Filmtipp: Turmschatten

Heiner Lauterbach

Ephraim Zamir (Heiner Lauterbach) hat sich als wohlhabender Jude irgendwo in Deutschland eine vor Waffen und Sicherheitssystemen strotzende Trutzburg gebaut. Als Nazis in der Thrillerserie „Turmschatten“ seine Adoptivtochter töten, nimmt Zamir diese als Geiseln. Das Internet soll „live“ entscheiden, ob die Gefangenen leben oder sterben sollen. (Bild: Jürgen Olczyk / Paramount + / The Amazing Film Company / Sky)

Hannu Salonens Verfilmung des Romans „Turmschatten“ ist ein famos fotografierter Hochspannungs-Thriller. Heiner Lauterbach spielt in der sechs-teiligen Serie den deutschen Juden und ehemaligen Mossad-Agenten Ephraim Zamir, der zwei Neonazis für den Tod seiner Adoptivtochter verantwortlich macht. Die Internetgemeinde soll über ihr Schicksal entscheiden. Er nennt sich „Vollstrecker“, weil er angeblich nur den Willen der Mehrheit ausführt, aber in Wirklichkeit ist Zamir Staatsanwalt, Richter und Henker in einer Person.

Der deutsche Jude beschuldigt zwei Neonazis, sie hätten seine Adoptivtochter ermordet, und deshalb sollen sie sterben. Ein Live-Stream überträgt den „Prozess“ im Internet, ein Privatsender sorgt für noch mehr Reichweite: Zamir zählt die Anklagepunkte auf, die beiden können sich verteidigen, das Volk stimmt ab. Die Sache hat jedoch einen gewaltigen Haken: Die Männer repräsentieren in der Tat ein Deutschland, wie es dunkler kaum sein könnte, aber Esther haben sie nicht auf dem Gewissen.

Faschismus in der Jetztzeit

Die Serie basiert auf Peter Grandls Roman „Turmschatten“. Der Autor hat die Vorlage gemeinsam mit Christian Limmer adaptiert. Hannu Salonen hat das Drehbuch mit enormer Intensität umgesetzt. Ihre Spannung verdanken die sechs Folgen neben der fesselnden Handlung vor allem der preiswürdigen Bildgestaltung (Felix Cramer). Endgültig zu einer herausragenden Produktion wird die Serie durch die Besetzung. Sie hat entscheidenden Anteil daran, dass die beiden zentralen Figuren nicht eindeutig gut oder böse sind.

Heiner Lauterbach verkörpert den früheren Mossad-Agenten Zamir als leibhaftigen „Zorn Gottes“. Seine Motive sind nachvollziehbar, aber der Mann ist ganz offensichtlich ein kaltblütiger Killer. Klaus Steinbacher wiederum, ganz famos als Franz Beckenbauer in dem Sky-Film „Der Kaiser“ (2022), suggeriert mit seinem Spiel geradezu die Hoffnung, Karl Rieger möge sich als potenzieller Aussteiger erweisen. Er ist trotz seiner faschistischen Parolen und des Hakenkreuzes auf dem Rücken kein dumpfer Schläger, sondern ein kluger Kopf. Das gilt auch für den Anführer der dunklen Seite. Kommunalpolitiker Thielen (Michael Roll) sitzt für eine nationalistische Partei im Stadtrat, gibt sich in der Öffentlichkeit staatstragend und ist eine beunruhigend aktuelle Figur.

Geschickt platzierte Rückblenden

Der Roman spielt 2010. Limmer („Oktoberfest 1900“) und Grandl haben die Handlung ins Jahr 2005 vorverlegt. Andernfalls wäre es wenig glaubwürdig, dass Zamir, der als Kind den Holocaust überlebt hat, fit genug ist, um die beiden Neonazis zu überwältigen. Geschickt platzierte Rückblenden erklären die Motive der Figuren. Zamir war an der „Zorn Gottes“ genannten Vergeltungsaktion für die palästinensischen Morde während der Olympischen Spiele 1972 in München beteiligt.

Auch SEK-Anführer Schuster (Murathan Muslu) und Einsatzleiterin Koch (Anja Herden) bringen eine gemeinsame Vorgeschichte mit, die ihn antreibt und sie zögern lässt. Derweil macht sich eine Bewährungshelferin (Milena Tscharntke) Vorwürfe, weil sie Rieger nicht geglaubt hat, als er sie vorab über den Überfall informiert hat. Eine junge Journalistin (Sina Reiß) ergreift die Chance ihres Lebens und hält das Land mit ihrem Live-Bericht in Atem, und im TV-Studio wird eine erfahrene Kollegin (Désirée Nosbusch) vom Senderchef zurückgepfiffen, als sie dem Stadtrat allzu unbequeme Fragen stellt.

Auf dünnem Eis

Trotzdem bewegt sich „Turmschatten“ auf dünnem Eis. Die hartnäckige Holocaust-Leugnung Riegers, der einst vom Großvater indoktriniert worden ist, folgt zwar der rechtsextremistischen Legende, aber er wird nun mal mehr und mehr zum Sympathieträger. Der charismatische Nationalist Thielen schließlich entspricht exakt den heutigen rechtsextremistischen Abgeordneten, die das verhasste System von innen zerstören wollen, sich öffentlich aber gern als Opfer inszenieren; eine interessante Parallele zu Zamir, der ebenfalls gleichzeitig Täter und Opfer ist.

Eine weitere wichtige Rolle spielt der Handlungsort: Der Ex-Agent lebt in einem äußerlich mittelalterlich anmutenden Turm, bei dem es sich in Wirklichkeit um einen Hochbunker handelt; das eigens für die Dreharbeiten errichtete Bauwerk ist die reinste Festung. Jenseits der politischen Ebene ist „Turmschatten“ vorzüglich gemachtes Spannungsfernsehen; und natürlich spitzt sich die Lage gegen Ende zu, als die Polizei bei Nacht und Nebel das Leben der Geisel mit einer gewagten Aktion retten will.


„Turmschatten“, Buch: Peter Grandl, Christian Limmer, Regie: Hannu Salonen. Ab 15.11. bei Sky.

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