Lauschangriff gefährdet die Grundlagen der freien Presse

Einschränkung des Zeugnisverweigerungsrechts und des Informantenschutzes

„Heute back ich, morgen brau ich, übermorgen hol ich der Frau Königin ihr Kind…“ Der Plan ging nicht auf, der Kindesraub konnte verhindert werden – denn Rumpelstilzchen wurde belauscht. Ein typischer Fall der Gefahrenabwehr. Nicht nur im Märchen, auch heute sind solche Lauschangriffe, – technisch weit fortgeschritten – schon möglich und in den Polizeigesetzen der Länder längst erlaubt. Doch künftig soll nicht mehr nur zur Gefahrenabwehr gelauscht werden, auch bei der Strafverfolgung soll die Wanze dabei sein.

Mit nur vier Stimmen Mehrheit beschloß der Deutsche Bundestag am 16. Januar das „Gesetz zur akustischen Wohnraumüberwachung“, den sogenannten „Großen Lauschangriff“. Mit dem Argument, „Organisierte Kriminalität“ bekämpfen und die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger schützen zu wollen, setzten sich CDU, FDP und Teile der SPD-Fraktion im Bundestag durch, und änderten mit Zweidrittelmehrheit die Verfassung, die bisher die Unverletzlichkeit der Wohnung garantierte. Gelauscht werden darf bei circa fünfzig Arten von Straftaten, darunter Mord, Totschlag, Bandendiebstahl, Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz, schwerer Raub und Erpressung. Ein einfacher Anfangsverdacht reicht aus, um den Lauschangriff anzuordnen. Verdächtige, bisher noch mit dem rechtstaatlichen Luxus versehen, sich selbst nicht belasten zu müssen, sollen künftig abgehört werden – überall, wo sie auftauchen können.

Zeugnisverweigerungsrecht mißachtet

Über vieles läßt sich streiten. Über den zweifelhaften Begriff der „Organisierten Kriminalität“ genauso, wie über den Nutzen einen solchen Gesetzes. Hauptstreitpunkt der aktuellen Debatte sind die Zeugnisverweigerungsrechte. Bis Mitte November letzten Jahres spielten sie kaum eine Rolle. Dann erschreckte die Nachricht die Öffentlichkeit, daß künftig auch Beichtstühle belauscht werden können. Buchstäblich in letzter Minute einigten sich Koalition und SPD-Fraktionsvorstand darauf, wenigstens Geistliche, Abgeordnete und Strafverteidiger vom Belauschen auszunehmen.

Doch trotz der massiven Proteste der übrigen betroffenen Berufsgruppen: Alle anderen, denen die Strafprozeßordnung ein Zeugnisverweigerungsrecht einräumt, können abgehört werden – darunter Ehepartner, Eltern, Kinder von Beschuldigten, Rechtsanwälte, die nicht Strafverteidiger sind, Ärzte, Zahnärzte, Apotheker, Hebammen, Notare, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer, Steuerberater, Drogenberater, Therapeuten, Journalisten.

Vertrauensverhältnis gestört

Nur zwei Einschränkungen hat der Gesetzgeber gemacht: Ob die Abhörprotokolle auch verwertet werden dürfen, soll ein Gericht entscheiden. Und es soll der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gelten – was beunruhigend ist. Denn das mußte bisher bei jeder Form staatlichen Handelns der Fall sein.

Für Vertrauensverhältnisse spielen solche Einschränkungen keine Rolle. Allein die Befürchtung, daß abgehört wird, beschädigt das Vertrauensverhältnis schwer. Denn wenn künftig jedes Redaktionsbüro verwanzt, jedes vertrauliche Gespräch mit einem Journalisten abgehört werden kann, dann ist der Schutz von Informationsquellen nicht mehr zu gewährleisten.

Pressefreiheit bedroht

Informationsbeschaffung wird zum Problem, ein investigativer und kritischer Journalismus wird nur noch schwer möglich sein. Es ist offensichtlich, daß damit ein massiver Eingriff in die Pressefreiheit vorliegt. Wenn Journalisten belauscht werden, nutzt ihnen ihr Zeugnisverweigerungsrecht nichts mehr. Wenn Redaktionssitzungen abgehört werden, steht der Schutz des Redaktionsgeheimnisses nur noch auf dem Papier. Auch wenn die Abgeordneten des Deutschen Bundestages nur vier Tage Zeit hatten, die gewichtigste Gesetzesvorlage der Legislaturperiode zu studieren – all dies ist ihnen nicht verborgen geblieben.

Proteste übergangen

Spät, aber dafür umso geschlossener gingen die Vertreterinnen und Vertreter der verschiedensten Medien auf die Barrikaden. Zahlreiche Protestschreiben von Journalisten, Gewerkschaften und Verbänden erreichten die Volksvertreter. In dem im Dezember gestarteten Journalistenappell „Pressefreiheit schützen“ wandten sich rund 700 Journalistinnen und Journalisten aus ganz Deutschland an die Bundestagsabgeordneten und forderten sie auf, den geplanten Lauschangriff abzulehnen, den Informantenschutz zu garantieren und das Zeugnisverweigerungsrecht von Pressevertretern auszubauen: „In einer freiheitlichen Demokratie muß die Presse unbehindert und frei von staatlicher Überwachung ihre Kontrollfunktion wahrnehmen können.“ Auch die IG Medien wandte sich in einem offenen Brief an die Abgeordneten: „Das Zeugnisverweigerungsrecht und die Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit sind notwendige Bedingungen einer freien Presse.“ Der Deutsche Journalistenverband kündigte Verfassungsklage an. Verbrechensbekämpfung, so Bundesvorsitzender Meyn, dürfte nicht auf Kosten der Pressefreiheit gehen. Wilhelm Sandmann vom Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger fand scharfe Worte. Er fürchtete, daß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Praxis nur in untergeordnetem Maße beachtet werde und erinnerte an die Bremer Medienrazzia. Christiane Gibiec (IG Medien), Sprecherin des Deutschen Presserates, wandte sich gegen das Gesetzvorhaben und forderte, die umfassende politische Information der Bürger auch zukünftig zu gewährleisten.

Widerstand fortsetzen

Ein Vielzahl von Skandalen ist in der Vergangenheit durch Recherchen von Journalisten öffentlich geworden. Brisantes Informationsmaterial, geheime Papiere – davon werden, sollte der Lauschangriff auch den Bundesrat passieren, Journalisten in Zukunft seltener Kenntnis erhalten. So manche Machenschaften werden nicht mehr aufgedeckt. Bleibt zu hoffen, daß sich die Journalistinnen und Journalisten nicht mit der Wanze abfinden. Bleibt zu hoffen, daß der breite Protest gegen diesen Angriff auf die Pressefreiheit weitergeht.

Wer belauscht werden darf, das regeln „einfache“ Gesetze – um die zu ändern, braucht man einfach eine Mehrheit.

 

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