am Arm ihres Begleiters fest und schwebt dann über einem schwindelerregenden Abgrund. Gefasst blickt sie dabei nach oben zu ihrem Partner, der sie mit dem Smartphone filmt, möglicherweise um die Szene auf Facebook, Insta oder TikTok hochzuladen oder sie live zu streamen.
Während sich die Menschen bei den Lumieres, eigentlich sicher im Kinosaal sitzend, panisch vor einem maschinell erzeugten Abbild flüchteten, begibt sich die junge Fassadenkletterin seelenruhig in eine höchst reale Gefahr, um ein Abbild zu produzieren.
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Was ist zwischen diesen beiden Momenten in der Historie des Bewegtbildes geschehen – mit den Bildern und mit den Menschen? Darüber haben die schwedischen Filmemacher Axel Danielson und Maximilien van Aertryck mit „Fantastic Machine“ einen rauschhaften visuellen Reisefilm gedreht.
Chronologie der bewegten Bilder
Manche Erzählstränge verlaufen chronologisch, entlang der Geschichte. Etwa von den ersten Fotokameras zu den ersten Bewegtbildexperimenten von Eadweard Muybridge und von dort zu den ersten Filmerzählern Méliès und den Lumieres. Andere Stränge folgen der Entwicklung von Genres, zeigen, wie die propagandistischen Kinowochenschauen der 1930er und 1940er Jahre zum aufklärerischen Impetus der ersten öffentlich-rechtlichen TV-Sender führten, wie in Irland 1961.
Dazwischen platzieren die beiden Filmemacher immer wieder ihre Meta-Momente, Fragen und Beobachtungen, die nach den Wirkungen und Wahrnehmungen der Bewegtbilder fragen: „Wie können wir, nach all der Kriegspropaganda, die Welt von dem überzeugen, was wir gesehen haben?“, fragten sich alliierte Filmemacher, als sie den angeblich ahnungslosen Deutschen mit ihren Filmaufnahmen aus den KZ zu vermitteln versuchten, was dort geschehen war.
In seiner verwobenen und komplexen Erzählung springt „Fantastic Machine“ dann wieder zu den Produzent*innen und ihren Motiven. Etwa zu CNN-Gründer Ted Turner, der sich in einem Interview mit dicker Zigarre vor der Kamera räkelt und offen zugibt, dass er eigentlich ausschließlich Shows produzieren möchte, um mit ihnen Werbung zu verkaufen. „Und wenn dann alle nur noch Shows produzieren?“ fragt ihn der Interviewer. „Dann mache ich natürlich Nachrichten, Sie Dummkopf“, kontert Turner patzig. Cut! Gründung des Nachrichtennetworks CNN.
Inszenierte Bilder
Das Phänomen der Inszenierung, die erweiterte Wahrheit, die die Bilder von der Entstehung der Bilder hinzufügen, nimmt breiten Raum ein. „Fantastic Machine“ zeigt Diktatoren zu Pferd oder auf Truppenparaden, IS-Kämpfer, die textlich an der Aufnahme einer Videobotschaft scheitern, dazwischen die NS-Filmerin Leni Riefenstahl an ihrem Schneidetisch, wie sie in den Schnittfolgen und Kamerabewegungen ihrer Propagandafilme schwelgt. Das Bild eines toten Mädchens im haitianischen Erdbebengebiet schockt den Betrachter. Noch mehr schockt ihn dann aber die nächste Szene, in der sich der Bildausschnitt öffnet und man den Pulk der Pressefotografen sieht, die die Tote gleichzeitig ablichten.
Immer wieder springen Danielson und van Aertryck von einer Seite des Bildschirms, von den Produzent*innen auf die andere Seite, zu den Konsument*innen. Etwa zu dem Ehepaar, das fast bewusstlos und an den Fernseher gefesselt seine Freizeit verbringt, weil der stetige Bilderfluss sie ihren harten Arbeitstag am einfachsten vergessen lässt. Oder zu einem Antagonisten der beiden, zu einem Stammeskrieger in Papua Neuguinea, der erst nach der stundenlangen Betrachtung eines Fotos langsam versteht, dass er es ist, der darauf zu sehen ist.
Die Filmemacher fragen: Wie nehmen Kinder bewegte Bilder wahr? Wie Tiere? Gelegentlich schalten die beiden Filmemacher aus dem hohen Tempo ihrer Nummernrevue herunter, in lange, langsame Beobachtungssequenzen. Etwa wenn sie zeigen, wie unterschiedlich die Kinder einer Schulklasse beim Klassenfoto mit der Situation des Fotografiertwerdens umgehen. Das sind großartige dokumentarische Momente.
Unterhaltsam und erhellend
Das temporeiche und effektvoll mit Kommentaren und Musik unterlegte Kaleidoskop aus inszenierten Aufnahmen, gefundenen Archivbildern, YouTube-Trouvaillen, privaten Filmschnipseln unterhält, bringt zum Nachdenken, zum Staunen, zum Schmunzeln. Es bietet viele Einsichten in unseren Umgang mit den Bildmedien und konfrontiert uns mit unserem oft zwanghaften Verhältnis zu ihnen. Trotzdem fühlt man sich nach den fast 90 Minuten wie nach dem Spiel mit dem bunten Drehwürfel des ungarischen Architekten Emo Rubik. Man hat ihn gedreht und gewendet und plötzlich ist der Würfel fertig und gleichfarbig – wie es dazu gekommen ist, hat man aber nicht so recht verstanden.
“And the King Said, What a Fantastic Machine”, Regie: Alex Danielson, Maximilien Van Aertryck, 85 min, Schweden, Dänemark, 2023, FSK 12. Der Dokumentarfilm läuft in verschiedenen Kinos.