Getrackt vom Sender

Fraunhofer-Report spricht von digitaler „Vermessung des Einzelnen”

Viele Fernsehsender setzen sogenannte Webtracker auf ihren Internetseiten ein. Weil die Trackingdienste Rückschlüsse auf das Verhalten der Webseitenbesucher zulassen, sind sie aus Datenschutzsicht umstritten.

Karikatur: Klaus Dittmann

Wer nachschaut, wo der nächste „Tatort” spielt oder nachsieht, wann die nächste Folge von Big Brother läuft, der weiß unter Umständen nicht, dass er dabei verfolgt wird. Viele öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten, aber auch private Fernsehsender setzen sogenannte Webtracker ein. Das sind Tools, die das Verhalten von Besuchern einer Webseite analysieren. Sie ermöglichen Webseitenbetreibern, ihre Seite besser an die Zielgruppe anzupassen und Abbruchraten beim Lesen zu minimieren. Der Werbeindustrie dienen sie, um Anzeigenschaltungen zu optimieren. Sie können aber auch sichtbar machen, von welcher Webseite ein Nutzer auf die Seite gekommen ist, wo er danach hingeht, welche Unterseiten wie oft und wie lange aufgerufen werden und somit die Klickpfade von Nutzern nachvollziehen.
Viele Tracking-Dienste geben nur spärlich Auskunft darüber, welche Daten sie genau zu welchen Zwecken sammeln. Zum Teil speichern die Tracker Langzeitcookies (diese enthalten Daten über besuchte Websites) auf dem Rechner des Nutzers. Die kostenlos herunterladbare Firefox-Erweiterung „Ghostery” macht im Browser sichtbar, welche Tracking-Tools auf welcher Seite zum Einsatz kommen und blockt diese. Eine Analyse der Webseiten aller ARD-Anstalten, des ZDF und der privaten Sender, RTL, Sat1 und ProSieben ergab, dass die Rundfunksender zusammen 51 Tracking-Tools einsetzen. Am meisten Tracking-Dienste setzt ProSieben ein mit 12, dicht gefolgt von Sat.1 mit 11 Trackern und RTL mit 10. Tracking gibt es auch in Form von App-Tracking auf Smartphones und Smart-TV-Tracking bei internetfähigen Fernsehgeräten.
Web-Tracking-Report 2014. Das Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie in Darmstadt hat im Februar den Web-Tracking-Report 2014 veröffentlicht. Die Fraunhofer-Wissenschaftler stellten fest, dass zum Beispiel auf der Webseite viva.tv 65 Tracker eingebettet wurden. Der Report listet ein ganzes Heer verschiedener „Bedrohungsaspekte” auf, die von Tracking-Tools ausgehen. Dort heißt es, beim Tracking könnten „unbekannte Dritte die Verbindungsdaten von Verbrauchern” erfassen. Von einem Abfluss von Verbindungsdaten „zu Organisationen” und der NSA ist die Rede. Unter anderem befürchten die Fraunhofer-Experten: „Daten aus verschiedenen Quellen können miteinander kombiniert werden, so dass umfangreiche Datensammlungen in Form von Personenprofilen entstehen.”
Als weitere Bedrohungsaspekte werden im Fraunhofer-Report „die Weitergabe von Daten”, „Datenhandel”, „Intransparenz” und das Ausschnüffeln der Browserhistorie, sogenanntes History-Sniffing, genannt. „Die Verfolgung von Verbrauchern im World Wide Web kann mit Stalking verglichen werden”, so der Bericht. Sogar von der digitalen „Vermessung des Einzelnen” ist die Rede. Es würden darüber hinaus „neue Trackingmethoden entwickelt, die gegen bestimmte Abwehrmaßnahmen immun sind”. Weiter heißt es: „Je stärker verbreitet Tracker sind, desto besser können sie Verbraucher verfolgen und desto geschlossener wird das Bild von Verbrauchern, welches Tracker von ihnen gewinnen.”

Zu klaren Hinweisen verpflichtet.

Nach dem Telemediengesetz müssen Webseitenbetreiber und damit auch die Sender auf den Einsatz der Tracking-Tools in den Datenschutzbestimmungen ihrer Webseiten hinweisen. Das tun sie auch meist, aber nicht immer mit der gewünschten Klarheit und Transparenz.
Auf der Webseite der Deutschen Welle findet man gar keine Datenschutzhinweise. M fragte nach beim Bundesdatenschutzbeauftragten und der NRW-Datenschutzbeauftragten, in deren Gebiet der Sitz der Deutschen Welle in Bonn liegt: Müssen Webseitenbetreiber in einer Datenschutzerklärung auf den Einsatz von Trackern hinweisen und damit auch die Deutsche Welle auf die Nutzung des Tracking-Dienstes „AT Internet”. Darauf erklärten die Datenschützer in NRW: „Ja, ein Webseitenbetreiber ist grundsätzlich verpflichtet, auf den Einsatz von Cookies zwecks Tracking zu Beginn des Verfahrens hinzuweisen. Die Verpflichtung ergibt sich aus § 13 Telemediengesetz.” Beim Bundesdatenschutzbeauftragten heißt es: „In den Datenschutzhinweisen sollte schon aus Transparenzgründen auf den Einsatz eines Analyseprogramms hingewiesen werden.” Der Hinweis auf das Tool und damit auch auf das Widerspruchsrecht sei „sogar gefordert”. Ein Sprecher der Deutschen Welle erklärte hingegen, der öffentlich-rechtliche Sender sei „nicht zu einer Datenschutzerklärung verpflichtet”. Man werde jedoch „in absehbarer Zeit einen einheitlichen Hinweis in allen Internetauftritten haben. Diese Hinweise werden in den jeweiligen Sendesprachen verfasst sein.”
In den ZDF-Datenschutzhinweisen gibt es einen Button „etracker”, der einen Reiter öffnet. In diesem wiederum kann man auf einen weiteren Button klicken, „um von der Datenspeicherung ausgeschlossen zu werden”. Um zusätzlich von dem Einsatz des Tracking-Tools „INFOnline” zu erfahren, muss man im Obermenü allerdings auf den nichtssagenden Namen „SZM-Verfahren” klicken und erfährt dort, dass das Skalierbare Zentrale Messverfahren zur Reichweitenmessung verwendet wird und dafür unter anderem auch Cookies erstellt werden. Zudem setzt das Marktforschungsunternehmen Nielsen „zum Zweck der Webanalyse” auf der ZDF-Webseite Cookies ein, die nur mit einem Opt-out abgestellt werden können. Auch der WDR greift auf die Dienste von Nielsen zu.
Opt-Out-Möglichkeiten täuschen darüber hinweg, dass selbst bei deren Nutzung Daten gespeichert werden können. Damit ein Tracking-Dienst weiß, dass ein Webseitenbesucher nicht getrackt werden möchte, setzt das Tool eigens einen Cookie auf dem Rechner des Besuchers. Im Fraunhofer-Report heißt es: „Auch wenn in Fällen von Tracking keine Identifikationsdaten wie Klartextnamen erhoben werden, so können dennoch verschiedene Benutzer voneinander unterschieden werden. Da also Möglichkeiten zur Wiedererkennung für die Tracker bestehen, z.B. durch IP-Adressen, kann man diese Kommunikation nicht als anonym bezeichnen.”
Der SWR setzt unter den ARD-Sendern die meisten Tracker ein. In seiner Datenschutzerklärung ist die Rede davon, dass „statistische Erhebungen, die eine Auswertung der Zugriffe auf das Online-Angebot des SWR ermöglichen”, erfolgen. Für die Ermittlung dieser „statistischen Kennwerte” würden „Techniken der Firma AT Internet” und ebenfalls die SZM-Reichweitenmessung von INFOnline genutzt.
Den Tracker „INFOnline” nutzt auch die ARD auf ard.de. Was genau für Daten erhoben werden, erfährt man als Seitenbesucher nicht. Auf Nachfrage heißt es bei der ARD, „der Begriff Tracking” sei „interpretierbar”. Man setze „Pixel” ein und dies lediglich, um „quantitative Erkenntnisse über die Nutzung und Nutzungsbewegungen auf den von ARD.de verantworteten Angeboten zu erhalten”, so ARD-Sprecherin Anna Engelke. Angaben zur quantitativen Nutzung von ARD.de gehörten „zur Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit und z.B. auch der KEF”.

Nutzerdaten auf Google-Server.

Wer in den Datenschutzhinweisen von Sat.1 und ProSieben, die quasi wortgleich sind, nachlesen will, was an Tracking alles zum Einsatz kommt, muss erst eine Weile scrollen und lesen. Sowohl Sat.1 als auch RTL setzen den Webanalysedienst Google Analytics ein. Beide Sender haben dazu einen Standardtext in ihren Datenschutzhinweisen. In diesem heißt es: „Google Analytics verwendet Cookies, die eine Analyse der Benutzung unseres Online-Angebots durch Sie ermöglichen.” Dabei werde die IP-Adresse des Nutzers „an einen Server von Google in Europa bzw. in einem Mitgliedstaat des Abkommens des Europäischen Wirtschaftsraums” gesendet. Nachdem diese dort anonymisiert wird, wird die IP-Adresse der Besucher von sat1.de „an einen Server in die USA übermittelt”. In „Ausnahmefällen” kann das auch „die volle IP-Adresse an einen Server von Google” sein. ProSieben und Sat.1 und ebenso RTL setzen den Tracker Audience Science ein. In dessen Informationen zum Verbraucherdatenschutz ist die Rede davon, dass „nicht persönlich identifizierbare Informationen” mit „autorisierten Dritten” „geteilt” würden. Der Begriff „identifizierbar” impliziert, dass auch anonymisierte Daten, theoretisch personalisiert werden können. Das Argument, Webtracker verwendeten lediglich anonyme Daten, ist hier hinfällig. Der Webtracking-Dienst Maxymiser wirbt auf seiner Webseite: „Maxymiser bietet Ihnen ein ganzes Set an Personalisierungs-Werkzeugen, die Ihnen ‚echte’ Personalisierung und die damit verbundenen Optimierungspotentiale einfach und schnell erschließen”. Weiter heißt es dort, jeder Besucher komme „mit einem ganz eigenen Set an Vorbedingungen auf Ihre Website“. Dieses beinhalte „demographische und geographische Eigenschaften, etc.”, aber auch „Persönliche Präferenzen” des Webseitenbesuchers.
Auf Nachfrage kündigte ProSieben zunächst eine Stellungnahme an. „Ich möchte aber schon heute darauf hinweisen, dass wir sicher nicht alle Fragen beantworten werden. Es handelt sich hier zuweilen um Interna, die wir nicht mit unseren Wettbewerbern teilen wollen”, so Marcus Prosch von ProSieben. Eine weitere Stellungnahme blieb aus, auch vom Schwestersender Sat.1 gab es keinen Kommentar. Ein Sprecher der Mediengruppe RTL Deutschland erklärte, die „Anzahl der integrierten Tracking-Tools bei den Internetangeboten der Mediengruppe RTL Deutschland” liege „deutlich unter dem Durchschnitt”. Die Mediengruppe prüfe „umfassend die Einhaltung der deutschen datenschutzrechtlichen Bestimmungen”, auch bei den von „Marktpartnern eingesetzten Dienstleistern”.

Marvin Oppong

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