Eigenverantwortung statt Druck von außen

Lutz Tillmanns, Geschäftsführer des Deutschen Presserats, über den aktualisierten Kodex und die Anerkennung des Selbstkontrollgremiums in der Gesellschaft

M | Der Pressekodex ist als moralische Instanz im Printbereich quasi mit den Zehn Geboten vergleichbar. Im Gegensatz zu diesen wird der Kodex inhaltlich aktualisiert. Zum Jubiläum werden Sie nun eine komplett überarbeitete Fassung vorstellen. Warum war das nötig?

LUTZ TILLMANNS |
 Der Pressekodex wird immer wieder mit Blick auf die aktuellen Erkenntnisse in der Praxis und die gesellschaftspolitischen Diskussionen angepasst. Den 50. Geburtstag haben wir zum Anlass genommen, die gewachsenen Regeln neu zu systematisieren, zu straffen und zu glätten, wo nötig, und dort zu ändern, wo es uns angebracht erschien. Hierzu hatten wir auch verschiedene Experten um ihre Einschätzung gebeten.

M | 50 Jahre „voller Beispiele für Konkretisierung der Pressefreiheit“ feiert der Presserat. Der Bogen spannt sich von der Verhinderung einer Lex Soraya Ende der 50er bis zu Protes­ten im Fall Cicero. Ist solche Lobbyarbeit schwieriger geworden, da sie nicht mehr von einer ähnlich öffentlichen Empörung getragen wird wie seinerzeit bei der Spiegelaffäre?

TILLMANNS | Vielleicht wird die öffentliche Empörung heute einfach anders wahrgenommen. Die Lobbyarbeit ist sicherlich schwieriger geworden. Gut ist aber, dass wir mittlerweile als renommiertes Selbstkontrollorgan auch von der Politik regis­triert werden und dass die Stimme des Presserats Gehör findet – bei den Medien, in der Öffentlichkeit und in der Politik.

M | Das Selbstkontrollgremium hat schon mehrfach die Verabschiedung von Gesetzen verhindert oder beigetragen, sie sinnvoll zu modifizieren. Aktuell wurden Sie etwa auch zum Entwurf des Rundfunkänderungsstaatsvertrages hinsichtlich Rundfunk und Telemedien gehört. Wie speist der Presserat seine fachlichen Kompetenzen und wie wird er gesellschaftlich akzeptiert?

TILLMANNS | Zunächst überzeugt den Gesetzgeber am besten eine wirksame und engagierte Selbstregulierung. Eigenverantwortung ist besser als rechtlicher Druck von außen. Sodann sind wir fachlich auch gut aufgestellt, um solche Gesetzentwürfe zu kommentieren. Der Presserat verfügt über langjährige Kompetenz bei der Ab­wägung von Rechtsgütern, bei der Beantwortung der Frage, was im journalistischen Berufsalltag ethisch erlaubt ist, und in der Bewertung journalistischer Qualitätskriterien. Bei neuen Gesetzentwürfen wird der Presserat deshalb seit einigen Jahren schon im Voraus dazu befragt, wenn sie die journalistische Arbeit in Medien betreffen. Die Akzeptanz ist insgesamt in Politik und Gesellschaft zufriedenstellend.

M | Sie vertrauen auf die „Selbstreinigungskräfte der Medien“. Beim Thema Schleichwerbung scheint das besonders schwierig. Zwei Fragen in diesem Zusammenhang: Wäre es hilfreich, Journalismus und PR wirklich als getrennte Welten zu betrachten? Wäre mitunter nicht doch ein schärferes Schwert als Rügen hilfreich?

TILLMANNS | Ich denke nicht, dass man Journalismus und PR heute noch so einfach von einander trennen kann. Das sah vielleicht vor zehn Jahren noch anders aus. Die Lebensrealität vieler junger, meist freier, Journalisten sieht einfach so aus, dass diese häufig beides machen – Journalismus und PR. Wichtig dabei ist, dass sie stets im Auge haben müssen, was sie gerade machen und genau trennen. Die öffentlichen Rügen wirken unserer Erfahrung nach insgesamt durchaus, auch wenn die Öffentlichkeit gerne härtere Sanktionen sehen würde. Aber die Diskussionen, die allein schon eine Beschwerde in den Redaktionen nach sich zieht und die öffentliche Blamage, vom Presserat mit einer ethischen Fehlleistung benannt zu werden, ist nicht zu unterschätzen.

M | Die Beschwerdeausschüsse tagen bewusst nicht öffentlich. Aus Ihrer Erfahrung: Verlaufen „Fronten“ zwischen Verleger- und Gewerkschaftsvertretern im konkreten Fall meist fraktionsgemäß?

TILLMANNS | Fronten gibt es in der Ausschuss-Arbeit kaum: hier wird stets konkret am Fall diskutiert. Die Verletzung von Persönlichkeitsrechten oder Sorgfaltspflichtverstöße werden von Journalisten und Verlegern nach den gleichen Maß­stäben bewertet. Grund für die nicht öffentliche Tagungsweise ist deshalb eher die Erfahrung, dass viele persönliche Details von Beschwerdeführern und -gegnern diskutiert werden, die nicht in die Öffentlichkeit gehören.

M | Was spricht aus Sicht des Presserats gegen einen Medienkodex für alle?

TILLMANNS | Dagegen spricht nichts. Aller­dings kann der Deutsche Presserat als Instanz für die Printmedien nicht von sich aus seinen Wirkungskreis einfach auf die Rundfunkmedien ausweiten. Wir wissen jedoch, dass der Pressekodex auch in vielen Rundfunkhäusern von den Journalisten benutzt wird, da sie keine eigene Alter­native haben. Bewegen müssen sich hier jedoch erst einmal die anderen Medien.

Das Gespräch führte Helma Nehrlich

 

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