Der internationale Tag der Pressefreiheit ging in Deutschland in diesem Jahr mal wieder zwischen Feier- und Brückentagen unter. Dabei gerät die Pressefreiheit weltweit immer weiter unter Druck. So plante die Türkei ein „Agentengesetz“ nach Vorbild Russlands und Georgiens, mit dem kritische Journalist*innen kriminalisiert werden. Wie wichtig öffentlicher Druck für inhaftierte Journalist*innen ist, verdeutlichte der türkische Kollege Nedim Türfent. Er ist sich sicher: Ihm hat dieser Druck das Leben gerettet.
Seit zwölf Jahren ist Nedim Türfent Journalist. Sechseinhalb Jahre davon saß er im Gefängnis. Türfent berichtete für eine mittlerweile verbotene Nachrichtenagentur aus dem kurdischen Südosten der Türkei. 2016 bekam er ein Video zugespielt. Das zeigte, wie türkische Milizionäre und Polizisten Bauarbeiter schikanierten, verhafteten und misshandelten.
Halbnackt mussten die Männer mit dem Gesicht auf dem Boden liegen. Als Türfent das Video unter dem Titel „Ihr werdet die Macht der Türken spüren“ – ein Zitat aus den Rufen der Milizionäre – veröffentlichte, war die Empörung in der Region groß.
„Die folgenden Ermittlungen gegen die Polizisten waren reine Formalität“, berichtete Türfent auf einer Veranstaltung von amnesty international und der dju in Hamburg. „Letztlich wurden nicht die Polizisten schuldig gesprochen, sondern ich.“
Todesdrohungen und keine Anklage
Bald darauf erhielt Nedim Türfent die ersten Todesdrohungen. Über soziale Medien wurden ihm Fotos von ermordeten Oppositionellen geschickt. Türfent entschloss sich, seine Heimatregion zu verlassen und in der Großstadt Van unterzutauchen. Auf dem Weg wurde er aber kurz vor der Regionalgrenze abgefangen. „Zwölf bis 15 Polizisten mit Gesichtsmasken zerrten mich aus dem Auto und begannen, auf mir herumzuspringen. Ich konnte noch Passanten zurufen, dass ich der Journalist Nedim Türfent bin und dass sie die Nachricht verbreiten sollen, dass ich gefangengenommen wurde.“
Seine Peiniger verfrachteten Nedim Türfent in ein gepanzertes Fahrzeug. In einem Kellerverlies wurde er misshandelt. Er durfte nicht telefonieren und keinen Anwalt zu Rate ziehen. In der Zwischenzeit begann seine Familie, Türfent zu suchen. Die Polizei verleugnete jede Kenntnis seines Aufenthaltsorts. Schließlich wurde er in die Berge gebracht. „Wir bringen Dich zu denen, über die Du berichtet hast“, drohten sie.
In den Bergen musste Türfent sich hinknien. Die Polizisten diskutierten schon lautstark darüber, wie sie ihn am besten umbringen sollten, da erhielten sie einen Anruf: Sie sollten die Aktion abbrechen.
„Der öffentliche Druck war zu groß“, schätzt Türfent. „Seit ich bei der Verhaftung den Passanten meinen Namen zugerufen hatte, brummten die sozialen Medien und die Nachricht verbreitete sich. Ich bin sicher, dass mich das gerettet hat.“
Dennoch saß er jahrelang ohne Anklage und Anwalt in Untersuchungshaft. Dann folgte ein Prozess mit Zeugen, die angaben, von der Anklage zu Aussagen gezwungen worden zu sein und Richtern, die ihnen nicht zuhörten. Der vorgeworfene Tatbestand lautete „Terrorismus“ als „Beweis“ dienten seine Veröffentlichungen. Das Urteil: Acht Jahre und neun Monate, weil er „verstörende Nachrichten“ verbreitet hätte.
„Der Stift ist ein Teil von mir“
Im Gefängnis verbrachte Nedim Türfent Jahre in Isolationshaft. Nicht einmal zu Büchern erhielt er Zugang. „Das änderte sich mit den ersten internationalen Kampagnen für meine Freilassung“, erinnert er sich. „Erneut hat mich öffentlicher Druck gerettet.“ Nun begann er, wieder zu schreiben – diesmal keine Reportagen, sondern Lyrik. Eine Sammlung seiner Gedichte ist unter dem Titel „Über Mauern“ in einer deutschen Übersetzung erschienen.
Nur drei Monate nach seiner Haftentlassung begann Nedim Türfent, wieder journalistisch zu arbeiten. „Dieser Stift ist ein Teil von mir“, sagt er. „Jeder von uns nimmt eine Verantwortung wahr, über die Zustände und die Inhaftierten zu berichten, denn das hilft!“
Den Besuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im April in der Türkei kritisiert Türfent deshalb: „Er hat viel über Wirtschaft gesprochen und überhaupt nicht über Pressefreiheit und inhaftierte Kolleg*innen.“
Derzeit ist Nedim Türfent als Exiljournalist Gast des European Centre for Press and Media Freedom in Leipzig. Ein Anschlussaufenthalt in Deutschland ist in der Planung. „Wir Journalisten aus Ländern wie der Türkei werden oft für unseren Mut bewundert“, sagt er. „Ich würde mir allerdings wünschen, dass wir gar keinen Mut bräuchten, um zu arbeiten.“
Fälle wie der von Türfent, Can Dündar oder Deniz Yüksel sind nur die prominente Spitze eines Eisbergs. Zahlreiche Journalisten sind in den vergangenen Monaten festgenommen worden. Nicht alle kommen wieder frei. Vor allem das Desinformationsgesetz von 2022 bietet dem Staat eine Grundlage für willkürliche Verhaftungen und Anklagen.