Filmtipp: Nonkonform

Dietrich Kuhlbrodt in "Nonkonform" Bild: Kinescopefilm

Ein Leben als Abenteuer: Der auch mit zwei Stunden nicht zu lange Dokumentarfilm „Nonkonform“ ist eine tiefe Verbeugung vor der „übersehenen Persönlichkeit“ des Staatsanwalts, Schauspielers und Filmkritikers Dietrich Kuhlbrodt. Quasi nebenbei liefert der Film eine konsequente Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte und musikalisch mit Helge Schneiders‘ Jazz die passende Untermalung.

So etwas kann man sich nicht ausdenken: Als Staatsanwalt hat Dietrich Kuhlbrodt Faschisten verfolgt, als Schauspieler hat er Nazis und Mörder verkörpert. Allein diese beiden Facetten seines umfangreichen Schaffens deuten bereits an, welch‘ faszinierender Mensch der Mann sein muss. Im Alter von zehn Jahren, erzählt er in dem auch mit knapp zwei Stunden nicht zu langen Filmporträt von Arne Körner, sei er nicht mit den anderen in den Luftschutzkeller geflüchtet, als die Alliierten im Sommer 1943 ihre tödliche Fracht über Hamburg abwarfen, sondern habe sich mit großer Begeisterung das Spektakel angeschaut. Gut zwanzig Jahre später arbeitete er für die Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg. Als Staatsanwalt am Landgericht Hamburg blieb er dieser Mission treu, auch wenn weder Staat noch Öffentlichkeit ein gesteigertes Interesse daran hatten, die Vergangenheit aufzuarbeiten.

Ironie und Gelassenheit

Körner, für seine Kurzfilme vielfach ausgezeichnet, setzt Kuhlbrodt in seinem ersten langen Dokumentarfilm ein Denkmal, das offenkundig von großer Sympathie geprägt ist. Der Mann ist ein fesselnder Erzähler, der aus seinen Verdiensten keine große Sache macht und seine Ausführungen lieber mit Ironie und beiläufig eingestreutem Mutterwitz würzt. Gleichzeitig zeichnet er sich durch eine große Gelassenheit aus. Die meisten Menschen würden die Gelegenheit nutzen, die Zögerlichkeit der Behörden im Umgang mit Alt-Nazis anzuprangern, aber offenbar liegt es Kuhlbrodt fern, alte Rechnungen zu begleichen; stattdessen gibt er lieber Anekdoten von Begegnungen mit Filmgrößen wie Rainer Werner Fassbinder zum Besten.

Der lakonische Titel „Nonkonform“ ist also durchaus angebracht. Zum Glück hat sich Körner die Devise nicht auch für sein Porträt zu eigen gemacht. Mitunter mag sein Werk etwas unstrukturiert wirken, aber im Grunde hält er sich an die Chronologie der Ereignisse. „Die Synapsen rappeln sich zu Tode“, kommentiert Kuhlbrodt die eigene Sprunghaftigkeit: Gerade noch sprach er über sein Debüt als Drehbuchautor, dann setzt er sich ans Klavier. Zu seinen zahlreichen Nebentätigkeiten gehörte unter anderem auch die langjährige Mitarbeit bei der Zeitschrift „Filmkritik“ sowie bei diversen überwiegend linken Zeitungen und Magazinen. Viele Erzählungen hätten großes Rührseligkeitspotenzial, etwa die Erinnerungen an die fünf Jahrzehnte mit Ehefrau Brigitte, die nach einem erfüllten Leben friedlich in seinen Armen gestorben ist. Über diesen Moment habe er lange nicht sprechen können, doch selbst jetzt bleibt er hanseatisch: nicht kühl, aber unsentimental.

Einfluss der Politik

Körner hat Kuhlbrodt erstmals getroffen, nachdem dieser 2015 eine Kritik zum ersten Spielfilm des Regisseurs („The Bicycle“) geschrieben hatte. Er war beeindruckt von dem Abenteuergeist, den der alte Herr immer noch ausstrahlte, besetzte ihn für sein zweites Werk („Gasmann“, 2019 ins Kino gekommen) und beschloss, die Lebensgeschichte dieser „übersehenen Persönlichkeit“ zu verfilmen. Quasi als Kollateralprodukt setzt sich sein Film auch mit der deutsche Geschichte auseinander.

Roter Faden ist der Einfluss der Politik auf Kuhlbrodts Dasein: von der Hitlerjugend über die Gründung der Bundesrepublik, die flugs das Beamtentum wiederherstellte und so die Nazi-Bürokraten zurück in Amt und Würden brachte, bis zu seinem Engagement für Christoph Schlingensiefs Politprojekt „Chance 2000 (1998); für den Regisseur hat er unter anderem in der bizarren Filmsatire „Das deutsche Kettensägenmassaker“ (1990) einen mörderischen Metzger gespielt. Auf diese Weise ist eine kunterbunte und sehr abwechslungsreiche Collage aus vielen privaten Foto- und Filmaufnahmen, zeitgenössischem Dokumentarmaterial und Spielfilmausschnitten mit Kuhlbrodt als Fixstern entstanden, der verschmitzt berichtet, wie er seine Probezeit aufs Spiel setzte, als er 1968 gegen die Springer-Presse demonstrierte oder zum Konzert der von „Bild“ als „Verderber der Jugend“ verfemten Rolling Stones ging. Der launige Jazz von Helge Schneider ist die perfekte musikalische Untermalung für diese Reise durch ein bewegtes Leben.

„Nonkonform“, Deutschland 2024, Buch und Regie: Arne Körner. Kinostart: 6. Februar

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