Hate Speech, Filterblasen und das Befeuern extremer Ansichten, das sind nur einige der Beschreibungen, um die Schattenseiten von Social Media zu kennzeichnen. Die Schuld daran wird meist dem Algorithmus zugeschrieben. Nun zeigt ein Experiment zweier Forschender der Uni Amsterdam: Der Algorithmus trägt nicht die alleinige Schuld. Das Problem scheint viel tiefer zu liegen und grundlegender zu sein.
Petter Törnberg und Maik Larooij haben für ihr Experiment eine Mini-Social-Media-Plattform erstellt. In dieser geschützten simulierten Umgebung haben sie KI-Bots aufeinander losgelassen. Diese digitalen User konnten Beiträge posten, weiterleiten und einander folgen, eben all das, was auch Menschen üblicherweise in den sozialen Medien tun.
Schon nach kurzer Zeit zeigten sich drei bekannte Probleme: Es bildeten sich Echokammern gleichgesinnter KI-Bots, eine kleine Elite dominierte die Diskussionen und KI-Bots mit extremeren Meinungen wurden überproportional auf der Mini-Plattform sichtbar.
Eingreifen verschlechtert Situation
Aufgrund dieser Entwicklungen versuchten die beiden Forschenden in ihr Modell steuernd einzugreifen. Beispielsweise nahmen sie Änderungen am Feed vor, also den ausgespielten Postings. In dem ursprünglichen Modell sorgte ein Algorithmus für die Feed-Zusammenstellung. Dieser achtete bei der Auswahl auf Postings mit besonders viel Interaktion. Daher stellten die beiden Forschenden den Feed auf chronologisch um, eine Forderung, die sehr oft aus der Politik oder von Social-Media-Experten zu hören ist.
Dadurch verteilte sich zwar die Aufmerksamkeit etwas gleichmäßiger. Gleichzeitig fielen allerdings extreme Postings in dem nun ungefilterten Feed besonders auf. Andere Maßnahmen, wie beispielsweise Beiträge Andersdenkender gezielt einzublenden oder das Ausblenden von Follower-Zahlen, zeigten nahezu gar keinen Effekt oder verschlechterten sogar die Situation.
„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass viele Probleme der sozialen Medien nicht nur mit den Newsfeed-Algorithmen zusammenhängen, sondern in der grundlegenden Architektur der vernetzten Plattformen begründet sind“, schlussfolgert Petter Törnberg, der das Experiment an der Uni Amsterdam wissenschaftlich begleitet hat. „Das politische und mediale Ökosystem auf wenige Plattformen zu bauen, auf denen alle in einem gewaltigen, globalen Netzwerk verbunden sind, könnte von Anfang an eine Fehlkonstruktion gewesen sein.“ Daher plädiert er für alternative Social-Media-Modelle.
Gewinnstreben bestimmt Systeme
Einfache Handgriffe, um Social-Media-Plattformen im Sinne der Nutzenden umzugestalten, reichen demnach nicht aus, lautet eine weitere wesentliche Erkenntnis des Experiments. Doch gibt es überhaupt einen Weg, das Gewinnstreben der Anbieter und eine wertschätzende Debattenkultur miteinander zu verknüpfen?
Auch Petter Törnberg hegt große Zweifel und warnt: „Diese Systeme nur nach den Gewinninteressen einiger weniger US-Konzerne auszurichten, ist gefährlich und kurzsichtig. Stattdessen sollte die Frage gestellt werden, welche Regeln und Formen der Kontrolle für so zentrale Bereiche der digitalen Öffentlichkeit sinnvoll und notwendig sind.“
Social Media diene schon längst nicht mehr der reinen Unterhaltung. Vielmehr handele es sich um zentrale soziale Infrastrukturen, die Politik, Kultur und den gesamten öffentlichen Diskurs prägen, ergänzt Petter Törnberg.
Auch Verhaltensänderungen auf Seiten der Nutzenden würden kaum ausreichen. „Unser Experiment weist auf strukturelle Probleme hin, die sich weder durch achtsameres Verhalten noch durch Verzicht auf soziale Medien lösen lassen. Wir konnten aufzeigen, dass diese Dynamiken äußerst stabil sind und unabhängig vom Verhalten einzelner Nutzerinnen und Nutzer bestehen bleiben.“
Von aktuellen Strukturen lösen
Das klingt nicht nur sehr ernüchternd, sondern ist es auch. Es soll allerdings nicht unerwähnt bleiben: In bestimmten Nischen dient Social Media als wichtiges und wertvolles Kommunikationsmittel. Gerade in kleineren Gruppen, in denen sich Menschen treffen, um sich über ihre Hobbies auszutauschen oder um sich gegenseitig bei alltäglichen Dingen zu unterstützen, herrscht eine wertschätzende Debattenkultur.
Nur scheint das im größeren Maßstab auf solch global agierenden Plattformen unmöglich zu sein. „Wir haben mit unserem Experiment gezeigt, es lässt sich mit einfachen Mitteln erforschen, wie Mediensysteme die Gesellschaft beeinflussen. Daraus lassen sich Ideen ableiten, um Plattformen anders zu gestalten“, macht Petter Törnberg ein wenig Hoffnung auf Besserung. Denn die Struktur von Social-Media-Plattformen ist veränderbar.
„Die digitale Welt kann so gestaltet werden, dass sie der Gesellschaft mehr nützt. Dafür sollte man sich allerdings möglicherweise von den aktuellen Strukturen und Plattformen lösen“, meint Petter Törnberg. Klingt doch hoffnungsvoll.

