Gesicht und Stimme der Unsichtbaren und Ungehörten

Nicht die Freiheit der Rede ist das Problem, sondern die Freiheit nach der Rede

„Medien, Konflikte und Terrorismus“ war das Thema einer internationalen Konferenz, zu der am 7. und 8. Mai 2002 etwa 70 Journalisten, Politiker und Akteure der Entwicklungszusammenarbeit in Bonn zusammentrafen. Darunter prominente Reporter von BBC, CNN, CBN und lokaler Medien, schwerpunktmäßig aus Asien und Osteuropa.

Eingeladen hatten die Deutsche Welle, die Deutsche Stiftung für internationale Entwicklung und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung / BMZ. Keith Spicer, Direktor des Instituts für Medien Frieden und Sicherheit der Vereinten Nationen, wies in seinem Eröffnungsstatement darauf hin, dass Medien längst zu einem Mittel der Kriegsführung geworden sind. Es gelte aber, sie auch für die Gewinnung und Erhaltung des Friedens einzusetzen. Spicer zitierte UN Generalsekretär Kofi Annan, der überzeugt ist, dass Medien einen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung von Konfliktursachen leisten können, wenn sie den Unsichtbaren und Ungehörten Gesicht und Stimme geben.

Journalisten lassen sich allzu leicht für die Ziele der Kriegsführung einspannen. Die in Afghanistan eingesetzte BBC Reporterin Lyse Doucet, bekannte, dass sie mit dem in letzter Zeit viel verwendeten Begriff „Terrorismus“ Probleme habe. In der Vergangenheit hat die BBC ihn vermieden, da er eine starke Wertung enthält und deshalb nichts in einer Nachricht oder einem Bericht zu suchen hat. Aber seit Präsident George Bush vom „Krieg gegen den Terrorismus“ spricht, findet der Begriff auch Eingang in das Repertoire seriöser Medien. Verschiedentlich wurde auf der Tagung einem „altmodischen“ Journalismus nachgetrauert, der Fakten und Bewertungen trennt und als es noch Sache der Journalisten war, treffende, richtige Worte für den Gegenstand ihrer Berichterstattung finden. Dann sei schon viel gewonnen, um Medien friedensfördernd wirken zu lassen, war eine mehrfach vertretene Meinung.

Friedensjournalisten für Tschetschenien

Aber die Journalisten allein richten es nicht. Viele externe Faktoren bestimmen die Berichterstattung. Berufsständische Organisationen wie Reporter ohne Grenzen beklagen den zunehmenden Druck, der auf Journalisten ausgeübt wird. Seit der Ermordung des Wall Street Journalisten Daniel Pearl durch pakistanische Fundamentalisten wagt es kaum noch jemand, in diese Richtung zu recherchieren. Vor allem in den osteuropäischen Staaten ist die organisierte Kriminalität zu einer ernsten Bedrohung der Pressefreiheit geworden. „Nicht die Freiheit der Rede“ sei das Problem, sagte der russische Duma-Abgeordnete Grigori Aleksejewitsch Yavlinski, „sondern die Freiheit nach der Rede“. Die parlamentarische Staatssekretärin im BMZ, Uschi Eid, wies in ihrem Grußwort darauf hin, dass die Pressefreiheit und damit Journalisten zunehmend auch im Namen des Kampfes gegen den Terrorismus bedroht werden. Die Redakteurin der Moskauer „Nowaja Gaseta“ , Anna Politkowskaja, beklagte die Tatsache, dass in Tschetschenien keine ausländischen Journalisten mehr arbeiten. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit und unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung würden Menschenrechte brutal missachtet. Diese Situation brauche dringend internationale Öffentlichkeit und sie wünschte sich den Einsatz einer internationalen Gruppe von Friedensjournalisten in Tschetschenien.

Wenig friedensfördernd sind auch die Rahmenbedingungen der Medien. Der indische Friedensforscher Karan Sahwny beklagte, dass Friedensstifter zwar „selig werden, aber keine Nachrichten produzieren“. Schon gar nicht im Wettkampf mit lodernden Flammen und blutigen Leichen. Das Leitmedium moderner Gesellschaften ist das Fernsehen. Es setzt die Agenda, Print und die anderen Medien folgen. Fatalerweise ist das Fernsehen aber zu sehr von Bildern abhängig, um für die Übermittlung von differenzierten Informationen geeignet zu sein. Das wirkt sich besonders im Kontext von gewaltsam ausgetragenen Konflikten aus. Georg Witschel, Beauftragter der deutschen Anti-Terror Initiative im Auswärtigen Amt, wies daraufhin, dass gewaltsame Anschläge immer eine Botschaft haben, deren Träger die Opfer sind. Die Massenmedien transportieren diese Botschaft, meist ohne differenziert über die Ursachen und Ziele der Täter zu berichten. Gerade das Fernsehen ist zu sehr ereignisorientiert, um dies leisten zu können.

Die Bundeswehr bietet inzwischen ihre Dienste an, „damit nicht so viele Journalisten sterben müssen“, wie es Oberst Hans-Jürgen Folkerts vom UN-Ausbildungszentrum der Bundeswehr ausdrückte. Bei einer Basiseinweisung können sich angehende Konfliktberichterstatter auf einem Truppenübungsplatz echte Kugeln um die Ohren sausen lassen, um im Ernstfall das Ausmaß und die Art der Bedrohung einschätzen zu können.


 

Martin Zint ist Initiator der Gruppe Medien und Konflikt / MuK, die sich derzeit in Gründung befindet. MuK soll friedensfördernde Medienarbeit unterstützen, durch Qualifizierung und durch Projekte. Z.B. durch die Organisierung einer Journalistenreise nach Tschetschenien. Für Interessenten: m.zint@t-online.de

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Journalistische Rolle: Mächtige kontrollieren

Der Journalismus steht in der digitalisierten Gesellschaft besonders unter Druck, wenn er seine demokratische Aufgabe, Öffentlichkeit herzustellen, weiterhin erfüllen will. Das beeinflusst auch Rollenverständnis und Werteorientierung der Medienschaffenden. Nach einer aktuellen Studie zur Profession in Deutschland, Österreich und der Schweiz ist den meisten Journalist*innen heute ihre Kontrollfunktion als „Watchdog“ der Mächtigen am wichtigsten.
mehr »

Die unendliche Krise des RBB

Der Schock sitzt nach wie vor tief. „2025 wird ein Schicksalsjahr für den RBB“, so die unfrohe Botschaft von Intendantin Ulrike Demmer Ende Januar auf einer Informationsveranstaltung vor der fassungslosen Belegschaft. Was folgte, war ein radikales Sanierungsprogramm für den Sender. Insgesamt 22 Millionen Euro will die Geschäftsleitung am Personal- und Honoraretat einsparen. Das entspricht 10,2 Prozent der bisherigen Aufwendungen und ziemlich genau 254 Vollzeitstellen.
mehr »

Gleichstellung im Journalismus

Lag vor 10 Jahren der Frauenanteil im Journalismus noch bei knapp über 40 Prozent, sind mittlerweile 44 Prozent der Journalist*innen weiblich. Das hat das Leibniz-Institut für Medienforschung ermittelt. In wenigen Jahren kann man möglicherweise von einem Gleichstand sprechen, was die Anzahl der Journalistinnen betrifft. Doch Frauen verdienen auch in den Medien noch immer weniger als Männer. Politischer und gewerkschaftlicher Druck sind noch immer notwendig.
mehr »

Gewalt gegen Medienschaffende verdoppelt

In der „Nahaufnahme“ dokumentiert Reporter ohne Grenzen (RSF) jedes Jahr Attacken auf Pressevertreter*innen. Für 2024 sind jetzt die Zahlen erschienen. RSF fordert angesichts der Verdopplung von Übergriffen auf Medienschaffende und Medienhäuser von der neuen Bundesregierung entschiedene Unterstützung für die Pressefreiheit.
mehr »