Permanente Schlankheitskur

Tarifrecht existiert bei den Bavaria Studios nur auf dem Papier

„Das gäbe eine Revolution“. So lautete ein Titel in „M“ vom März 1997 zur Gründung der Bavaria Film- und Fernsehstudios (BS). Damals waren die Verhandlungen über die tariflichen Vereinbarungen zum Betriebsübergang der Fernsehstudio München GmbH (FSM), einer 100%igen ZDF-Tochter, zur Bavaria Film- und Fernsehstudios GmbH (BS) in der Endphase. Mehr als ein Jahr dauerten diese Verhandlungen von ZDF und Bavaria Film mit der ehemaligen IG Medien, namentlich mit dem damaligen Hauptvorstands­mitglied der IG Medien Gerd Nies und dem Vorsitzenden des ZDF-Senderverbandes Werner Ach.

Die 169 FSM-MitarbeiterInnen in Unterföhring bei München, zu gut 90 Prozent gewerkschaftlich organisiert, konnten beim Betriebsübergang zum 1. Juli 1997 einen beachtlichen Teilerfolg erzielen – und die „Revolution“ blieb Dank der zielorientierten Suche nach einvernehmlichen Lösungen im Gehaltsbereich mit teilweiser Bestandsschutzwahrung aus. Mit der Zusammenführung von der Fernsehstudio München GmbH und dem Ausstattungsbereich von Bavaria Film sollte etwas ganz Großes entstehen. Von „Elefantenhochzeit“ (Münchner TZ 7.2.1997) und „Größtem deutschen Atelierverbund“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung 7.2.1997) war die Rede, aber auch kritische Stimmen waren dabei – „… nun wird verschlankt und angepasst“ (Münchner Abendzeitung 8.2.1997). Und was ist daraus geworden? Verschlankt wurde seitdem von einst rund 200 auf gut 70 Angestellte. Jetzt soll das Verschlanken und Sparen weitergehen. Die Bavaria-Geschäftsführung will den meisten dieser MitarbeiterInnen die 15%ige Zulage auf das tarifliche Grundgehalt streichen. Die Bavaria Film- und Fernsehstudios sind nach dem Tarifvertrag mit dem Verband Technischer Betriebe für Film und Fernsehen e. V. (VTFF) tarifgebunden. Die Zulage, um die es geht, ist zum einen durchaus branchenüblich für die im VTFF abgebildeten Berufe. Darüber hinaus ist es damit möglich, auch Berufsbilder einzubeziehen, die im 15jährigen Raster des Entgelttarifvertrages bisher nicht abgebildet sind.

Starker Renovierungsbedarf

Auf Vorschlag von ver.di sollte bereits in früheren Verhandlungen ein neues Tarifraster mit berufsgruppenspezifischen Komponenten eingeführt werden. Das scheiterte bis jetzt, nicht zuletzt an den Verantwortlichen im VTFF-Bereich, zu denen auch die Bavaria-Geschäftsführer gehören. In diesem Jahr wird für den Tarifbereich ein neuer Anlauf unternommen. „Wegen starken Renovierungsbedarfs erwarten wir diesmal mehr Einigungsbereitschaft und ein praxisnahes Resultat“, so ver.di-Tarifsekretär Matthias von Fintel. Statt auf einen neuen transparenten Gehaltstarifvertrag zu setzen, ziehen BS-Geschäftsführung und die übrigen VTFF-Arbeitgeber individuelle Vereinbarungen vor. Den BS-Beschäftigten will Schultz zudem die zusätzliche Altersversorgung radikal stutzen – wegen angeblich unkalkulierbarer Beitragssteigerungen und fordert damit den Verzicht auf vertraglich festgelegte Gehaltsbestandteile zugunsten der Rendite.

Von Gehaltseinbußen bis zum Verlust des Arbeitsplatzes

Fast entsteht der Eindruck, dass qualifizierte und engagierte MitarbeiterInnen bei BS als Störfaktor empfunden werden. Darauf weisen auch Umgangston und Arroganz gegenüber den Beschäftigten hin. Dabei sind auch die BS-MitarbeiterInnen der Überzeugung, dass sie mehr Idendifikation und Firmenbindung zu ihrem Produktionsbetrieb in Unterföhring haben als die Gesamtgeschäftsführung.
Tarifrecht existiert bei den Bavaria Studios nur auf dem Papier. Die Ausgestaltung des neuen VTFF-Manteltarifvertrages ist selbst im Jahre 4 nach dessen Abschluss nicht in Ansätzen umgesetzt. Geschäftsführer Schultz legt diesen nach persön­lichem Gutdünken aus und enthält MitarbeiterInnen Geld, Mehrarbeitsansprüche und Freizeitausgleich vor. An dieser Praxis konnten zwei „Interpretationsgespräche“ zwischen Geschäftsführung und ver.di nichts ändern.
Einen weiteren Schritt zur Tarifflucht hat die BS-Geschäftsführung mit Gründung der 100%igen Tochter SetLogistics vollzogen, die keinerlei Tarifbindung unterliegt. Fernsehschaffende ohne tarifliche Absicherung werden unterhalb des VTFF-Niveaus zusammen mit BS-MitarbeiterInnen beschäftigt. Auch für die unlängst eingeräumten „Steuerungsfehler der Geschäftsführung“ sollen die Beschäftigten zahlen – mit weiteren Gehaltseinbußen bis hin zum Verlust des Arbeitsplatzes. Eine weitere Verschlankung birgt in einem umkämpften Markt aber die Gefahr, dass noch vorhandenes Know How gänzlich verloren geht.
Was nach den „Verschlankungsvisionen“ der BS-Geschäftsführung übrig bleiben soll, gleicht einer Vermittlungsagentur für Medien-Tagelöhner. Von ehemals 200 produktiv arbeitenden MitarbeiterInnen 1997 gibt es im Szenario der Geschäftsführung 2007 kaum noch für 50 einen Arbeitsplatz. Und mit denen soll dann einfaches Fernsehen der nächsten Generation gemacht werden – wenig Inhalt mit viel Kommerz. Das überdimensionierte Management bleibt von Stellenstreichungen allerdings verschont.

Unterstützung durch ver.di

Mit akuter Angst um den Arbeitsplatz haben die betroffenen 70 Bavaria-MitarbeiterInnen die letzte durch die Geschäftsführung eilends einberufene Mitarbeiterversammlung Anfang März verlassen. Weitest gehende Unterstützung und Wahrnehmung ihrer Interessen hat ver.di bereits zugesagt.

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