Podcasting entwickelt sich zum Hype nach dem Vorbild der Webblogs
In England war es bereits 2005 das Wort des Jahres, hierzulande haben sich in diesem Frühjahr die Fans in einem Verband zusammen gefunden: Podcasting ist der jüngste Medientrend. Von Massenmedium kann noch keine Rede sein, aber der erste Podcastday 2006 war ein voller Erfolg.
Ein „Ergänzungsmedium mit eigenem Stil und Zweck“ nennt Thomas Wanhoff die Podcasts. Der Vorsitzende des neuen Podcast-Verbandes ist Pionier und Realist zugleich. Mit dem Kunstwort Podcast, eine Zusammensetzung aus iPod (dem Musikspeicher-Abspielgerät von Apple) und Broadcast (Rundfunk), wird ein neuer Audio-Trend umschrieben. Dabei erstellt jede(r), der / die Lust hat, eine Audio-Datei und stellt sie auf einer Website zur Verfügung. Die Nutzer finden mit einem kostenlosen Abo und dank Kennzeichnung (RSS-Feed) die sie interessierenden Themen, laden die Dateien auf ihren iPod oder MP3-Player herunter und hören dann unterwegs ihr eigenes Programm aus Musik, Nachrichten, Kommentaren, Hörspielen etc.
Bei diesem Hörfunk auf Abruf könnte es theoretisch genau so viele Anbieter wie Nutzer geben, doch die Realität sieht anders aus: Etwa 1.400 Podcast-Produzenten in Deutschland, darunter viele etablierte Medien, stehen zehntausende Nutzer gegenüber. Fakt ist, dass sich die Podcast-Nutzung rasant ausbreitet. Neueste Zahlen sprechen davon, dass sich die Zahl der herunter geladenen Audiodateien von September 2005 bis Mai 2006 hierzulande glatt verdoppelt hat: von 1,1 Millionen auf fast 3,2 Mio monatlich. Vorreiter sind wie oft die USA: Dort bewegen sich die täglichen Nutzerzahlen schon im Millionenbereich und selbst skeptische Analysten rechnen damit, dass sich die Zahl der Podcast-Downloads in den nächsten drei Jahren auf über 12 Millionen pro Tag steigern könnte.
Angefangen hat alles vor rund drei, vier Jahren mit privaten, gesprochenen Tagebüchern – im Gegensatz zu den schriftlichen Tagebüchern, den Webblogs. Inzwischen gibt es auch verfilmte Varianten, die Vblogs oder Vpods. Hard- und Software sind mittlerweile preiswert und einfach zu handhaben, so dass – außer Lust, Zeit und dem handwerklichen Geschick – eigentlich nichts dagegen spricht, dass jeder „Webbewohner“ diese neuen Kommunikationskanäle nutzt. Aber: Wer will schon eine Mail (als Text, Audio oder Video) mit seiner Meinung in die virtuelle Welt schicken, und dann Antwort von den rund eine Milliarde aktiven Internetnutzern erhalten? Diese Fragmentierung der Zielgruppen gipfelte in Atomisierung, die jegliche gesellschaftliche Kommunikation via Massenmedien ab absurdum führt.
Doch – welch Wunder – das Chaos bleibt aus: Der neumodische Kommunikationsbürger orientiert sich entsprechend seiner Interessen doch wieder in überschaubaren Gemeinschaften, so genannten Communities. Und es gibt „Leithammel“, Begabtere, die gern aktiv sind, und die Passiven, die doch überwiegend konsumieren. Außerdem haben die bisherigen traditionellen Leitmedien den neuen Trend zu sozialen Netzwerken schnell für sich adaptiert. Selbst in Deutschland bieten nicht nur etablierte Medien (allen voran die öffentlich-rechtlichen und privaten TV-Sender, führende Zeitungen und Zeitschriften) Weblogs, Podcasts und Vblogs an. Die ersten Kommerziellen, die auf den Podcast-Zug aufgesprungen sind, waren Finanzinstitute (KfW und Direktbanken) und Autohersteller (Daimler, BMW).
Der Spagat zwischen Basisdemokratie und Kommerz zeigte sich Ende Mai auch beim ersten deutschen Podcastday im Rahmen der NRW-Medientage mit 400 Teilnehmern. Nutzerbasierte Inhalte und Ambitionen prallten in Köln auf mehreren der einem Dutzend Podien, wo Bürgerfunk-Visionäre und freie Künstler mit etablierten Medienmanagern diskutierten, aufeinander. Die einstige Pop-TV-Prinzessin Christiane zu Salm, die später mit dem Transaktionskanal 9live kräftig abkassierte und mit Bezahlsender-Chef Georg Kofler liiert ist, berichtete fasziniert von einem US-Studienaufenthalt: Dort wandelt sich die Blogosphäre schon zur „Bloggerindustrie“. Ihrer Meinung nach folgt der Pionierphase ohne valide Daten die Periode des Hypes (Wachstum mit viel Müll), die dann unweigerlich durch Qualitätsselektion in die Etablierung neuer Medien mündet.
Wie fließend jetzt schon in Deutschland die Übergänge sind, demonstrierte Podcast-Ikone Annik Rubens: Sie hat für ihren Podcast „Schlaflos in München“ (täglich über 6.000 Abrufe) nicht nur Sponsoren und Werbepartner gefunden, sondern vermarktet in Köln auch kräftig ihr neues Podcast-Buch. Unterdessen tobt in der Blogosphäre ein Streit um Glaubwürdigkeit, weil ein paar Hobby-Bloger, bezahlt von Opel, die Fahrzeuge des Herstellers in die Handlungen ihrer Web-Tagebücher einbauten. Auch bei Podcast ist der Vermischung von „Journalismus“ und Werbung Tür und Tor geöffnet, denn noch mehr als beim Schriftlichen steht und fällt die Akzeptanz beim Mündlichen (womöglich noch filmischen) mit guten, akzentfreien Stimmen und professioneller Sprache.
Dies spielt etablierten Medien in die Hände, die wie die Holtzbrinck-Handelsblatt-Gruppe schnell den Nutzen von Podcasts erkannt hat. Ebenso wie der Konkurrent FTD bietet Handelsblatt News und Berichte zum Hören – beide mit professioneller Hilfe, wobei die dpa-Tochter dpa-AFX schon mehrere Podcast-Kunden hat. Pünktlich zur WM ist das Fußball-Magazin „kicker“ aufgesprungen. Insgesamt, so der Audio-Chef von dpa-AFX, Andreas Albrecht, „erreichen wir mit unseren vielfältigen Audio-Angeboten täglich mehr als vier Millionen Hörer“. Noch ist der kleinere Teil der Angebote Podcasts, aber ein stetig wachsender. Mit von der Partie beim „kicker“-Podcast ist auch die andere dpa-Tochter Rufa, die als klassischer Radiodienstleister stolz ist auf „sieben Millionen Hörer pro Stunde“.
Webadressen für Podcast
Weitere Informationen über Podcasting in Deutschland unter folgenden Webadressen:
www.podcast.de
www.podcastday2006.de
www.podcastverband.de
www.podster.de
www.dopcast.de
www.podcastzentrale.de