Aderlass bei Pixelpark

Berliner Betriebsrat dringt auf kreative Sanierungslösungen

So wirtschaftlich turbulent wie das Jahr 2001 beim Internet-Dienstleister Pixelpark geendet hatte, so angespannt begann auch das neue. Nach der Ankündigung des Managements, die Beschäftigtenzahl der global tätigen AG binnen eines Jahres halbieren zu wollen, trafen sich Betriebsrat und Vorstand im Dezember und Anfang Januar zu Interessenausgleichsverhandlungen. Danach stand fest: Es geht erneut vor die Einigungsstelle.

An der sehr zähen Informationspolitik des Vorstands gegenüber dem Betriebsrat habe sich wenig geändert, meint Vorsitzende Katja Karger. Die meisten Hiobsbotschaften erfuhren die vor Jahresfrist weltweit noch 1200 Beschäftigten des nun angeschlagenen Flaggschiffs der deutschen „New Economy“ und ihre betriebliche Interessenvertretung in Berlin in den vergangenen Monaten aus den Medien: Von einem Umsatzrückgang im Vorjahresvergleich um fast 38 Prozent war da für das dritte Quartal berichtet worden und von operativen Verlusten in Höhe von 14,2 Millionen Euro. Paulus Neef, Vorstandschef von Pixelpark, kündigte vor der Presse an, das bereits beschlossene „Effizienzprogramm 2001“ konsequent erweitern zu wollen. „Wir sind vom Einbruch des Marktes für IT-Dienstleistungen extrem überrascht worden“, wird er zum Jahresende zitiert und mit der Prognose, dass sich dieser Markt „auch mittelfristig nicht erholen“ werde. Selbst von der Tatsache, dass die Bertelsmann-Konzernzentrale im November beschloss, ihren 60,3-Prozent-Anteil an Pixelpark zum Jahreswechsel vom Unternehmensbereich DirectGroup, dem verlustreichen Endkundengeschäft, zur gewinnträchtigen Arvato umzuschichten, hatte der Betriebsrat zuerst durch Nachfragen von Journalisten erfahren. Der Gütersloher Medienriese hatte als Mehrheitsgesellschafter Pixelpark zu Jahresanfang 2001 mit einen Kredit von 25 Millionen DM unter die Arme gegriffen und zum Jahresende angekündigt, für das Restrukturierungsprogramm weitere 15 Millionen Euro nachzuschießen.

Die neuesten Entlassungszahlen – von einer Halbierung der einstigen Pixelpark-Mitarbeiterzahl auf 600 und einem Abbau von 105 Stellen allein in Berlin ist die Rede – will Katja Karger denn auch noch nicht kommentieren. „Wir als Betriebsrat diskutieren nicht so schnell über Kündigungen, Sozialplan oder Abfindungen. Wir fragen zunächst nach dem Ob-überhaupt, nach Fakten und sachlichen Grundlagen von Entscheidungen, nach Alternativen und neuen Konzepten.“ Mit beträchtlichem Informationsbedarf seien sie und ihre Betriebsratskollegen in die Interessenausgleichverhandlung gegangen: „Danach stand fest, dass das Management wenig Interesse hat, Vorschläge des Betriebsrates ernsthaft zu diskutieren. Man kann den Eindruck gewinnen, dass Bertelsmann die Vorgaben macht und Spielräume sehr gering sind.“ Deshalb geht es jetzt erneut vor die Einigungsstelle. Die Betriebsratsvorsitzende: „Auch da wird es erfahrungsgemäß ganz hart werden. Und mit Bertelsmann im Nacken ist das noch mal eine andere Baustelle…“

Bei Redaktionsschluss war nicht entschieden, ob ein Interessenausgleich zustande kommen oder um einen Sozialplan gestritten werden würde. Das wäre dann binnen weniger Monate bereits der zweite. Bei einer ersten Entlassungsrunde im Rahmen des „Effizienzprogramms“ waren bis September 2001 bei Pixelpark insgesamt 290 Arbeitsplätze gestrichen worden. Die in Berlin angeschobenen Sozialplanverhandlungen führten im November ebenfalls bis vor die Einigungsstelle. Dort wurde für 36 gekündigte Mitarbeiter aus der Hauptstadt ein „leider nur mittelmäßiger Abschluss“ erreicht, wie die Betriebsratsvorsitzende einschätzt. Die zeitliche Verzögerung und die sich zuspitzende finanzielle Lage des Internet-Unternehmens hätten nicht mehr als Abfindungsregelungen mit Altersstaffelung und Kinderzulagen möglich gemacht.

Kreativität gegen die Krise

In der aktuellen Auseinandersetzung erhoffe man sich dennoch bessere Lösungen als „übliche“ mit „Kleinschrumpfen“, Arbeitszeitverkürzung oder Teilzeit. Die Belegschaft sei bislang nicht in die Ideenfindung einbezogen, so Karger. Der Betriebsrat werde nun verstärkt mit den Mitarbeitern diskutieren, „denn die sollen schließlich für den Größenwahn des Managements zahlen…“

„Ohne Zweifel ist die Internet- und IT-Branche krisengeschüttelt“, doch mit den Beschäftigten nach dem Motto umzugehen, sie hätten ihre Schuldigkeit getan und könnten gehen, das sei „der falsche Weg“ kritisiert Wille Bartz, Projektleiter von connexx.av, der ver.di-Service-Einrichtung für Beschäftigte der Neuen Medien. Jetzt sei das „Pixelpark-Management gefordert, nach kreativen Lösungen zu suchen, wie die angeschlagenen Firma diese Krise ohne Entlassungen meistert“.

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