Jugendmedientage: „Jugend & Politik – (K)ein Auslaufmodell“
Seit fünf Jahren gehören die Jugendmedientage zum Kalender der Jugendpresse Deutschland. Nach Schwerin, Köln, München und Hamburg war vom 18. bis 21. Mai die Hauptstadt Berlin an der Reihe. Dort versammelten sich die 600 Jugendlichen zwischen 15 und 25 Jahren nicht in irgendeinem Kongresssaal, sondern im Reichstag, eingeladen vom Bundestagspräsidium und unterstützt von vielen Partnern wie der Bundeszentrale für politische Bildung und der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di.
Dreimal so hoch war die Zahl derjenigen, die an der Veranstaltung mit dem Titel „Jugend & Politik – (K)Ein Auslaufmodell?!“ teilnehmen wollten. Dabei war die Hürde diesmal höher als bisher: Die Kandidatinnen und Kandidaten mussten einen Beitrag zum Thema „Die Welt in 20 Jahren“ einreichen. Eine Jury hatte dann die Qual der Wahl. Von bitterer Enttäuschung der Erfolglosen berichtete Christian Beilborn, einer von zwei Vorstandssprechern der Jugendpresse. Dennoch soll die Teilnehmerzahl auch künftig bei 600 Jugendlichen bleiben, um die Jugendmedientage nicht in die Unübersichtlichkeit ausufern zu lassen. Ein hohes Ziel hat sich die Jugendpresse für das kommende Jahr daher beim Tagungsort gesetzt: Nach dem Bundestag in Berlin soll nun das Europäische Parlament in Brüssel als Gastgeber gewonnen werden.
Für die Glücklichen, die es nach Berlin geschafft hatten, begannen die Jugendmedientage in der alten Akademie der Künste mit einer Vielfalt an Möglichkeiten, sich zu informieren, von denen eifrig Gebrauch gemacht wurde. Die dju-Vertreterinnen hatten am Ende des Abends jedenfalls nicht mehr viel Restmaterial von ihrem Infostand zu verstauen. Zum Auftakt hatten die Organisatoren vier Medienleute eingeladen, die sich eine lange und hitzige Diskussion über den Einfluss der Kunst auf die Politik lieferten: Zusammen mit dem frisch gewählten Akademie-Präsident und Poster-Satiriker Klaus Staeck saßen der Journalist Günter Wallraff, der frühere Universal-Chef und Gründer des Radios „Motor FM“ Tim Renner sowie der Aktionskünstler Christoph Schlingensief auf der Bühne. Geredet und manchmal eher gebrüllt wurde dann über den Wert der 68er-Generation, über verflachenden Journalismus, Schlingensief: „Hape Kerkeling als Königin Beatrix ist der Günter Wallraff von heute“, über die Demokratie, Wallraff: „Glaubt doch nicht, dass unsere Demokratie für immer gesichert ist“, Staeck: „Das schlimmste, was der Demokratie passieren kann, ist, dass sie an Langeweile stirbt“ und die Wirtschaft, die „gar nicht intelligent genug ist, um die Verschwörungstheorien, die man ihr anhängt, zu erfüllen“ (Renner).
Fuß fassen im Journalismus
Am nächsten Tag ging es im Bundestag ruhiger zu, trotz der Debattenthemen Kongo-Mission der Bundeswehr und Erhöhung der Mehrwertsteuer. Damit alle 600 Jugendlichen pünktlich zum Gespräch mit den Fraktionen und auf die Besuchertribünen des Plenarsaals kamen, hatte der Wecker im großen Mattenlager in der Max-Schmeling-Halle bereits um halb sechs geklingelt. Zum eigenen Erstaunen klappte alles wie am Schnürchen. Im Bundestag stießen die angehenden Medienmacher dann auf 370 junge Leute aus den USA, die gerade an einem parlamentarischen Austauschprogramm teilnahmen. Und für alle hat die Suppe nicht gereicht. Dafür tat sich der Mediennachwuchs am Abend im Axel-Springer-Haus an Nudeln, Pommes frites, Currywurst und an hunderten von Bananen gütlich und durften eine Recherche starten, wo man die Schalen wieder los wird, um vor der anschließenden Diskussion „Fuß fassen im Journalismus“ nicht ins Rutschen zu geraten.
Hunger auf den Beruf
Auf dem Podium saßen Ulrike Winkelmann von der taz, Wulf Beleites, freier Journalist aus Hamburg und Mitglied des dju-Bundesvorstands, Knut Teske, Leiter der Axel-Springer-Schule, Gerhard Kothy, RBB-Hörfunkkoordinator und Vorsitzender des neuen Berliner DJV-Verbandes sowie Professor Christoph Fasel, Leiter der Henri-Nannen-Schule. In dieser Runde ergab sich eine so eindeutige Ablehnung der Medien- und Kommunikationswissenschaften sowie der Publizistik als Grundlage für den Journalistenberuf, dass sich aus dem Saal lautstarker Protest der dort Immatrikulierten meldete. Nicht einmal der Professor in der Runde verteidigte diese Studien: „Wir haben an den Journalistenschulen viel Mühe, den Schülern die Marotten der Professoren wieder abzugewöhnen“, erklärte Fasel, der betonte, er habe die Leitung der Henri-Nannen-Schule nur übernommen, nachdem ihm versichert wurde, dass es keine Akademisierung der Ausbildung geben werde. Fremdsprachen und Regionalstudien empfahl Kothy. Auch Beleites plädierte für eine andere Studienfachwahl. Er selbst habe in vieles von der Germanistik bis zu Sinologie, Soziologie, Jura und Türkeistudien hineingeschnuppert und profitiere bis heute von seiner „gesunden Halbbildung“, die es ihm erlaube, Sachverhalte schnell einschätzen zu können.
Zu den Berufsaussichten befragt, schilderte Beleites die für viele Freie nicht einfache Lage: „Um Journalist werden zu wollen, muss man Hunger nach dem Beruf haben, aber manchmal hat man dann im Beruf auch Hunger.“ Zur Notwendigkeit für viele Freie, das Leben finanziell durch PR-Arbeit abzusichern, zeigte sich „Netzwerk-Recherche“-Mitglied Fasel nicht so apodiktisch wie der fünfte Satz im „nr-Medienkodex“, wo es heißt: „Journalisten machen keine PR.“ Eine saubere Trennung von Journalismus und PR sei nötig, darin waren sich Fasel und Beleites einig. Fasel meinte zu der „nr“-Forderung: „Dies ist normativ gesetzt. Auf die Ausführungsbestimmungen bin ich schon selbst gespannt.“
politik orange jetzt auch als Radio
Doch die Jugendlichen waren bei diesen Jungendmedientagen nicht nur Zuhörerinnen und Zuhörer zahlreicher Diskussionsrunden, sondern selbst in Workshops und in den Redaktionen vieler Berliner Medien aktiv. Die Redaktion der eigenen politik orange war mit 50 Leuten so groß wie noch nie, galt es doch diesmal, nicht nur die Zeitschrift auf die Beine zu stellen, sondern auch Radio zu machen: Die Ergebnisse gibt es als Podcast auf www.politikorange.de.
Zum krönenden Abschluss der Medientage nahmen die Jugendlichen auf den Sesseln der Abgeordneten im Plenarsaal Platz – wohin sonst nicht einmal die Referenten der Abgeordneten gelangen, wie Björn Richter bemerkte, der die ganze Operation vom Büro der Bundestagsvizepräsidentin Susanne Kastner aus geleitet hatte. Nach einem letzten – und diesmal reichlichen – Essen im Bundestag zogen die Teilnehmer ihre mit Gedrucktem voll gepackten Trolleys in Richtung Bahnhof. Zurück blieben die Organisatoren zum Aufräumen. „Glücklich und müde“, wie es Vorstandssprecher Sebastian Olényi für alle zusammenfasste.