Ab in den Giftschrank

Plusminus-Sendung: Debatte über den Umgang der Presse mit diskriminierten Minderheiten ausgelöst

Am 25. August dieses Jahres kommt es zu einem ungewöhnlichen Vorgang. Der Intendant des WDR, Fritz Pleitgen, tritt gemeinsam mit Vertretern der Sinti und Roma vor die Presse. Dem WDR wird wegen eines Filmbeitrages der Sendung Plusminus Rassismus vorgeworfen. Zur Überraschung der Redaktion verkündet der Intendant öffentlich, diesen Beitrag nicht noch einmal auszustrahlen. Das Werk landet im Giftschrank.

Der Hintergrund: Am 17. August berichtet das ARD-Wirtschaftsmagazin über Taschendiebe und ihre Tricks. In einem zweiten Beitrag geht es um die Herkunft der Täter und ihr soziales Umfeld in ihrem Heimatland Bulgarien. Dabei berichtet die Redaktion auch, dass diese Menschen Roma sind. Gezeigt werden die katastrophalen Lebensbedingungen, Analphabetis­mus und Arbeitslosigkeit. In diesem Umfeld, so der Bericht, werden vor allem Mädchen von klein auf zu Taschendieben „ausgebildet“. Sie kommen auch nach Deutschland, gehen hier organisiert ihrem „Beruf“ nach. Der Plusminus-Beitrag löst heftige Reaktionen aus. In einer Presse­erklärung kritisiert der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, die „diskriminierende Berichterstattung“. Eine Nennung der Herkunft sei grundsätzlich abzulehnen. Beschuldigte hätten sich nur als Einzelne für von ihnen begangenes Unrecht zu rechtfertigen.

Rassismusvorwurf

Noch schärfer äußert sich Savelina Danova vom European Roma Rights Centre (ERRC) in einer vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma übersetzten Stellungnahme. Sie sei „zutiefst betroffen über rassistische Darstellungsweisen in dem Film, der unzulässige Verallgemeinerungen über die Roma macht und eine ganze Minderheit in Zusammenhang bringt mit Kriminalität.“

Diese Kritik blieb nicht ohne Wirkung. WDR-Intendant Fritz Pleitgen zog den Hintergrundbericht über Bulgarien zurück. Gegenüber den Vertretern der Sinti und Roma räumte der Intendant ein, die Redaktion habe „eventuell das eine oder andere übersehen“. Gleichzeitig betonte er, so wörtlich: „Unsere Re­daktion wollte keine rassistischen Vorurteile nähren“. Der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, bedankte sich dafür, dass seine Kritik bei Fritz Pleitgen auf soviel Verständnis gestoßen sei. Ein Verständnis, das von Re­daktion und Programmbereich nicht geteilt wird. Wie isoliert der Intendant mit seiner Ansicht im eigenen Hause ist, zeigte sich ein weiteres Mal bei einem ausführlichen Gespräch zwischen zwei Vertretern des Zentralrats und 14 WDR-Mitarbeitern verschiedener Programm­bereiche. Auch dort stieß der Rassismusvorwurf auf Unverständnis. Warum der Beitrag trotzdem in den Giftschrank wanderte, erfuhr «M» bis Redaktionsschluss nicht. Nach Auskunft der WDR-Pressestelle finde der Intendant gegenwärtig keine Zeit für eine Antwort. Er werde sich aber vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt äußern.

Sammelbeschwerden

Ein Einzelfall, der am besten schnell zu den Akten gelegt werden sollte? Aus Rundfunk und Fernsehen sind bisher ­wenige vergleichbare Fälle bekannt geworden. Bei Printmedien sieht es dagegen schon anders aus. Alljährlich reicht der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma zum Jahrestag eines nationalsozialistischen Erlasses, wonach „bei allen Mitteilungen an die Presse über Straftaten von Juden die Rassenzugehörigkeit hervorzuheben“ sei, Sammelbeschwerden beim Deutschen Presserat ein. Im letzten Jahr waren es 56 Artikel. Nach Ansicht des Zentralrats „schüren (sie) Hass und Vorurteile gegen Sinti und Roma“. Den Beschwerden kann der Presserat aber nur in wenigen Fällen folgen. Er stellt fest, dass der Zentralrat die kritisierten Artikel „offensichtlich von einem Presseausschnittdienst zusammenstellen lässt“ und diese Artikel „ohne differenzierte Begründung“ als diskriminierend bezeichnet. Im Jahre 2004 konnte der Beschwerdeausschuss des Deutschen Presserates von den 56 Beschwerden nur 10 wegen diskriminierender Berichterstattung als Verstoß gegen den Pressekodex einstufen. Für den Zentralrat Anlass zu weiterer, massiver Kritik am Presserat: Der verfüge über eine „nicht funktionierende Selbstkontrolle“. Stellt man den Pressekodex des Deutschen Presserates und den Vorschlag des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma für eine Regelung in Landesmediengesetzen ge­genüber ist dies umso unverständlicher (siehe Kasten).

Geht man den zahlreichen Vorwürfen des Zentralrates genauer nach, stößt man auf seltsame Vorgänge: Der Zentralrat bietet den Re­daktionen von beschwerdeanhängigen Artikeln an, einen Standardtext über den Hintergrund der Sammelbeschwerde beim Presserat abzudrucken. Bei Abdruck wird die Beschwerde beim Presserat zurückgezogen. Nach Meinung einiger Redaktionen aber auch des Presserats eine bedenkliche Praxis, die an einen „Ablasshandel“ erinnert. Dies zumal da Redaktionen, die sich in anderer Form kritisch mit dem Thema auseinandersetzen wollen und dem Zentralrat auch ein Gespräch anbieten, damit keine Rücknahme der Beschwerde bewirken können.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »

KI beinflusst Vielfalt in den Medien

Künstliche Intelligenz kann journalistische Texte in verschiedene Sprachen übersetzen und damit viel mehr Nutzer*innen ansprechen. Gleichzeitig kann sie aber auch Stereotype, die in diesen Texten enthalten sind, verfestigen. Gefahren und Chancen von KI-Anwendungen im Journalismus standen im Fokus der diesjährigen NxMedienkonferenz der Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM), die sich für mehr Vielfalt in den Medien einsetzen.
mehr »

ARD & ZDF legen Verfassungsbeschwerde ein

Nachdem die Ministerpräsident*innen auf ihrer Jahreskonferenz Ende Oktober keinen Beschluss zur Anpassung des Rundfunkbeitrags ab 2025 fassten, haben heute ARD und ZDF Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingelegt. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di begrüßt die Initiative.
mehr »

AfD als Social Media Partei überschätzt

Eng vernetzt mit dem extrem- und neurechten Vorfeld und gezielt provozierend mit rassistischem Content: Die Landtagswahlkämpfe der AfD in Sachsen, Thüringen und Brandenburg waren von einer hohen Mobilisierung geprägt, auch über die sozialen Medien. Eine aktuelle Studie der Otto Brenner Stiftung (OBS) in Frankfurt am Main zeigt nun aber: die Auftritte der AfD auf Social Media sind weit weniger professionell als zuletzt häufig kolportiert und es gibt deutliche regionale Unterschiede.
mehr »