Statt 41 barrierefreien Veranstaltungen kann DOK Leipzig (27. Oktober bis 2. November) in diesem Jahr nur sechs anbieten. Ursache ist die Kürzung einer Förderung für Inklusion im Kulturbereich im sächsischen Doppelhaushalt 2025/26. Wie läuft Inklusion im Kulturbereich zu Zeiten knapper öffentlicher Mittel? Und was heißt das für die Redakteur*innen und Dienstleister, die barrierefreie Fassungen erstellen?
Nur ein Crowdfunding über 10.000 Euro konnte überhaupt die wenigen barrierefreien Fassungen in diesem Jahr sichern, drei Hörfilme und drei erweiterte Untertitel. Übersetzungen in Gebärdensprache, die DOK Leipzig bei einigen Filmgesprächen anbot, mussten komplett wegfallen. Zwischen 40 und 70 Veranstaltungen waren seit 2017 jährlich in einer barrierefreien Form möglich. Dabei deckte selbst das vergleichsweise große Angebot bei über 200 Filmen im Jahr 2024 trotzdem nur einen Teil des Programms ab.
Mit dem sächsischen Doppelhaushalt 2025/26 fiel die Förderung zur Umsetzung inklusiver Maßnahmen im Kulturbereich komplett weg. Das Festivalteam zeigte sich schockiert. „Mit dem Crowdfunding wollten wir wenigstens einen Teil auffangen“, erzählt Paula Schumann, die Koordinatorin der barrierefreien Angebote bei DOK Leipzig. Sie sagt: „Wir wissen, dass sich von so einem Aufruf viele Betroffene angesprochen fühlen.“ Das Feedback aufs Crowdfunding zeigte zum Glück auch, dass sich viele Nichtbetroffene solidarisch zeigten und spendeten.
Barrierefreie Filmfassungen gibt es als:
– Erweiterte Untertitel oder SDH (Subtitles for the Deaf and Hard-of-hearing) also Untertitel für taube und schwerhörige Menschen
– Hörfilmfassungen für blindes und sehbehindertes Publikum, auch als Audiodeskription (AD) bezeichnet
– Untertitel in einfacher Sprache
– Übersetzung in Gebärdensprache (die bei DOK Leipzig nur bei Live-Veranstaltungen zum Einsatz kam)
Sebastian Schulze ist freier Hörfilmautor in Leipzig und Mitglied im Hörfilm e.V.. Vernichtend fällt Schulzes Urteil über den Einsatz von KI aus: „Eine redaktionelle Bearbeitung von KI-Beschreibungen benötigt die doppelte Arbeitszeit.“ Seine ebenfalls blinde Kollegin Eberl kritisiert ergänzend die Verwendung von KI-Stimmen: „Wir verbringen unser halbes Leben mit Computerstimmen. Wir zahlen den Rundfunkbeitrag und unsere Kinokarten und haben genauso Anspruch auf ein Filmerlebnis wie Sehende.“ Andrea Eberl arbeitet als Filmbeschreiberin, also Redakteurin für Hörfilme, und unterstützte DOK Leipzig beim Teilen des Crowdfundings auf ihren SocialMedia-Accounts.
Weder Schulze noch Eberl bemerkten bislang einen Auftragsrückgang als blinde Redakteur*innen für Hörfilme. Gerade der öffentlich-rechtliche Rundfunk baute seine Angebote in den letzten Jahren kontinuierlich aus. So bietet der MDR nach Angaben der Pressestelle u.a. mehr als 92 Prozent im Mediatheken-Streaming und mehr als 95 Prozent im TV untertitelt an. Zudem gebe es täglich circa sieben Stunden mit Hörbeschreibung im TV. Beim BR arbeiten seit einiger Zeit statt Dreier- nur noch Zweierteams für die Beschreibungen. Der Sender antwortet auf Nachfrage, dass bei größeren Produktionen wie dem „Tatort“ eine blinde Person im Beschreiberteam sei, ansonsten als Reakteur*in oder Ton-Regie. Doch die Kürzung in Sachsen alarmiert beide Hörfilmautor*innen. Schulze und Eberl erlebten generell, dass „Nichts über uns ohne uns“ – der Grundsatz der UN-Behindertenrechtskonvention – immer häufiger aufgebrochen und ohne blinde oder sehbehinderte Redakteur*in gearbeitet wird. Schulze verweist auf Schätzungen, dass trotz meist überdurchschnittlicher Qualifikation über 70 Prozent aller blinden Menschen arbeitslos seien.
Nur ausgewählte Audiodeskriptionen
Schumann stand nun als Koordinatorin der barrierefreien Angebote bei DOK Leipzig vor der schwierigen Wahl, welche Filme eine der wenigen barrierefreien Fassungen bekommen sollten. Manches ergäbe sich schon durch Pragmatismus, weil die Filme nicht rechtzeitig fertig werden. „Dann ist es immer gut, wenn die Filme schon deutschsprachig sind, weil sich sonst durch das Einsprechen der Dialoge die Kosten fast verdoppeln“, sagt Schumann. Bislang verteilte sie das Angebot immer über die unterschiedlichen Programmsektionen. Jetzt sei das nicht mehr möglich. Auch Untertitel für Hörgeschädigte und Gehörlose würden vermisst. „Wenn auf der Tonebene viel los ist, sind SDHs ebenfalls ein großer Service, weil sie viel zur Wirkung beitragen“, ergänzt Martin Pfingstl, der bei digital images Halle u.a. solche Untertitel erstellt. Für die Hörfilmautorin Eberl ist klar: „Es ist schade, dass man überhaupt auswählen muss, was eine Audiodeskription oder SDH bekommt oder nicht.“
Beim Sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft, Kultur und Tourismus bleibt die Förderrichtlinie zur Umsetzung inklusiver Maßnahmen übrigens weiter bestehen, obwohl derzeit keine Mittel eingestellt wurden. Eine Wiederaufnahme 2027/28 ist also möglich. Pressesprecher Jörg Förster verweist darauf, dass Kultureinrichtungen auch aus anderen aktuell bestehenden Fördermöglichkeiten Maßnahmen zur Inklusion umsetzen könnten. Da viele Bereiche aber entweder Kürzungen erhalten haben oder wie DOK Leipzig durch die Inflation mit erhöhten Kosten kämpfen, bleibt wie immer die Frage: Wie viel Empathie bringt die Gesellschaft für Inklusion und Teilhabe auf?

