Die MDR-Dokumentation „Es ist kompliziert – Der Osten in den Medien“ prüft die Entstehung des medialen Bilds von Ostdeutschland. Die umfassende Analyse von über 30 Jahren Berichterstattung zeigt, wie entlang von Medien-Stories und Skandalen ein Narrativ vom Osten entstanden ist, das immer wieder aufgegriffen wird und seine Wirkmächtigkeit nicht verloren hat.
Tino Böttcher, einer der bekanntesten ostdeutschen Fernsehmoderatoren, präsentiert eine Untersuchung, die es in sich hat. Sie stellt keine Überraschung dar für diejenigen, die die gängige Berichterstattung über „den Osten“ sowohl im Boulevard als auch in den (westdeutschen) Leitmedien über die letzten Jahrzehnte verfolgt haben. Sie kommt insofern spät, füllt aber zugleich eine Lücke medienkritischer Auseinandersetzung.
Geschlossene Gesellschaft
In 90 Minuten werden die vergangenen drei Jahrzehnte seit dem Mauerfall schlaglichtartig unter die Lupe genommen. Schnell rufen sich die frühen Bilder der gesamtdeutschen Geschichte zurück ins kollektive Gedächtnis: der flächenweise Abriss von Wohnblocks, Altbauten, Betrieben, die Schlangen vor den Arbeitsämtern, die Abwicklung des Staatsapparats und seines Geheimdienstes. Dazwischen Folklore, Sportler*innen, manche gefeiert, manche mit Dopingvorwürfen konfrontiert. Dann Eier und Tomaten auf Helmut Kohl, wütende Demonstrant*innen und natürlich die Bilder von den rassistischen Pogromen in Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda in Abwesenheit von Polizei und Widerspruch. Die wiederkehrenden Debatten um verschwundene Fördermittel, Veruntreuung, verschwendete Steuergelder.
Fast immer geht es um institutionelles Versagen, Scheitern, Kampfzonen. „Die Ostdeutschen“ darin: „alle gleich, eine geschlossene Gruppe, seltsam und anders“, so Tino Böttcher. Nur selten durchbrechen positive Konnotationen wie „Zuversicht“, „Aufbruchstimmung“ oder „neue Selbstständigkeit“ die Darstellung. Besonders interessant auch die im Zuge der Recherche mithilfe von Künstlicher Intelligenz generierten Bilder mit dem Auftrag, Personen darzustellen, die am häufigsten in der Berichterstattung über Ostdeutschland vorkommen. (Keine) Überraschung: es ist keine junge Frau, die sich für Geflüchtete einsetzt, fortschrittlich denkt und das Leben liebt. Bild und Realität bedingen sich gegenseitig.
Rassismus, Stasi, Geld
Neben Rassismus und Stasi sei in der ersten Zeit Geld das Schlagzeilenthema Nummer 1 gewesen, erklärt Böttcher. Und das ändert sich auch in den kommenden Jahren nicht wesentlich. Viele Stereotype wiederholten sich, sagt auch Medienwissenschaftlerin Mandy Tröger von der Universität Tübingen: Rechtsradikalismus, Arbeitslosigkeit, es sei „öde“ im Osten, seine Bewohner „nörgeln“. Diese Negativ-Narrative hätten sich bis heute erhalten und funktionierten auch bis heute – gerade für das westdeutsche Publikum. Die damit verbundenen Stories und Titelblätter, wie sie Magazine wie der Spiegel in Reihe produzierten, schafften es nicht nur bis in Bundestagsdebatten, sondern waren auch eine einträgliche Angelegenheit. Man habe sich auf die Bilder, die in Film und Fernsehen produziert worden, „draufgesetzt“, sagt in dem Zusammenhang zum Beispiel Hans Zippert, ehemaliger Chefredakteur der Satirezeitschrift Titanic im Interview.
Zippert, mitverantwortlich für das legendäre Titanic-Titelblatt mit einer Figur namens „Zonen-Gabi“ – eine im westdeutschen Taunus gecastete Person, die eine geschälte Gurke in der Hand hält und „im Glück (BRD)“ sein soll -, hält fest, dass die Menschen im Osten wenig zu dem Bild über sie beigetragen hätten – sie waren vielmehr Gegenstand der Berichterstattung und der Einordnung. Es wurde nicht von Ostdeutschen berichtet, sondern über sie. Das Gefühl, nicht als handelndes aktives Wesen vorzukommen, dürften einige Millionen Menschen im Osten kennen. Unter anderem diejenigen, die sich seit mehr als 30 Jahren gegen Rassismus, Rechtsextremismus, autoritäre Strukturen und für eine offene, demokratische Gesellschaft engagieren.
Quote machen – egal um welchen Preis
Erheblichen Anteil daran hatte auch die Zerschlagung und Neuaufteilung der Presse- und Rundfunklandschaft der ehemaligen DDR durch die Treuhand, die allein die ehemaligen Bezirkszeitungen für 58 Millionen D-Mark an westdeutsche Medienunternehmen, die sich extra dafür zusammenschlossen, verkauften.
Medienbilder haben auch damit zu tun, wem die Medien gehören, wie es in der Dokumentation heißt. Und immer wieder damit, dass die Leitungspositionen der jeweiligen Medienunternehmen nicht mit ostdeutschen Führungskräften und Programmmacher*innen besetzt waren. So übernahm der westdeutsche Medienapparat und seine Protagonist*innen – mit dem letztendlichen Ziel „Quote zu machen“, wie es der ehemalige MDR-Programmchef Jörg Howe, gebürtiger Hamburger, heute zusammenfasst. Insofern klingt dann doch ein Quentchen Selbstkritik an in der Dokumentation, die bis zum 3. Oktober 2025 in der ARD-Mediathek zu finden ist.