Das Handelsblatt tut es, die Rheinische Post, der Saarländische Rundfunk oder die Hessische Allgemeine. Die einen nennen die Neuerung Newsdesk, andere Newsroom oder zentrale Produktionseinheit. Doch eine Schaltzentrale, in der das gesamte redaktionelle Material zusammenläuft und die Verarbeitung koordiniert wird, sehen große Verlage mittlerweile als Voraussetzung crossmedialer Contentproduktion. Warum ist das so? Und was bedeutet es für das Berufsbild von Journalistinnen und Journalisten? Antworten suchten rund 150 Teilnehmer auf dem 21. Journalistentag der dju/Fachgruppe Medien in ver.di am 24. November in Berlin.
„Der Entwicklungstrend ist eindeutig gesetzt“, meint Martin Dieckmann, medienpolitischer Referent von ver.di. Für ihn hat sich die arbeitsorganisatorische Neuerung in allen großen regionalen Monopolverlagen, aber auch in kleineren konzerngebundenen Redaktionen inzwischen etabliert. Ebenso im Rundfunk. Da funktionieren Newsrooms als Schaltzentrale für Formate, als Schnittstelle zwischen Radio, Fernsehen und Internet, gleichermaßen aber auch als Themenpool und Planungs-Hauptquartier. Auch typisch: jeder Verlag, jede Sendeanstalt entwickelt für sich. Heraus kommen unterschiedliche Modelle, je nach räumlichen Möglichkeiten, nach Verlagsportfolio oder Programmstruktur. Da werden, wie bei Springer in Berlin, die Redaktionen einer überregionalen Tageszeitung, deren „Kompaktausgabe“ und Sonntagszeitung sowie einer großen Lokalzeitung gebündelt. Im Verein mit den Online-Angeboten entsteht so ein „multimedialer Marktplatz“. Anderswo, wie bei der Main-Post in Würzburg, fallen zunächst vorrangig die Ressortgrenzen in der Printredaktion weg. Bei der Verlagsgruppe Madsack in Hannover wurde vor Monaten die Redaktion der Neuen Presse und der Heimatblätter ausgelagert, aktuell entstehen hier und bei der Hannoverschen Allgemeinen jeweils eigene Newsdesks. Im Berliner Verlag sollen, ganz neu, nun auch die Macher von seriöser Tageszeitung und Boulevardblatt sowie der Netzeitung zusammen nicht nur für die Printausgaben produzieren. Prinzipiell und zunehmend geht es um die Fertigung „medienkonvergenter Redaktionsinhalte“, um die Herstellung von Content, der – der Technik sei Dank – auf immer diversifizierteren Verbreitungs- und Vertriebswegen an Publika gebracht werden soll. „Schrankenloses Denken“ in den Redaktionen sei dazu nötig. Eine Einteilung der Journalisten in Reporter und „Editoren“, die das Blatt machen, geht damit einher, auch wenn vielerorts die Personen in diesen Funktionen „rotieren“. Und: Kommunikation soll gefördert werden. Der Arbeitstag am Newsdesk gleiche einer „permanenten Redaktionskonferenz“.
Ganz harte und etwas weichere Faktoren
Was manifestiert diesen Trend zur Umstrukturierung? Für Martin Dieckmann liegen die Ursachen in der Ökonomie, in der „Eingliederung journalistischer Arbeit in einen neuartigen Industrialisierungsprozess“, wie er in seinem Impulsreferat ausführte. Es gehe, in Anlehnung an das Tayloristische Modell von Arbeitsorganisation, um sogenannte Workflow-Optimierungen. Wie sich seit längerem weltweit alle Produktions-, Vertriebs- und Handelszweige in einer fulminanten Neuorganisation befänden, so seien die Zeitungsverlage seit dem Kriseneinbruch 2001 davon besonders betroffen. Aus einem wachsenden redaktionellen Anteil an der Kostenstruktur deutscher Abo-Tageszeitungen begründete Dieckmann, dass gerade „die Redaktionen in den Fokus der Rationalisierungslogik geraten (sind). Stellenabbau und Honorarkürzungen allein reichen nicht aus“, nunmehr suche man sein Heil in Prozessoptimierung. Das neue Steuerungsmodell zerlege ehemals ganzheitlich integrierte Tätigkeiten. In der Konsequenz führe das so weit, dass „nunmehr systematisch und systemisch unterschieden wird zwischen ‚Schaffen’ und ‚Machen’, etwa zwischen Schreibenden und Blattmachern“. Man könne redaktionelle Arbeit so auch in andere Vertragsformen oder gar komplett auslagern.
Neben diesem harten ökonomischen Ansatz machte Dr. Dietmar Schantin von ifra Darmstadt Gründe in weicheren Faktoren fest. Seine „positivere Sicht“ spielte mit der Faszination für technische Neuerungen und ging von einem veränderten Konsumverhalten auf dem Leser- und Hörermarkt aus. Neben Zeitungen und Magazinen, Radio und Fernsehen komme dem Internet als Plattform, auch dem Handy wachsende Bedeutung zu. Davon leite sich eine Philosophie des „medienkonvergenten Journalismus und crossmedialer Redaktionspraxis“ ab, in der „Inhalte vor Medium“ gehen. Zwar hätten auch klassische Tageszeitungen als Marke weiter Berechtigung. Doch gelte es, ihre Herstellung und Verbreitung gezielt in integrierte Kreisläufe und den Workflow von Bild-, Text-, Audio- und Videodaten einzupassen. ifra habe mit „Newsplex“ folgerichtig ein Modell für moderne Redaktionsstrategien und „Change Management“ entwickelt, aus dem „Medienhäuser Nutzen und Journalisten Vorteile aus zusätzlichen Werkzeugen ziehen“ könnten. Dazu erbringe der Verlagsdienstleister aus Darmstadt international in wachsendem Umfang Beratungs- und Trainingsleistungen, so auch beim Aufbau des Newsrooms bei Springer, der mit der Schulung von mittlerweile 180 Journalistinnen und Journalisten verbunden war. Den Machern müsste in solchen Transformationsprozessen sowohl ein Grundverständnis für das Zusammenspiel von Online-, Audio- und Video-Angeboten als auch entsprechende Spezialkenntnisse vermittelt werden. Das könne nur gelingen, wenn die Journalisten einbezogen und bei den Umgestaltungen „mitgenommen“ würden, zeigte sich Schantin überzeugt.
Mitgestaltet oder übergestülpt?
Dass solcherart Partizipation unterschiedlich gelingt, zeigten Wortmeldungen von Praktikern. Während Folker Quack von der Main Post in einem funktionierenden Newsdesk das „eigentliche kreative Potenzial einer Redaktion“ sah, berichtete Annette Rose von einem „übergestülpten System“, einseitiger Kommunikation mit mangelndem Rücklauf, dem drohenden Verlust an Kompetenzen, heruntergefahrenen Gehaltsstrukturen mit Funktionszulagen sowie von Angst um die Arbeitsplätze. Die Redakteurin der Neuen Presse Hannover sitzt direkt neben dem vor acht Wochen etablierten Newsdesk. Dass man sich freie Mitarbeiter gegenseitig abspenstig mache und insgesamt auf das neue Modell schaue wie das „Kaninchen auf die Schlange“, beschrieb sie. Dagegen erklärte Robert Haberer, dass im „Land der weiten Wege“, in Mecklenburg-Vorpommern, die Einführung lokaler Newsdesks wieder zurückgedreht wurde. Heute werde bei der Ostsee-Zeitung lediglich der Mantel mit Hilfe eines Newsdesk produziert. Dank aktiver Einmischung des Betriebsrates sei in einer Einigungsstelle eine Arbeitszeitregelung durchgesetzt worden. Diese habe unter anderem dazu geführt, dass für die Einführung eines neuen Redaktionssystems befristet sechs zusätzliche Redakteursstellen durchgesetzt werden konnten. Auch Qualifizierungsmaßnahmen seien auf Grundlage des § 97(2) Betriebsverfassungsgesetz vereinbart worden, bei Bedarf würden sie verlängert. Die Befürchtung, dass die Redaktion gerade nicht mitgenommen werde und es vor allem zu einer Aufspaltung in „technikbegeisterte Junge und den Veränderungen nicht gewachsene Ältere“ kommen könne, äußerte Renate Gensch, Betriebsratsvorsitzende des Berliner Verlags. Sie verwies auf nicht geklärte Urheberrechtsfragen bei crossmedialer Vielfachnutzung und die drohende Abtretung aller Rechte durch die Autoren, die besonders die Freien treffe. Von einem speziellen, unter dem Redakteurstarif liegenden „Online-Tarif“ sprach Springer-Betriebsrat Jürgen Fischer.
Arbeiten auf Augenhöhe
„Journalismus – Beruf im Spannungsfeld zwischen Produktivität und Qualität“, das Thema des Journalistentages zielte auf Arbeitsbedingungen und Berufsverständnis unter radikal veränderten Produktionsstrukturen. Auf tarifpolitische Dimensionen hatte Frank Werneke, stellv. ver.di-Vorsitzender, bereits bei der Begrüßung hingewiesen. Während die Verleger schon in der Vergangenheit versucht hätten, das Berufsbild von Redakteuren „möglichst eng zu fassen“, um nur „möglichst kleine Gruppen“ entsprechend vergüten zu müssen, stehe die Gewerkschaft auf dem Standpunkt, dass auch die „journalistische Tätigkeit auf neuen technischen Plattformen“ – bisher eine tariffreie Zone – unter die Geltung von Tarifverträgen falle. Da viele Freie „davon analog betroffen sind“, müsse man für sie „tarifvertragliche Konsequenzen mitdenken“. Zwar hatte Folker Quack zum Newsdesk der Main Post postuliert, dass das Modell „von vornherein zum Scheitern verurteilt“ sei, „wenn es Kosten sparen soll“. Die differenzierte Gehaltseinstufung von Journalisten kam allerdings mehrfach zur Sprache. Prof. Dr. Klaus Meier von der Hochschule Darmstadt gab zu bedenken, dass zunehmend bimedial tätige Journalisten „nie auf Augenhöhe arbeiten“ könnten, „wenn eine Plattform schlechter bezahlt wird als die andere“. Umfragen hätten zudem ergeben, dass der Arbeitsdruck auf Redakteure am Newsdesk steige. Von der These, dass Journalisten künftig zwar „nicht alles können, aber alles denken können“ müssten, leitete er die Forderung nach qualifizierter Ausbildung ab und betonte die Bedeutung der Weiterbildung. Noch gingen in Darmstadt in einem speziellen Studiengang ausgebildete Onlinejournalisten „eher ungern in klassische Zeitungsverlage“, häufiger zu Sendern oder neuen Anbietern. Dass tendenziell Volontärsausbildung und junge, motivierte Leute in Serviceredaktionen „ausgelagert“ und generell schlechter bezahlt würden, ergänzte das Auditorium.
Gefahren, Chancen und Veränderungsdruck
„Wo findet künftig Journalismus statt, wo entstehen die Premium-Produkte“, fragte Martin Dieckmann mit Blick auf das derzeit „furchtbare publizistische Profil der Internet-Plattformen“. Er machte ein „Gefahrenpotenzial“ darin aus, dass das Engagement auch großer Verlage künftig noch stärker von „Community-Management“ und dem „Szenario einer verselbständigten Ökonomie des Journalismus“ bestimmt werden könnte. Journalistische Aufklärung, der „Mehrwert von Qualitätsjournalismus“, Grundsätze publizistischer Sorgfalt, Meinungsvielfalt und Meinungsfreiheit seien speziell dort bedroht, „wo zum einen Freie und Selbständige und dann im Weiteren auch ganze Redaktionen und Redaktionseinheiten einem Selbstökonomisierungsdruck ausgesetzt werden“. Auf Dauer könne man die öffentliche Aufgabe der Medien nicht durch eine Strategie „von Buy-out und Prekarisierung sicherstellen“. Selbstverpflichtungen seien als einziges Qualitätssiegel klassischer Medien denkbar. Klaus Meier sah in den aktuellen Veränderungen aber auch ein Potenzial, „Freiräume als Chance wahrzunehmen, um Neues auszuprobieren“. Journalisten sollten „von oben angestoßene“ Umstrukturierungen auch als eigene Gestaltungsaufgabe begreifen. Dass das auch ein Feld gewerkschaftlicher und betrieblicher Interessenvertretung und von Mitbestimmung ist, war an praktischen Beispielen vielfach deutlich geworden.
Handlungsfelder für die neue Fachgruppe Medien in ver.di fasste deren Vorsitzender Werner Ach vom ZDF in seinem Schlusswort zusammen: Die Tatsache, dass „bisher eigenständige Berufe in multifunktionalen Tätigkeiten zusammenfließen“, dürfte zu keiner tariflichen Abwertung führen und hätte deshalb direkte tarifpolitische Konsequenzen. Die Entwicklung, dass es praktisch „keinen Sende- und Redaktionsschluss mehr“ gebe, erfordere Antworten bei Arbeitszeit- und Besetzungsregeln. Notwendige Weiterbildung von Festen und Freien für neuartige Tätigkeiten seien auf Kosten der Arbeitgeber zu sichern. Die Frage nach Gesundheitsschutz an Bildschirmarbeitsplätzen stelle sich verschärft, wenn in crossmedialen Redaktionen faktisch papierlos gearbeitet werde. Mit Blick auf die Rente mit 67 müsse entschieden werden, wie lange Medienmacher dem permanenten Veränderungsdruck in ihrem Berufsleben standhalten sollen und können.