Wenn sich „die Gewaltspirale wieder dreht“ – dann „droht ein Flächenbrand“. Daher gelte es „besonnen“ zu bleiben, „Gesprächskanäle offenzuhalten“ und die irrlichternden Anhänger des „Bellizismus“, die „nichts aus der deutschen Geschichte gelernt“ hätten, in die Schranken zu weisen.
Gebraucht werde schließlich „eine diplomatische Lösung“ und keine militärische. Und das bedeute: „kritischer Dialog“, vielleicht auch „Wandel durch Handel“ – und auf jedem Fall mehr „Augenhöhe“. Denn schließlich leben wir inzwischen in einer „multipolaren Welt“, in der gerade „der Globale Süden“ in der politisch mehr berücksichtigt werden sollte.
Wem dieser Phrasen-Overkill bekannt vorkommt, ist wahrscheinlich Zeitungsleser; oder er verfolgt das internationale politische Geschehen über andere Medien. Journalist*innen bedienen sich aus dem gängigen Floskel-Repertoire sicherlich auch, weil sie unter Stress und Zeitdruck schnell „liefern“ müssen – und dann vielleicht bei Kolleg*innen abschreiben oder normative Begriffe aus der Politik unhinterfragt übernehmen. In jedem Fall wird der journalistische Auftrag, die Wirklichkeit analytisch klar zu ordnen und verständlich aufzubereiten, durch die vielen Phrasen ad absurdum geführt. Sie tragen dazu bei, die ohnehin schon unübersichtliche Weltlage zu vernebeln.
Begriffe aus dem Phrasen-Arsenal
Jörg Lau ist schon seit langem im Geschäft: seit fast zwanzig Jahren berichtet er für DIE ZEIT über Außenpolitik. Mit „Worte, die die Welt beherrschen“ hat er eine Art Lexikon vorgelegt, das in die Hintergründe der gängigsten Phrasen der aktuellen außenpolitischen Debatte in Deutschland erhellt. Im Gegensatz zu manchen Sprach- und Ideologiekritiker*innen tut Lau dies ohne einen hämischen Gestus der Entlarvung und ohne die eigene intellektuelle Überlegenheit zur Schau zu stellen. Seine Begriffs-Analysen sind differenziert, fair und instruktiv.
Die 80 Kurz-Texte beziehen sich häufig auf Begriffe aus dem Phrasen-Arsenal der außenpolitisch maßgeblich von SPD und Grünen geprägten Ampel-Regierung. Es ist kaum vorstellbar, dass sich ein Kanzler Merz oder ein CDU- Außenminister so empathisch auf eine „feministische Außenpolitik“ oder etwa auf die Brandt‘sche „Entspannungspolitik“ bezieht. Nicht, dass Lau die Bedeutung von Zeichen, Gesten oder griffigen Schlagworten in der Politik kleinredet oder geringschätzt – im Gegenteil. Was er in seinem Buch anhand von vielen Begriffen aber leistet, ist ein reality check: ein Abgleich von Anspruch und Wirklichkeit.
In Bezug auf die „feministische Außenpolitik“ etwa zeigt Lau, dass die deutsche Diplomatie auf den überstürzten Rückzug der westlichen Kräfte aus Afghanistan oder auf die feministische Revolte im Iran nach dem Tod von Jina Mahsa Amini überhaupt nicht gemäß den eigenen Leitlinien reagiert hat. Und in Bezug auf die pazifistisch verklärte „Entspannungspolitik“ macht Lau deutlich, dass Willy Brandt seine Hand aus einer Position der Stärke herausstreckte. Das war, so betont Lau, nur durch Abschreckung möglich, die unter anderem auf historisch hohe Verteidigungsausgaben sowie einen hohen Personalstand der Bundeswehr fußte.
Bei einem anderen Begriff fällt seine eher links-liberale Prägung ebenfalls auf: dem der „multipolaren Weltordnung“. Gerade Kanzler Olaf Scholz sprach hiervon in seiner Amtszeit häufig. Empirisch stichhaltig ist diese Zustandsbeschreibung allerdings nicht. Denn die Weltordnung ist eigentlich nicht durch mehrere Pole strukturiert, sondern wird nach wie vor maßgeblich durch die USA dominiert (und in Zukunft wohl zusätzlich von China). Scholz ging es bei seinen Bezugnahmen auf eine vermeintlich „multipolare Weltordnung“ aber vor allem darum, auf Länder, die im Kalten Krieg noch einem Block zugeordnet waren, zuzugehen.
Begriffe prägen Politik
In die internationale Politik kam der Begriff der multipolaren Weltordnung 1997 durch Russland und China. Geostrategisch dies gegen die „westliche Hegemonie“, die EU und die NATO gerichtet – und darüber hinaus gegen die Universalität der Menschenrechte, deren Geltung mit wohlklingenden Floskeln wie „gegenseitigen Respekt“ und „unterschiedliche Wege der Entwicklung“ relativiert wurde. Der Kern der multipolaren Vision Russlands und Chinas: Kritik an Menschenrechtsverstößen sei zu unterlassen und militärisches Agieren in ihren „Großräumen“, zu denen etwa die Ukraine und Taiwan zählen, zu tolerieren. Kein Wunder, dass sich in Deutschland auch die AfD und das BSW auf die Vision einer „multipolaren Weltordnung“ berufen.
Ob „Artikel 5“, „NATO-Osterweiterung“, „Bellizismus“ oder „Imperialismus“ – viele der von Lau thematisierten Begriffe stehen im Kontext des aggressiven Expansionismus Russlands. Gerade in diesem Zusammenhang wird deutlich, wie stark bestimmte Begriffe als außenpolitische Leitlinien die Wirklichkeit mitprägen können. So wie die Phrase „Wandel durch Handel“, die vor allem als „Feigenblatt für profitable Deals mit Diktatoren“ diene. Als weiteres Beispiel nennt Lau die „Modernisierungspartnerschaft“ mit Russland, die 2008 vom damaligen Bundespräsidenten Steinmeier zur Schaffung von Stabilität ausgerufen wurde.
„Worte, die die Welt beherrschen“ ist ein insgesamt sehr zu empfehlendes Buch – gerade für Journalist*innen, die sich die Zeit nehmen wollen, ihr eigenes Handwerkszeug kritisch zu hinterfragen. Nach dem Ende der aktuellen Legislatur werden durch Kanzler Merz und eine durch die CDU geprägte Außenpolitik zahlreiche neue Phrasen in die Debatte gekommen sein. Es ist zu hoffen, dass Lau diese dann ebenfalls so gekonnt und erhellend in den Blick nimmt.
Worte, die die Welt beherrschen – Was die Phrasen der Außenpolitik wirklich bedeuten. (Droemer Knaur 2024) von Jörg Lau
