Outsourcing – Wer schützt den öffentlich-rechtlichen Rundfunk vor sich selbst?

Rationalisierungsstrategien bedrohen Unabhängigkeit und Programmauftrag des demokratischen Rundfunksystems

Die Mütter und Väter des Grundgesetzes setzten eindeutige Maßstäbe zum Schutz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vor äußeren Feinden wie staatlicher Dominanz und wirtschaftlicher Macht. Durch ausreichende Finanzierung über Gebühren und gesellschaftliche Kontrolle sollte nach dem Medienmißbrauch im Faschismus ein eindeutiges Signal für die demokratische Funktion des Rundfunks in der Gesellschaft gesetzt werden. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in vielen Urteilen dieses Prinzip bis heute gestärkt, indem es den Bestand und Entwicklung eines staatsfrei und wirtschaftlich unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der durch seinen Grundversorgungsauftrag der Gesellschaft verpflichtet sein soll, sichergestellt hat.

Niemand dachte jedoch daran, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk vor sich selbst schützen zu müssen. Vor dem Hintergrund politisch verordneter knapper Gebühren, einem zunehmend harten Programmwettbewerb, einer um sich greifenden Kommerzialisierung der gesamten Medienlandschaft und der parallel hierzu stattfindenden Digitalisierung der Produktion, bedrohen zusehends selbst bestimmte Rationalisierungsstrategien die Unabhängigkeit dieses demokratischen Rundfunksystems. Spätestens seit den restriktiven Vorgaben der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) zur Tarifflucht und der politischen Seitenhiebe aus dem konservativ-liberalen Lager hat ein Rationalisierungswettbewerb bei ARD und ZDF eingesetzt, bei dem in vielen Fällen Markt und Kosten offensichtlich höher bewertet werden als der demokratische Programmauftrag.

Kennzeichen fast aller Rationalisierungsprozesse ist, daß nicht Kostentransparenz und das Gebot der Wirtschaftlichkeit die Überlegungen bestimmen, sondern die Erfüllung rundfunkfremder Sparvorgaben. Die Reflektion auf den gesellschaftlichen Programmauftrag findet kaum noch statt. Nach ersten weitgehend phantasielose Stellen- und Sozialabbaukonzepten haben die öffentlich-rechtlichen Sender inzwischen eine beachtliche Rationalisierung-Klaviatur entwickelt. Die Rationalisierungsmaßnahmen reichen, wie eine Erhebung der IG Medien ergeben hat, vom pauschalen Stellenabbau über die Einführung industrieller Managementmethoden wie der Einrichtung von Service- und Costcentern bis hin zu weitreichenden Auslagerungsplänen, die inzwischen auch Redaktionsaufgaben umfassen.

Beschäftigte werden an Reorganisationsprozessen kaum beteiligt

Einzelmaßnahmen hierzu sind u.a.: Einführung des Produktmanagerprinzips als Steuerungsmittel zur Fremdvergabe, Schließung von Bereichen oder Streichung von Programmen, Einführung neuer Techniken mit Arbeitsverdichtung, Besetzung von Planstellen durch Pauschalisten, Einsatz von Unternehmensberatern zur organisatorischen Rationalisierung und zur Installation von neuen Managementstrategien, strategische Programmentscheidungen mit Auswirkungen auf die Produktion und die Freienbeschäftigung, Auslagerung der Produktion auf private Töchter mit Arbeitnehmerüberlassung, Auslagerung von Redaktionsaufgaben auf private Agenturen, Auslagerung von Archiven auf private Kooperationsunternehmen, Auslagerung oder Fremdvergabe von Verwaltungseinheiten und Versorgungseinrichtungen, Vergabe von Programmteilen an Dritte mit teilweisem Rückkehrrecht der Arbeitnehmer. Liquidierung von Töchtern und Überführung in Kooperationsunternehmen mit Dritten, Fusionen von Sendern, Einrichtung von Controllingsystemen, Kooperationen von Sendern zu bestimmten Aufgaben wie SAP, Arbeitszeitflexibilisierung und vieles mehr. Bestimmte Zukunftsaufgaben wie neue Multimediaanwendungen werden erst gar nicht in öffentlich-rechtlicher Regie betrieben, sondern von Anfang an privaten Töchtern überlassen.

Ein deutliches Kennzeichen zumindest in der Anfangsphase der Rationalisierungswelle war, daß die Beschäftigten bis auf wenige Ausnahmen nur marginal an diesen Reorganisationsprozessen beteiligt wurden. Hinzu kommt oft mangelnde Kompetenz der Verantwortlichen für Personal- und Organisationsentwicklung. Es scheint, als gewinne das Wirtschaftlichkeitsprinzip immr mehr Bedeutung vor der Erfüllung des Programmauftrages. Das Sparpotential wird eben nur bei den Beschäftigten gesehen, Überlegungen zur inhaltlichen Profilierung des Programms durch beteiligungsorientierte Verfahren werden oft hintenan gestellt.

Öffentlich-rechtliche Gestaltungsansätze bei einigen Anstalten

Dennoch bewegt sich etwas im Bewußtsein einiger Intendanten. Zu den positiven Ausnahmen gehört mit Sicherheit die mitarbeiterorientierte Vorgehensweise beim Hessischen Rundfunk, der Aufbau einer Produktionsdirektion durch Mitarbeiterbeteiligung beim ZDF (siehe Seite 14) und der nachdenkliche Beschluß des WDR-Rundfunkrates zu den blindwütigen Rationalisierungsstrategien im öffentlich-rechtlichen Rundfunk: „… die Personalkosten sollten dabei aber nicht der einzige und hauptsächliche Sparansatz sein, denn auch der WDR muß seine beschäftigungspolitische Verantwortung wahrnehmen …“.

Auch beim Norddeutschen Rundfunk (NDR) hat sich im vergangenen Jahr die Einsicht durchgesetzt, daß es mit Rationalisierung alleine nicht getan ist, sondern daß vielmehr der schwierige Reformprozeß ein hohes Maß an Gestaltungskraft verlangt. Statt die bereits beschlossenen Stellenabbaupläne im Rahmen der Planung „Zukunftssicherung und Kostensenkung“ (Zuko 1 und Zuko 2) zu realisieren, hat der Sender mit den Gewerkschaften ein ganzes Reformpaket mit den Elementen Altersversorgung, Technikgestaltung, Arbeitszeit, Umweltticket und Beschäftigungssicherung vereinbart. Unter der Kampagne Zeit statt Geld wird dort der interessante Versuch unternommen, eine Alternative zu den traditionellen Rationalisierungskonzepten zu verwirklichen und das „Potential der Köpfe“ für den NDR zu sichern (siehe „M“ 3/97). Schließlich setzte auch der Saarländische Rundfunk nach der überraschenden Kündigung des Manteltarifvertrages im vergangenen Jahr nun wieder auf die sozialpartnerschaftliche Gestaltungskraft. Der Mantel ist inzwischen wieder reformiert in Kraft.

Reiter plant Auslagerung der gesamten Technik

Ganz anders die Entwicklung beim Mitteldeutschen Rundfunk (MDR). Dort wird nach wie vor das Prinzip Rationalisierung durch Outsourcing vor eine mitarbeiterorientierte Reform gepflegt. Nachdem der amtierende ARD-Vorsitzende und MDR-Intendant, Prof. Udo Reiter, im vergangenen Jahr bereits am Standort Erfurt erstmals in einer öffentlich-rechtlichen Anstalt die Fernseheigenproduktion qua Privatisierung abgeschafft hatte (siehe „M“ 11/96; „Reiters Weg kann kein Ziel sein“), hat er nunmehr vor, dies auch an den anderen Standorten durchzusetzen.

Betroffen sind mit den Erfurter Ausgelagerten über 600 Technikerinnen und Techniker, die in den Augen des Intendanten „betriebswirtschaftlicher Ballast“ sind und nicht zur Realisierung des öffentlich-rechtlichen Programmauftrages gehören. Anders als am Standort Erfurt, wo den Beschäftigten die Möglichkeit eingeräumt wurde, MDR-Mitarbeiterin/-Mitarbeiter zu bleiben und über Gestellungsverträge in die Tochtergesellschaft MCS zu wechseln, scheint es erklärtes Ziel der MDR-Geschäftsleitung zu sein, bei der nun drohenden Zerstörung der Eigenproduktionsfähigkeit in größerem Stil mindere soziale Maßstäbe anzusetzen. Obwohl Reiter auf zwei Betriebsversammlungen erklärt hatte, das Erfurter Gestellungsmodell auch an den anderen Standorten anzuwenden, brach sein Stellvertreter, der Direktor des Landesfunkhauses Thüringen, Kurt Morneweg, während einer Abwesenheit des Intendanten dessen Zusage gegenüber dem Personalrat, indem er erklärte, daß für die neuerlichen Privatisierungspläne Gestellungsverträge (die überlassenen MitarbeiterInnen bleiben in diesem Falle Arbeitnehmer des MDR mit allen Rechten aus Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen) nicht in Frage kämen.

MDR-Tochter DREFA setzt gültigen Tarifvertrag einseitig außer Kraft

Diese Aussage hat die MDR-Belegschaft nun zutiefst verunsichert. Sollte sich Morneweg durchsetzen, steht den Beschäftigten des MDR ein Betriebsübergang nach (section)613a) BGB ins Haus. In diesem Fall wären ihre Rechte aus Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen nur für ein Jahr geschützt. Sollte die Privatisierung im Rahmen der aufgespaltenen MDR-Tochter DREFA organisiert werden, wäre gar der MDR-Tarifschutz vom ersten Tag an gefährdet, den DREFA ist Mitglied im Filmproduktions-Arbeitgeberverband VTFF. In diesem Falle würde der wesentlich auf niedrigerem Niveau abgeschlossene VTFF-Tarifvertrag sofort für die Beschäftigten wirksam werden. Doch auch dies scheint der MDR-Spitze beim Unterlaufen sozialer Standards nicht genug. Vor wenigen Tagen hat der Geschäftsführer der DREFA den gültigen Stufenanpassungsplan des sogenannten Tarifgebietes II (Ost) des VTFF-Tarifvertrages einseitig rechtswidrig außer Kraft gesetzt und will die notwendige Anpassung der Ost-Gehälter an das West-Niveau nur in 2-Prozent-Stufen auf das Jahr 2001 verschieben, weil sonst angeblich nicht wirtschaftlich gearbeitet werden kann. Wenn Gewerkschaften und Belegschaft nicht mitziehen, werden Kündigungen ganzer Bereiche angedroht. Ist das ein Vorspiel für künftige Privatisierungen beim MDR? Die DREFA wickelt fast den gesamten Umsatz mit der Mutter MDR ab. Damit kann der MDR jederzeit die Wirtschaftskraft der Tochter DREFA über die Preisgestaltung beeinflussen. Wirtschaftlichkeitsargumente werden so zur Phrase.

Urheber- und Leistungsschutzrechte werden ausgehöhlt

Die Gewerkschaften haben die Kolleginnen und Kollegen bei der DREFA aufgefordert, ihre Rechte aus dem Tarifvertrag in vollem Umfang geltend zu machen. Hierzu werden sie Rechtsschutz gewähren. Die IG Medien hat die Beschäftigten des MDR bei der bevorstehenden Privatisierung aufgefordert, ebenfalls ihre Rechte wahrzunehmen und sich gegen die Auslagerung der öffentlich-rechtlichen Produktion zur Wehr zu setzen. „Widersprecht Eurem Übergang auf eine private Tochter!“, heißt es in einem gemeinsamen Flugblatt von IG Medien und DAG.

Zu den fragwürdigen Handlungen des MDR gehört auch, daß er die von ihm initiierten Tochter- und Enkel-Unternehmen im Rahmenvertrag verpflichtet, auf alle Nutzungsrechte, Leistungsschutz- und sonstige Schutzrechte zu verzichten. In dem Vertrag mit MCS beispielsweise wird die 50%ige DREFA-Tochter gar dahingehend gebunden, daß sie mit ihren Angestellten entsprechende Verzichtsarbeitsverträge schließt.

Eigenproduktion soll aus Prinzip abgeschafft werden

Dies scheint ein Lehrstück dafür zu sein, was den MDR-Beschäftigten bevorsteht, wenn Reiters weitreichende Rationalisierungspläne verwirklicht sind. Die Vertragstreue der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt MDR und ihrer Tochtergesellschaften (mittlerweile sind es rund 19 Beteiligungen an privatwirtschftlichen Unternehmen – siehe Kasten) scheint zur Disposition zu stehen. Abgesehen von diesen rein wirtschaftlich motivierten Rationalisierungsüberlegungen spielen bei Reiter allerdings auch politisch-strategische Ziele eine Rolle. Ihm kommt es offensichtlich darauf an, mit allen Mitteln den Nachweis zu erbringen, daß öffentlich-rechtlicher Rundfunk nicht nur ohne eigene Technik auskommt, sondern daß im öffentlich-rechtlichen Rundfunk erworbene Qualifikationen auch noch direkten Wettbewerbern über die Tochtergesellschaften zur Verfügung gestellt werden. Damit würde ein wichtiges „Wettbewerbs-Know-how“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks am Medienmarkt geopfert.

Dreh- und Angelpunkt dieser Strategie ist, die Eigenproduktionsfähigkeit und damit ein wichtiges Kriterium der Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems abzuschaffen. Dafür scheint in Leipzig jedes Mittel recht. Dies alles steht in direktem Gegensatz zu dem was eigentlich zur Stärkung des Systems notwendig wäre, nämlich eines der wesentlichsten Qualitätsmerkmale, das den öffentlich-rechtlichen Rundfunk bisher ausgezeichnet hat: Einheit von Programm und Technik unter Qualitätsgesichtspunkten auszubauen.

Wenn die Kollegen in der Redaktion zu Kunden werden

In einem Papier der ARD- und ZDF-Personalratsvorsitzenden konnte es nicht treffender formuliert werden, was eigentlich im zugegebenermaßen komplizierten Reorganisationsprozeß des öffentlich-rechtlichen Rundfunks angesagt wäre: „Die aufgabenorientierte und eigenverantwortliche Teamarbeit ist eine wesentliche Voraussetzung zur Qualitätssicherung (im öffentlich-rechtlichen Rundfunk).

Informationsvielfalt entsteht durch professionelle journalistische Arbeit. Aber erst die ästhetische Gestaltung, die sinnliche Qualität des Produkts stellt die Informationstiefe und Informationsdichte her und bietet einen Anreiz zur Entfaltung des Wahrnehmungs- und Unterscheidungsvermögens. Diese Qualität entsteht nicht in den Redaktionen, sondern in der Produktion. Erst die ständige, intensive Zusammenarbeit beider Bereiche weckt Kreativität, bildet die Teammitglieder weiter und sichert die überlebenswichtige öffentlich-rechtliche Programmqualität“. Nach dem Reitermodell würde dies zugunsten einer Auftraggeber-Kunden-Beziehung zerstört. In einer Schautafel zur Einführung des Produktmanagerprinzips (ein programmverantwortlicher Produktmanager entscheidet über die Technikvergabe und ist für die Wirtschaftlichkeitskontrolle verantwortlich), im Rahmen des MDR-internen Controllingsystems heißt zur Aufgabenbeschreibung des Service-Centers (MDR-eigene Produktion): „Sie (die Service-Center/d.Red.) gehen mit ihren Kunden (intern wie extern/d. Red.) ein an marktwirtschaftlichen Prinzipien orientiertes Kunden-Lieferanten-Verhältnis ein.“ Was hat das mit öffentlich-rechtlichem Programmauftrag zu tun, darf hier gefragt werden?

Soweit die ARD- und ZDF-Personalräte. Die ausgelagerten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen MDR werden wie oben bereits erwähnt, künftig genötigt werden, dieses Wissen auch Wettbewerbern preiszugeben. Setzen sich die mitteldeutschen Rundfunkpläne durch, drohen für die wirtschaftlich gebeutelte Region im Verbreitungsgebiet des MDR der Verlust von qualifizierten Arbeitsplätzen, Tarifflucht und die Aushebelung der Mitbestimmung und dies in öffentlich-rechtliche Trägerschaft.

MDR-Haushaltsausschuß mahnt Nachweis der Wirtschaftlichkeit an

Ob die Auslagerung der Produktion überhaupt wirtschaftlich sinnvoll ist, ist ohnehin fraglich. Diese Bedenken hat auch der MDR-Haushaltsausschuß. Immerhin hat er seine Zustimmung von weiteren Auslagerungsplänen davon abhän-gig gemacht, daß bei Outsourcingmaßnahmen ein Wirtschaftlichkeitsnachweis erbracht werden kann, der einen Wirtschaftlichkeitsnachweis über mehrere Jahre erbringt. Dies dürfte schwer fallen, denn beispielsweise beim ZDF haben Kolleginnen und Kollegen herausgefunden, daß der Markt keinesfalls immer die kostengünstigere Variante vor der Eigenproduktion ist. Für die IG Medien waren und sind aber nicht auschließlich die Auswirkungen auf die Beschäftigten von Relevanz. Das Ausschalten der Eigenproduktionsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hat auch eine medienpolitische Variante. Nur vor dem Hintergrund dieser eigenen Produk-tionskapazitäten kann nach Ansicht der IG Medien der öffentlich-rechtliche Rundfunk gegenüber dem Marktbedrohungspotential überleben. Die IG Medien hat mit Blick auf die totale Abschaffung der Eigenproduktion beim MDR deshalb in Zusammenarbeit mit der Deutschen Angestellten Gewerkschaft (DAG) ein gutachterliche Stellungnahme für den Gesamtpersonalrat des MDR über „die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Abschaf-über „die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Abschaffung und Auslagerung der Eigenproduktion bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten“ bei dem Freiburger Rechtsanwalt Hans-Albert Stechl in Auftrag gegeben.

Rechtsgutachten – komplettes Outsourcing verfassungswidrig

Dieses Gutachten, das sich mit der verfassungsrechtlichen Zulassung der Abschaffung des gesamten öffentlich-rechtlichen Produktionsbetriebes beschäftigen sollte, liegt seit Ende August vor und bescheinigt eindeutig, daß eine wie vom Intendanten des MDR betriebene totale Outsourcing-Politik verfassungsrechtlich äußerst bedenklich ist. In dem Gutachten wird zunächst festehalten, daß die Programmherstellung eindeutig als notwendige Voraussetzung der Inanspruchnahme der Rundfunkfreiheit in den Schutzbereich von Artikel 5, Abs. 1 S. 2 GG fällt. Reiters Trennung von sogenannten hoheitlichen (Redaktion) und nicht hoheitlichen (Technik) Aufgaben ist eindeutig aus der Luft gegriffen. An anderer Stelle heißt es: „Ohne geeignete Produktionsstätten kann keine adäquate Programmgestaltung erfolgen. Zwischen dem Programmauftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und der Produktion als vorgelagerter Tätigkeit, besteht daher ein untrennbarer inhaltlicher Zusammenhang.“

„Die Eigenproduktionsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist ein Garant sowohl für die ökonomische, als auch die publizistische Unabhängigkeit der Anstalten. Die verfassungsrechtliche Verpflichtung zur inhaltlichen Sicherstellung der Grundversorgung umfaßt daher ebenso die Pflicht, die Produktion durch eigene Herstellungsbetriebe zu gewährleisten. Eine völlige Abschaffung der Eigenproduktionsfähigkeit bei öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist somit verfassungsrechtlich unzulässig“, heißt es in den Gutachten weiter. Wenn dies so ist, dann ist auch zu fragen, wie die gesellschaftliche Kontrolle über Rundfunk- und Verwaltungsräte auf den öffentlich-rechtlichen Produktteil „Herstellung“ in einer privatrechtlichen Tochter sicherzustellen ist.

Markttätigkeit darf nur Randnutzung sein

In dem Gutachten wird zwar auch eingeräumt, daß der öffentlich-rechtliche Rundfunk zu privatrechtlichen Organisa-tionsformen greifen kann. Diesen werden jedoch enge Grenzen gesetzt. Auf keinen Fall dürfe eine vollständige Abschaffung der Eigenproduktion erfolgen. Im 6. Rundfunkurteil des Bundesverfassungsgerichts wird nachdrücklich auch die „Gefahr eines quasi privaten Großunternehmens, das im Kern allein wirtschaftliche Ziele verfolgt und damit die duale Rundfunkordnung unterlaufen könnte“ hingewiesen. Das Gericht sieht also eine Gefährdung der Grundversorgung, wenn sich die wirtschaftliche Betätigung zum Selbstzweck wandelt, wie dies ja bei den Ausgründungen des MDR vorgesehen ist.

Für das Anbieten eigener Produktionskapazitäten an Dritte im Rahmen der Auslagerung hat das Bundesverfassungsgericht festgehalten, daß diese Tätigkeitssegmente gegenüber der Eigenproduktion nicht überwiegen oder diese gar verdrängen darf. Die Drittnutzung muß Randnutzung bleiben, heißt es in dem einschlägigen Urteil weiter. Sie darf lediglich eine Annexfunktion zur Eigenproduktion darstellen.

Reformen auch in öffentlich-rechtlicher Regie machbar

Bei der in Erfurt bereits praktizierten Privatisierung der Fernsehproduktion wurde diesem Grundsatz nicht Rechnung getragen. Der MDR ist nur zu 50% an der dortigen Tochtergesellschaft Media & Communication Service GmbH (MCS) beteiligt. Die restlichen 50% hält die zwar öffentlich-rechtliche Enkeltochter des NDR, Studio Hamburg. Diese verfolgt aber fast ausschließlich wirtschaftliche Ziele und ist Mutter eines über 30 Tochterunternehmen umfassenden priatwirtschaftlichen Konzerns. Notwendige Reformen im MDR sind auch unter öffentlich-rechtlicher Regie machbar. Deshalb haben die Gewerkschaften dem Intendanten hierzu Spitzengespräche angeboten. Dabei haben sie die Bereitschaft zu erkennen gegeben, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk durch Reform der Tarifverträge für die Zukunft zu stärken. Ziele hierbei sind:

  • Erhalt der Eigenproduktionsfähigkeit
  • Reorganisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks unter Beteiligung der Beschäftigten und ihrer Interessenvertretungen
  • Programmorientierte, enthierarchisierte Arbeitsorganisation
  • Sozialer Schutz (Tarife und Mitbestimmung) für Freie und Ausgelagerte
  • Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive
  • Beschäftigungssicherung Es liegt jetzt beim MDR, dieses Angebot zu nutzen.
nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »

KI beinflusst Vielfalt in den Medien

Künstliche Intelligenz kann journalistische Texte in verschiedene Sprachen übersetzen und damit viel mehr Nutzer*innen ansprechen. Gleichzeitig kann sie aber auch Stereotype, die in diesen Texten enthalten sind, verfestigen. Gefahren und Chancen von KI-Anwendungen im Journalismus standen im Fokus der diesjährigen NxMedienkonferenz der Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM), die sich für mehr Vielfalt in den Medien einsetzen.
mehr »

ARD & ZDF legen Verfassungsbeschwerde ein

Nachdem die Ministerpräsident*innen auf ihrer Jahreskonferenz Ende Oktober keinen Beschluss zur Anpassung des Rundfunkbeitrags ab 2025 fassten, haben heute ARD und ZDF Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingelegt. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di begrüßt die Initiative.
mehr »

AfD als Social Media Partei überschätzt

Eng vernetzt mit dem extrem- und neurechten Vorfeld und gezielt provozierend mit rassistischem Content: Die Landtagswahlkämpfe der AfD in Sachsen, Thüringen und Brandenburg waren von einer hohen Mobilisierung geprägt, auch über die sozialen Medien. Eine aktuelle Studie der Otto Brenner Stiftung (OBS) in Frankfurt am Main zeigt nun aber: die Auftritte der AfD auf Social Media sind weit weniger professionell als zuletzt häufig kolportiert und es gibt deutliche regionale Unterschiede.
mehr »